Berlin.. Wie konnte Knut ertrinken, wenn Eisbären doch gute Schwimmer sind? Der berühmteste Bär der Welt starb am 19. März 2011 im Alter von gut vier Jahren vor den Augen des Berliner Zoopublikums: Er krampfte und stürzte ins Wasser. Forscher kommen nun der wahren Todesursache auf die Spur.
„Noch nie wurde der Tod eines Tieres so aufwändig untersucht“, sagt die Tierpathologin Claudia Szentiks vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin. Schließlich handelte es sich um eines der bekanntesten Tiere der Welt: Eisbär Knut vom Berliner Zoo war Medienstar und Publikumsmagnet. Bis er am 19. März 2011 im Alter von gut vier Jahren vor den Augen des Zoopublikums offensichtlich einen Krampfanfall erlitt, ins Wasser stürzte und ertrank. Die Hintergründe seines Todes erklären jetzt Szentiks und ihre Kollegen im Journal of Comparative Pathology. Der Artikel ist mehr als ein „Obduktionsbericht“. Szentiks: „Bei unseren Arbeiten haben wir ganz neue Forschungsbereiche aufgetan.“
Spur führte zu Herpes-Virus
An dieser Mammut-Untersuchung waren beteiligt: Forscher vom IZW, von der Freien Uni Berlin, vom Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Friedrich-Löffler-Institut auf der Insel Riems und von der University of California in San Francisco. Sie kamen bei ihrer Fahndung unter anderem Herpes-Viren auf die Spur, die ursprünglich nur für Infektionen in der Verwandtschaft der Pferde wie etwa Zebras bekannt waren.
Den Huftieren macht eine solche Ansteckung häufig wenig aus. Das ist für Viren sehr gut, weil sie die Hilfe ihrer Wirte brauchen, um sich zu vermehren. Die Situation kann sich schlagartig ändern, wenn ein Virus auf andere Arten überspringt, an die es nicht angepasst ist. „Von Pferde-Herpesviren infizierte Thomson-Gazellen und Meerschweinchen sterben daher meist rasch“, berichtet Alex Greenwood, der am IZW die Abteilung Wildtierkrankheiten leitet und der die Knut-Untersuchungen koordiniert hat.
Die Forscher fanden heraus, dass solche Herpesviren in Zoos auch auf Eisbären überspringen: Knuts Vater Lars überlebte die Krankheit im Wuppertaler Zoo nur knapp, seine damalige Gefährtin Jerka starb daran. Es lag also nahe, dass auch Knut sich damit infiziert hatte. Das war jedoch nicht der Fall.
Rückenmark des Eisbären Knut stark entzündet
Weshalb aber fahndeten die Forscher überhaupt nach Viren, wo der Eisbär doch ertrunken war? „Wir fanden unter anderem Partikel aus dem Wasser in seiner Lunge“, nennt Szentiks einen Hinweis auf diese direkte Todesursache. Eisbären sind aber hervorragende Schwimmer und Knut hatte diese Fähigkeit oft eindrucksvoll demonstriert. Steckte ihm vielleicht eine unerkannte Krankheit in den Knochen? In fast allen Organen und im Gewebe aber fanden die Forscher nichts für ein totes Tier Ungewöhnliches. Auch eine Vergiftung konnten sie ausschließen.
Nur ein einziges Organ war sehr schwer in Mitleidenschaft gezogen: „Die Hirnhaut, das Gehirn und das Rückenmark waren stark entzündet“, sagt Szentiks. Für diese Untersuchung hatten die Forscher das Gehirn des Tieres einige Tage in eine Formalinlösung eingelegt und anschließend mit einem Wachs durchtränkt. Dann färbte man hauchdünne Scheiben des Gewebes mit Farbstoffen wie Hämatoxilin-Eosin, das die Kerne der Zellen blau färbt. Der Rest hat verschiedene Rosa-Töne, in denen man beim Blick durch ein Mikroskop auch die feinen Strukturen des Gewebes erkennt. Mit solchen und anderen Färbungen fanden die Forscher im Gehirn und Rückenmark typische Entzündungsreaktionen.
Elektrisches Gewitter im Kopf des Eisbären Knut
Solche Entzündungen können Nebenwirkungen haben. So sterben im Gehirn immer wieder Zellen ab und lösen dabei Nervensignale aus, die unkontrolliert weitergeleitet werden. Im Gehirn kann so eine Art „elektrisches Gewitter“ entstehen, das ähnlich wie bei einem epileptischen Anfall zu Krämpfen und dem Zucken von Gliedmaßen führt. Diese Symptome hatten Zoobesucher bei Knut unmittelbar vor seinem Sturz ins Wasser beobachtet. In diesem Zustand konnte der Bär nicht schwimmen und ertrank. Szentiks erinnert sich an einen Hund, der einen epileptischen Anfall hatte und in einer Pfütze ums Leben kam.
Die unmittelbare Todesursache von Knut ist damit geklärt. Selbst wenn er bei diesem Anfall nicht ins Wasser gestürzt wäre, hätte die massive Entzündung ihn relativ rasch getötet. Was aber hatte diese tödliche Entzündung ausgelöst? Eine Reihe von Ursachen konnten die Forscher ausschließen.
Folgen einer Infektion könnte Ursache für Knuts Tod sein
Wäre Knut ausgerutscht und mit dem Kopf aufgeschlagen, hätte Szentiks etwa die Spuren eines Schädelbruchs sehen müssen. Meist werden solche Entzündungen ohnehin von Infektionen ausgelöst, von denen die Forscher wiederum eine Reihe ausschließen konnten: Weder für Würmer und andere Parasiten noch für Pilze fanden sie einen Hinweis. Auch Rinderwahnsinn konnte es nicht gewesen sein. Nach Infektionen mit Bakterien finden Pathologen praktisch immer auch Eiter im Gewebe, auch das war bei Knut nicht der Fall. Von den bekannten Erreger-Typen bleiben daher nur noch Viren, von denen viele vom Tollwut-Erreger bis zu der von Zecken übertragenen FSME-Erkrankung ähnliche Entzündungen im Gehirn auslösen. Aber auch die konnten nicht nachgewiesen werden.
Bleibt also die Möglichkeit eines Virus aus einer bisher völlig unbekannten Erregergruppe. Vielleicht aber hatte Knut auch eine Infektion durchgemacht, war das Virus wieder losgeworden, litt aber immer noch unter der tödlichen Gehirnentzündung. Möglich wäre das schon, erklärt Szentiks: „Wildtieren sieht man auch schwere Erkrankungen oft überhaupt nicht an.“ Andernfalls würden sie Feinden ja ihre Schwäche signalisieren. Das endet in der Natur häufig tödlich – selbst für einen eigentlich sehr kräftigen, 305 Kilogramm schweren Eisbären wie Knut.