Essen. . Wetter und Gefühle: Warum wir so oft nicht verstehen, was der Wetterbericht uns sagt - und wie sich Regen und Sonnenschein tatsächlich auf unser Gemüt auswirken. Ein Spaziergang an einem unbeständigen Wochenende.

Mittwoch, 12 Uhr, Katernberg, 17 Grad: Es schüttet wie aus Eimern, Thomas Hobler versucht, zwischen den Tropfen hindurchzurennen. Regenschirm? Fehlanzeige. Obwohl das Risiko 85 Prozent betrug. Der 35-Jährige hatte dagegen gewettet – und verloren. Donnerstag, 13 Uhr, Werden, 16 Grad: Über Hobler türmen sich düster die Wolken, er lässt den Regenschirm von einer Hand in die andere wandern. Heute wollte er auf Nummer sicher gehen. Und was passiert? Nichts. Regenrisiko? 85 Prozent, schon wieder. Freitag, 20 Uhr, Rüttenscheid, 13 Grad: Thomas Hoblers Schirm liegt im Auto. Als er den Parkplatz suchte, war es noch trocken. Und jetzt, auf dem Weg vom Supermarkt zum Wagen, sieht er wieder aus wie ein begossener Pudel. „Langsam habe ich aber die Faxen dicke“, flucht er.

Eigentlich schert sich Thomas Hobler überhaupt nicht ums Wetter, er joggt jedes Wochenende, bei Regen und Schnee – und seine Stimmung hängt von vielem ab, aber nicht vom Wetter. Seine Frau hingegen packte den Regenschirm sogar ein, als sie neulich nach Teneriffa flogen. Thomas Hobler hingegen hasst nur Überraschungen. „Dieses Wetter ist im Moment ja das Roulette des kleinen Mannes“, scherzt er.

Kein Mensch versteht "meteorologisch"

Ganz unschuldig sind die Meteorologen an diesem Glücksspiel nicht. Heiter bis wolkig, Luftfeuchtigkeit und Regenwahrscheinlichkeit: Wettermeldungen stecken voller meteorologischer Begriffe, die verständlich klingen, aber nur selten richtig verstanden werden. Ein kurzer Blick auf den Wortnebel und darauf, was das Wetter mit uns anstellt.

Hören wir uns mal einen typischen Wetterbericht an, nur so als Beispiel: „Nach Wolkenauflösung am Samstagvormittag gebietsweise sonnig, später heiter bis wolkig, meist trocken. Am Sonntag stark bewölkt bis bedeckt mit einer Luftfeuchtigkeit um 50 Prozent; das Regenrisiko liegt vormittags bei 20, am Nachmittag bei 85 Prozent.“ Haben Sie alles verstanden? Sehr schön. Dann wissen Sie ja jetzt auch, ob es für unseren Thomas Hobler sinnvoll wäre, für den Spaziergang am Sonntag einen Regenschirm einzupacken. Oder etwa nicht?

Was ist schon „heiter“?

Regen kann so schön sein...
Regen kann so schön sein... © Jan-Michael Richter/Jamiri

Zunächst zur Bewölkung: Das Problem beginnt ja schon damit, dass jeder Laie sich unter heiter, wolkig oder bedeckt etwas vollkommen Anderes vorstellt. Meteorologen nennen das Wetter „heiter“, wenn der Himmel zu zwei Achteln (also einem Viertel) von Wolken bedeckt ist. Bei einem Wolkenanteil von drei Achteln (immerhin 38 Prozent) sagen sie, es sei „leicht bewölkt“. Ist der Himmel nur zur Hälfte frei von Wolken, nennen Wetterfrösche das „wolkig“ – eine ziemlich willkürliche Festlegung.

Zudem könnte man diesen Bewölkungsgrad ebenso gut „sonnig“ nennen, wo Sonne und Wolken sich das Himmelszelt doch hälftig teilen. Erst wenn der Himmel ein weiteres Achtel seines Blaus einbüßt, sprechen Fachleute von „bewölkt“. Nach einem weiteren Achtel ist der Himmel dann stark bewölkt, nämlich bereits zu drei Vierteln. Sonnig im meteorologischen Sinne ist übrigens nicht dasselbe wie wolkenlos. Ein sonniger Tag ist einer, bei dem der Himmel immerhin zu einem Achtel von Wolken gesprenkelt ist.

