Essen. . Die Kassette hat ausgedient, der Absatz von CDs sinkt, heute hören wir Musik auf dem Handy. Aber das heißt nicht, dass die Schallplatte ausgestorben wäre – im Gegenteil, sie wird wieder beliebter. Und auch die Musikanlagen bieten immer mehr. Ein Aufbruch in neue Klangdimensionen.
Wie war das noch damals, als ich in die erste eigene Wohnung einzog? Das Wertvollste musste zuerst rüber. Und was war das? Natürlich die viele Kisten schwere Vinylsammlung und ein Koffer voller handverlesener CDs. Sie bildeten die Vorhut für das wichtigste Möbelstück: den Hifi-Turm. Kein sonderlich teures Gerät, schließlich hatte man ja noch nicht viel verdient. Aber kultisch verehrt und innig geliebt, trotz Kabelsalat. Wenn erst einmal die Musik ins neue Heim eingezogen war, konnte man sich langsam wohlfühlen.
Was würde ich wohl als erstes rüberfahren, wenn ich heute umziehen müsste? Vermutlich den Laptop und ein paar schnöde Computerboxen.
Musikhören geht heute anders: Die Art und Weise, wie wir Musik genießen, hat sich seit der Jahrtausendwende spürbar verändert. Waren damals Stereoanlagen noch das Nonplusultra der Unterhaltungselektronik, hat die einst dominierende Hifi-Mittelklasse heute radikal an Bedeutung verloren. Liegt es daran, dass wir Musik immer mehr über Laptops, Telefone und MP3-Player hören? Nicht nur. Denn sonst wäre kaum erklärbar, warum ein oft totgeredetes Medium wie die Langspielplatte wieder zunehmend Begeisterung weckt. Die Audio-Industrie hat längst Retro- und Zukunfts-Trends erkannt – und trägt ihnen Rechnung. Wir haben geschaut, wohin die Reise geht.
„In den 80er- und 90er-Jahren war ja Hifi ein Volkssport: Jeder brauchte eine neue Anlage. Das war auch technisch faszinierend. Hifi war damals die Spitze der Unterhaltungselektronik. Und die Spitze an Technik, die man als normaler Mensch erleben konnte – wenn man nicht gerade im Atomkraftwerk gearbeitet hat“, sagt Matthias Böde von der Fachzeitschrift Stereo. „In die brave Welt der 70er-Jahre brachen plötzlich diese Hightech-Produkte ein, die Digital-Anzeigen hatten und die technische Faszination stark angesprochen haben. Das war das, was heute Smartphones, Digitalkameras und Tablets sind. Damals war es eben Hifi, es gab ja sonst nichts anderes. Und Fernseher waren langweilig.“ Tatsächlich war die Konkurrenz durch die Mattscheibe damals äußerst begrenzt, kein Wunder bei drei Programmen und einem pixeligen Farbbild als höchstem der Gefühle. Und hatte man ein Gerät angeschafft, galt das als Investition für die nächsten Jahrzehnte.
Der Absatz von Hifi-Anlagen brach zusammen
Ende der 90er-Jahre und zur Jahrtausendwende litt die Hifi-Faszination bei der breiten Masse. Waren davor Hifi-Systeme jahrzehntelang auf hohem Niveau verkauft worden, brach der Markt ein: Von 2000 bis 2006 schrumpften die Absatzzahlen von 4,2 Millionen auf knapp über 2 Millionen Stück pro Jahr – und dieses Niveau halten sie bis heute. „Die Nachfrage wird natürlich nie ganz auf Null gehen, schon aus der Tradition heraus. Aber die Leute kaufen eher andere Dinge oder versorgen sich auf anderem Wege mit Musik, statt sich eine neue Hifi-Anlage anzuschaffen.“
Ein Aspekt dabei war bestimmt, dass die CD einen gehörigen Imageverlust erlitt: Als die Compact Disc in den 80er-Jahren bei uns langsam populär wurde, wurde sie als edles und einzigartiges Genießermedium betrachtet. Während man damals eine Langspielplatte für etwa 18 D-Mark kaufen konnte, lagen CDs bei 45 Mark und mehr. Sie waren silbern glänzend, knisterfrei und vergleichsweise kratzerresistent. Die Absatzzahlen schossen von Jahr zu Jahr weiter durch die Decke, auch weil man sich die Scheiben, die man schon auf Vinyl besaß, nun auch noch auf CD gönnen wollte. Die Wahrnehmung änderte sich erst, als Ende der 90er-Jahre CD-Brenner populär wurden. Auch wenn’s damals illegal war, Musik zu kopieren: Plötzlich hatte jeder neue PC auch die Möglichkeit, Musik ohne spürbare Qualitätsverluste zu kopieren – die CD wurde zum beliebig vervielfachbaren Medium. Kenner werden jetzt selbstverständlich einwenden, dass eine CD aus dem Brenner keineswegs dasselbe ist wie eine CD aus dem Presswerk. Doch in der subjektiven Wahrnehmung der Konsumenten machte sich dieser meist nur mit Meßinstrumenten feststellbare Unterschied nicht bemerkbar. Die silberne Scheibe war entzaubert.
