Köln. . Wo wir auch hinschauen: Englische Wörter bestimmen unseren Alltag: Sale, Outlet, Coffee to Go. Zeigen wir dadurch, wie weltoffen wir sind? Oder verschandeln wir damit nur unsere Muttersprache? Die Antwort ist nicht leicht, aber es gibt eine.
Die Sonne ist da, der Urlaub noch nicht ganz. Aber in den Geschäften purzeln schon die Preise – Sommerschlussverkauf, nichts wie hin! Sommerschlussverkauf? In den Geschäften? Unsinn. Die Outlets machen Sale. Zum Beispiel Karstadt Town, der neue Concept Store in der Kölner Innenstadt.
Der macht sogar einen „Wow! Sale“. Das ist nicht für Hunde. Da gibt’s – Wow hin, Wau her – einen stinknormalen Bügeltisch für 35 Euro. Andererseits natürlich auch Koffer für Ihr Jet-Set-Leben. Sie haben gar kein Jet-Set-Leben? Macht nichts, denn diese Koffer sind der Burner! Da tut man Mode Made in Germany rein. Zusammen mit Schmuck von Thomas Sabo. Der eröffnet bald, sagt das Schild im Fenster: Coming Soon.
Englische Wörter bestimmen unseren Alltag
Wo wir auch hinschauen: Englische Wörter bestimmen unseren Alltag. Das führt nicht immer zu einem besseren Verständnis. Sollten wir daher die eigene Muttersprache selbstbewusster verteidigen? Oder müssen wir uns mehr für die Sprache Englisch öffnen, um weltweit mitreden zu können? Die Antwort ist nicht leicht, aber es gibt eine.
Diese ist es nicht: Adenauer & Co, respektive Cotton Garden – the essence of nature. Zwei Namen stehen an einem Laden – was soll das? Vor der Tür erklärt ein rauchender Angestellter: „Das sind zwei Brands. Die einen machen basic products, die anderen machen beach house feeling!“ Das Brand mit dem beach house feeling ist Adenauer & Co. Adenauer war nicht nur der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, sondern vor dem Krieg Oberbürgermeister in Köln. Nach dem Krieg gab es einen Sprachkurs „Lernt Rheinisch mit Konrad Adenauer“. Von beach house feeling wusste er nichts.
"Shopping" ist längst ein alter Hut
Wenn er heute durch seine Stadt ginge, müsste der Alte vermuten, die Engländer hätten als Besatzungsmacht noch immer alles unter Kontrolle. Die Geschäfte heißen Supa Salad, Paper Birdie, Nails For You, Samy Flower Design. Manche haben ihre germanischen Wurzeln fast völlig hinter sich gelassen: Unisex – Happy Hour – Dein Style All Inclusive. Manche schwanken noch. Einerseits hat man einen gut eingeführten Namen, andererseits will man nicht als Neandertaler erscheinen. Also? Bertram und Frank Women. Oder Schmuckgalerie Mommen Marrying.
Dass das Ganze Shopping heißt, ist ein alter Hut. Shopping kommt zwar aus dem Englischen, ist aber derart eingemeindet, dass es keiner mehr merkt. Das verhält sich zu Einkaufen wie Jogging zu Dauerlauf – ist eigentlich mehr oder weniger dasselbe, aber dann doch wieder anders. Moderner, weltläufiger, hipper. Dauerlauf war anstrengend, Jogging ist cool. Shopping ist auch cool. Und oft ein bisschen doof.
Das Englische ist im Deutschen allgegenwärtig
Der Kabarettist Gerhard Polt hat das schon vor über 30 Jahren auf die satirische Schippe genommen. In der Rolle des Bürgermeisters des fiktiven bayrischen Kurorts Bad Hausen pries er sein Kaff wegen der großartigen Freizeitmöglichkeiten an: Mushroom searching, fresh air snapping, Weißwurschting. Darüber wurde viel gelacht. Genützt hat es wenig.
In der Konsumwelt, beim Sport, in Wirtschaft und Wissenschaft, in der Pop-Musik und den Medien und natürlich im Internet und der Computer-Branche ist das Englische – oder was wir dafür halten – allgegenwärtig. Manches ergibt sich gleichsam natürlich, die Sprache begleitet den Import der Dinge.
Riffs, Beats, Licks und Loops
Dass deutsche Jugendliche in der Begeisterung für die früher unbekannten American Sports das entsprechende Vokabular – vom Mountain Bike über die Halfpipe bis zum Slam Dunk – übernommen haben, leuchtet ein.
Dass in einer einst durch Rock ’n’ Roll und die Beatles entfesselten Musikwelt Riffs, Beats, Licks und Loops kein brauchbares deutsches Gegenstück haben, ist ebenfalls nachvollziehbar. Und weil es lange her ist, dass Konrad Zuse bei der Entwicklung des Rechners eine Pionier-Rolle spielte, wird man sich damit abfinden müssen, dass der Computer sprachlich die Nase vorn hat. Aber das rechtfertigt nicht die Rundum-Verwendung der klebrigen Anglo-Sauce.
Deutsche Bahn will Englisch vermeiden
Was zum Teufel bedeutet eigentlich „passionate for taste“ und was „powered by Forum Gartenmöbel“? Warum ist aus der guten alten Hausverwaltung überall ein breitbeiniges „Facility Management” geworden? Und warum muss eine von Burda in München organisierte Konferenz, die sich mit Arbeit, Gesundheit und Bildung aus Sicht der Frauen befasst, Digital Life Design Women heißen und die knalldeutsche Schauspielerin Furtwängler als Chairwoman aufbieten? Weil es da Interventions, Panels und Power Points gibt?
Sowas muss nicht sein, hat die Deutsche Bahn entschieden, und die sollte es wissen. Jahrelang war die Bahn berüchtigt für ihre Affenliebe zur Anglisierung banaler Angebote. Die legendäre Durchsage „Senk ju vor träwelling“ wurde zum höhnischen Buchtitel. Zwei DB-Chefs verdienten sich als Möchtegern-Engländer den Schmäh-Orden „Sprachpanscher des Jahres“. Nun sollen aus Flyer und Counter wieder schlichte Handzettel und Schalter werden. Call-a-Bike bekommt den hilfreichen Zusatz „Mietrad-Angebot der Deutschen Bahn“. Dafür gab es Lob vom Sprachkritiker Wolf Schneider: „Englisch bei der Deutschen Bahn war Quatsch vom ersten Tag an.“
Sprachpfleger wollen die deutsche Sprache sichern
Schneider gründete mit drei Mitstreitern 2005 die Aktion Lebendiges Deutsch, um „das unbefangene Vertrauen in die eigene Muttersprache“ zu fördern und Front zu machen nicht gegen das Englische, wohl aber „gegen die schiere Anglomanie“. Gemessen an dem, was uns tagtäglich überall entgegenbrandet, ist der Erfolg bescheiden. Und das, obwohl die Sprachpflegerei sich großer Beliebtheit beim Publikum erfreut und der Widerstand gegen die englischen Einsprengsel ihr populärstes Anliegen ist. Rund 40 Prozent der Bürger stört die Flut der Anglizismen, unter den Älteren sind es mehr als zwei Drittel. Die Hälfte wünscht, dass dagegen etwas unternommen werde.
Wird es auch. Auf politischem Feld gibt es allerhand Bewegung: Vorstöße, das Deutsche als Sprache der Bundesrepublik im Grundgesetz zu verankern; diplomatische Bemühungen bei der Brüsseler EU-Kommission, die Sprache Goethes und Boris Beckers gefälligst als gleichberechtigte Arbeitssprache zu berücksichtigen; zuletzt ein Antrag der Regierungsfraktionen im Bundestag, „die deutsche Sprache zu fördern und zu sichern“.
Wir gehen nicht unbefangen mit unserer Sprache um
All das ist Ausdruck der patriotischen Normalisierung, die sich die Deutschen in den zweieinhalb Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung gegönnt haben. Auch das Verhältnis zur Sprache ist historisch belastet. „Wir Deutschen haben aufgrund unserer NS-Geschichte ein Problem mit unserer Sprache“, stellt der Bremer Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant fest. Doch Hitlers Schatten verblasst allmählich, das „unbefangene Vertrauen“ traut sich wieder was, in der Wirtschaft sowieso, aber auch beim Fußball, in der Kultur, in der Politik. Ohne dieses gewachsene Selbstbewusstsein hätte CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder kaum seine lärmige Parole ausgeben können, in Europa werde „jetzt Deutsch gesprochen“. Nur ist es ein bisschen wie bei den Koch-Shows: Viele gucken zu, wenige tun selber was. Das breite Bekenntnis zur Sprach-Gärtnerei, der Wille zur Stärkung der Immunkräfte gegen die angelsächsische Zugriffigkeit ist bislang ziemlich folgenlos.
Nach einer frohgemuten Lesart hat das damit zu tun, dass die hässlichen Anglo-Köttel auf unseren Sprachbeeten vielleicht nur der vergleichsweise geringfügige Begleitschaden eines begeisternden epochalen Vorgangs sind: Die Menschheit schickt sich an, das Verhängnis von Babel zu überwinden, und Englisch ist das Mittel. Die sprachlichen Gräben, die die Bewohner der Erde trennen und so oft auch entzweien, werden langsam zugeschüttet.