Vinyl-Liebhaber schätzen auch digitale Musik
Und dann? Kam auch noch der iPod. Seit 2001 wurden allein von ihm 350 Millionen Geräte verkauft, von anderen MP3-Spielern und -Telefonen ganz zu schweigen. Das hat ganz selbstverständlich auch dazu geführt, dass heute in Deutschland Docking-Stations mit kleinen Soundsystemen einen ernstzunehmenden Marktanteil erobert haben, immerhin 1,2 Millionen wurden davon im Jahr 2012 in Deutschland verkauft. Dass der Klang nicht mit einer richtigen Stereoanlage mithalten kann, stört die wenigsten Konsumenten, denn meist geht es ihnen bei diesen Geräten eher um eine anständige Hintergrundbeschallung.
Außerdem: Nicht jeder stellt die höchsten Ansprüche an den Klang, denn trotz aller Kritik an der Daten- und Klangkompression des MP3-Formats, hat es sich durchgesetzt. Offensichtlich überwog der Vorteil, seine Musiksammlung immer und überall dabei zu haben.
Bis die Klangkritik weitgehend verstummt ist, dürfte es ohnehin nur noch wenige Jahre dauern. Denn längst gibt es Dateiformate wie FLAC oder DSD, die einen verlustfreien Klang wie vom Masterband einer Studioaufnahme garantieren.
Dies ist auch der derzeitige Trend im High-End-Bereich, der sich seit Jahren stabil am Markt behauptet und zuletzt sogar wieder Zuwachsraten vermeldet. Im Ausstellungsraum des Hifi-Spezialisten Pawlak in Essen ist so eine Anlage aufgebaut, bei der die Musik von einem Notebook kommt und über einen speziell konfigurierten Audioplayer per USB-Kabel an einen Digital-Analog-Konverter weitergeleitet wird, der mit dem Verstärker und den Boxen verbunden ist. Dass an dieselbe Anlage auch ein extrem hochwertiger Plattenspieler angeschlossen ist, darin sieht Pawlaks-Analog-Experte Bastian Salzmann keinen Widerspruch. „Wir merken, dass die Leute, die Spaß an Vinyl haben, parallel dazu sehr auffällig verwachsen sind mit dem Streaming-Bereich. Das heißt, dass sie ihre digitalen Daten über den Rechner oder über mobile Geräte an die Anlage anbinden wollen.“
Dem Vinyl ebenbürtig
Dabei sind natürlich auch drahtlose Lösungen möglich, bei denen alle Daten auf einer ins Heimnetzwerk eingebundenen Festplatte gespeichert sind. Allerdings sind diese Verbindungen nicht ganz so einfach einzurichten und nicht so stabil wie die Übertragung per USB-Kabel. Manche verbinden gleich ihren Verstärker inklusive eingebautem Digital-Analog-Konverter mit einer Festplatte und umgehen so den Rechner als Zwischenstation.