Joachim Gauck sieht in der englischen Sprache eine große Chance
Von diesem Optimismus – in einer bescheidenen Variante – beseelt ist kein geringerer als der Bundespräsident persönlich. Joachim Gauck sagt: „Mit einer gemeinsamen Sprache ließe sich mein Wunschbild für das künftige Europa leichter umsetzen: eine europäische Agora, ein gemeinsamer Diskussionsraum für das demokratische Miteinander.“ Die Agora war der Versammlungsort der freien Bürger Athens, die dort die Geschäfte ihrer Republik besprachen, natürlich auf Griechisch. Dankenswerter Weise, finden Gauck und andere, habe sich heutzutage das Englische zu einem so allumfassenden Kommunikationsmittel entwickelt, dass ein Austausch wie einst in Athen auf dem ganzen Kontinent möglich werde.
Wie wir am besten mit der englischen Sprache umgehen
In der Tat ist die Entwicklung in diese Richtung weit fortgeschritten. Die EU hat nach dem Beitritt Kroatiens jetzt 24 Amts- und drei Arbeitssprachen. Auf dem Papier sind Englisch, Deutsch und Französisch gleichberechtigt. Doch in der Praxis hat das Englische den beiden Konkurrenten längst den Rang abgelaufen. Zwar gibt es in Europa mehr deutsche Muttersprachler (rund 100 Millionen, nämlich auch in der Schweiz, Österreich, Liechtenstein, Belgien, Luxemburg und Südtirol) als englische (61 Millionen). Aber das Englische liegt nicht nur im Weltmaßstab vorn. Es ist auch in Europa mit großem Abstand Zweitsprache Nummer eins. „Das ist doch wunderbar!“, jubelt der Germanist Karl-Heinz Göttert in seiner „Biographie“ der deutschen Sprache – „Englisch ist das neue Latein.“
Jüngere sind früh in- und online unterwegs
Also – lasst uns alle Englisch lernen, Babel vergessen und nicht mehr über Coffee to Go lamentieren? Zumal doch die Statistik zeigt, dass die Jüngeren, schon früh inline und online unterwegs, weniger Scheu vor dem anderen Zungenschlag haben. Aber ganz so einfach ist es nicht. Zum einen ist Englisch eine schwere Sprache. Man übersieht das nur leicht, weil die Anfänge einfach sind. Aber es gibt Grund zur Skepsis, wenn fast zwei Drittel der Deutschen versichern, Englisch zumindest „einigermaßen gut“ zu beherrschen. Unsere Sportreporter haben jedenfalls Jahre gebraucht zu begreifen, dass Schumacher, Vettel und Co. nicht von einer „pool position“ – also aus dem Schwimmbecken – ins Rennen gehen, sondern vom Start-Ziel-Pfosten, der „pole position“.
Zum zweiten ist die Gefahr von Missverständnissen groß. „I hear what you say“ (ich höre, was du sagst), erklärt der Brite, und meint: „Ich bin völlig anderer Ansicht und will darüber nicht mehr reden.“ Der Deutsche indes versteht das Gegenteil: „Ich bin einverstanden.“ Wer Englisch als Zweitsprache lernt, kommt fast nie auf dasselbe Niveau wie die Muttersprachler. Das ist, als ob man mit einem Federball-Schläger gegen Tennisspieler antreten muss – ein Hauptgrund, warum die Briten in Brüssel politisch viel einflussreicher sind, als angesichts ihrer Distanz zur EU zu vermuten wäre.
Der Sprung in eine andere Sprache ist aber nicht nur ein Wettbewerbsnachteil. Vor allem ist und bleibt er ein Identitätsverlust. Denn jeder ist so, wie er spricht, und wenn er eine Fremdsprache spricht, ist er nicht mehr ganz er selbst. Identität ist Sprache, deswegen heißt es Muttersprache. Die gehört zum Vaterland und ist in globalisierter Version nicht verfügbar.
Es gibt mithin guten Grund, sich darüber zu freuen, dass nach Griechisch und Latein in der Antike und Französisch in der Neuzeit seit rund 100 Jahren das Englische in zunehmendem Maße als lingua franca, als Allgemeinsprache weltumspannend zur Verfügung steht. Es ist ein fabelhaftes, überaus reiches und pfiffiges Idiom, in dem sich manches prägnanter ausdrücken lässt als im Deutschen. Wir sollten es erlernen, so gut es geht. Und wir müssen keine Bange haben, nach alter Väter Sitte diesen Riff und jenen Beat in unser eigenes Idiom zu übernehmen, wenn sich da nichts Besseres findet. Aber wir sollten so klug sein zu wissen, dass für die meisten von uns Englisch niemals sprachliche Heimat sein wird. Jedenfalls nicht „all inclusive“.