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Der Klang solcher digitalen Vernetzungen, das geben selbst ausgesprochene Verfechter des Vinyl-Erlebnisses zu, ist unübertroffen. Noch gibt es zwei Probleme: Zum einen hat sich zwar schon ein großer Markt für hochauflösende Musikdateien entwickelt, allerdings ist sehr viel davon noch nicht in Deutschland erhältlich. Grund dafür sind internationale Rechtefragen, die die deutsche Musikindustrie in Kürze lösen sollte, wenn sie nicht den Anschluss verpassen will. Zum anderen wäre da die Frage der Mobilität, denn tragbare Abspielgeräte für die riesigen Dateien sind erst in der Entwicklung.
Akustische Feinschmecker oder popmusikalische Fastfood-Konsumenten
Abhilfe könnte hier der von Neil Young mitentwickelte und vermarktete „Pono Player“ schaffen, der im Herbst auf den Markt kommt und als aussichtsreichster Nachfolger des iPods gehandelt wird. Er wird die Vorteile von hochauflösenden, verlustfreien Musikdateien mit der Tragbarkeit eines MP3-Abspielers verbinden. Das Gerät hat die Form eines kleinen Toblerone-Riegels. Hochauflösende Dateien werden über einen eigenen Shop international vertrieben. Zumindest was die Verkaufsplattform angeht, könnte Young die Türen auch für deutsche Musikliebhaber öffnen.
Allerdings: Ob sich die Erfolgsgeschichte des iPods auf diese Weise wiederholen lässt? Wohl kaum. Denn es wird nicht lange dauern, bis die momentan innovative Technologie auch ins Smartphone und andere Player eingebaut wird – und so wird der gute Mobilklang bald selbstverständlich zum Teil unserer Alltagskultur, ob wir nun akustische Feinschmecker sind oder popmusikalische Fastfood-Konsumenten.
Wie sehr die Mobilität der Musik auch unser Hörverhalten verändert hat, lässt sich an einem weiteren Detail ablesen. So ist es unter Jugendlichen heute ganz normal, mehr als 250 Euro für ein paar Kopfhörer von „Beats by Dr. Dre“ hinzulegen, während die meisten von ihnen wahrscheinlich zögern würden, so viel Geld für ein Paar Lautsprecher auszugeben.
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„Das Musikhören hat sich bei den jüngeren Leuten, teilweise aber auch bei den älteren, stark auf den Kopfhörer verlagert. Vor 20, 30 Jahren war es noch so, dass man den Kopfhörer eher als Notbehelf gesehen hat: Wenn man abends noch etwas lauter hören wollte und man niemanden mehr stören wollte, nahm man halt den Kopfhörer“, sagt Hifi-Experte Böde. Er geht sogar noch einen Schritt weiter: „Heute scheint es sogar so zu sein, dass viele Leute Musikhören nur noch über Kopfhörer kennen, weil sie durch das mobile Hören so daran gewöhnt sind.“
Der Silberling wird immer noch oft gekauft
Die Gewohnheiten haben sich geändert, allerdings nicht so sehr, wie man es beim Betrachten der Trends annehmen könnte: In Deutschland machten im Jahr 2013 die CD-Alben einen Umsatzanteil von 70 Prozent aus. Das heißt: Selbst wenn viele sich ihre Musik zu Hause auf die Festplatte ziehen – gekauft wird der Silberling immer noch vergleichsweise fleißig. „Wir verzeichnen einen leicht rückläufigen, aber immer noch starken Markt in der CD-Produktion“, berichtet Jörg Hahn, Geschäftsführer der Optimal Media Presswerke dem Bundesverband der Musikindustrie. Offensichtlich bedeutet es vielen Menschen noch etwas, ein aufwändig gestaltetes Produkt in der Hand zu halten.
Über welche Geräte sie die Musik letztendlich hören, spielt erst dann eine Rolle, wenn man in die höheren Ebenen des Klanggenusses vordringen will. Aber auch, um in den Bereich der High-End-Hifi einzusteigen, muss man heute keinen Betrag in der Dimension eines Kleinwagens mehr investieren. Oft sind gute Anlagen mittlerweile sogar deutlich billiger als ein Umzug.