Sonniger Tag? Unabhängig von den Meteorologen könnte man als Kriterien natürlich auch die Rocksaumlänge in den Fußgängerzonen, die Sandalenhäufigkeit in den Eiscafés oder gar das frühlingshafte Flattern in der Magengegend festlegen. Aber stimmt eigentlich dieser immer wieder angenommene Zusammenhang zwischen Wetter und Stimmung? Gefühlt ja, statistisch nein. Von Mitte 2005 bis Anfang 2007 füllten mehr als 1200 Deutsche einen Monat lang jeden Tag einen Online-Fragebogen der Berliner Humboldt-Universität aus, sie gaben an, wie gerade ihre Stimmung war. Das Ergebnis war eine schwere Erschütterung für jeden Straßencafé-Glotzer und jede Bikini-Nixe: Ob Sonne oder Regen, im Durchschnitt beeinflusst das unsere Stimmung kaum. Ein Ergebnis, dessen Gültigkeit man freilich in diesem Sommer so oft wie möglich persönlich in Zweifel ziehen muss.

Mancher Begriff ist „sehr schwammig“

Womöglich mögen viele Menschen den Wetterbericht aber so gerne, weil er viele Interpretationen offenlässt. Andreas Friedrich, ein Sprecher des Deutschen Wetterdienstes (DWD), räumt denn auch ein, dass so mancher Begriff im Wetterbericht „sehr schwammig“ ist. Aber in den notgedrungen knappen Wettermeldungen – vor allem in denen für ganz Deutschland – sei es generell ein Problem, sich fachlich präzise und auch noch verständlich auszudrücken.

Schon der völlig klar klingende Hinweis, „im Westen“ regne es morgen, werde in Köln sehr wahrscheinlich anders verstanden als in Dresden. Für den einen meint der Westen die Himmelsrichtung, für den nächsten Westdeutschland – ebenfalls ein eher unklares Gebilde.

© WNM

Besonders heikel ist der Begriff „Regenwahrscheinlichkeit“. Im eingangs erwähnten, aber frei erfundenen Wetterbericht soll sie für den Sonntag erst 20, später 85 Prozent betragen. Was aber heißt das nun? Regnet es jetzt oder nicht – und wenn ja, wie viel? Vor einigen Jahren hat der Psychologe Gerd Gigerenzer vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung gemeinsam mit Fachkollegen Wetterlaien in New York, Amsterdam, Berlin, Mailand und Athen vor folgende Aussage gestellt: „Morgen beträgt die Niederschlagswahrscheinlichkeit 30 Prozent.“ Die Befragten sollten dann angeben, welche Konsequenz das am wahrscheinlichsten hat. Zur Wahl standen drei Möglichkeiten:

1.) Morgen regnet es auf 30 Prozent der Fläche im Vorhersage-Gebiet.

2.) Morgen regnet es 30 Prozent der Zeit (also über 7 Stunden lang).

3.) Es wird an 30 Prozent der Tage regnen, die sich durch die gleiche Wetterlage auszeichnen wie der morgige Tag.

Die meisten New Yorker wählten die dritte Antwort, während diese Lösung den Europäern abwegig vorkam. Sie bevorzugten öfter die zweite Möglichkeit, also den Tagesanteil, den es wohl insgesamt regnen würde. Recht aber hatten die Amerikaner. Sie waren bereits seit vierzig Jahren an die Angabe von Regenwahrscheinlichkeiten gewöhnt, während Deutsche diesen Ausdruck erst seit 1990 zu hören bekommen.

Schüttet es? Oder nieselt es?

Um es noch einmal festzuhalten: Eine Regenwahrscheinlichkeit von 30 Prozent ist nicht etwa das Ergebnis einer Abstimmung unter Wetterexperten, wie eine Frau in der erwähnten Umfrage meinte. Sie bedeutet schlicht, dass es an drei von zehn Tagen mit der gleichen Wetterlage regnen wird – und zwar mindestens einmal. Über Dauer und Menge des Regens ist damit noch nichts gesagt. Es kann zwei Stunden lang wie aus Kübeln gießen oder für eine Minute tröpfeln. Wird die Niederschlagsmenge miterwähnt, zum Beispiel als Angabe „2 Millimeter“, dann können etwa zwei Liter Regen pro Quadratmeter fallen – aufs Jahr hochgerechnet ein für viele Gegenden hierzulande durchschnittlicher Wert.

Beim Deutschen Wetterdienst weiß man selbstredend, dass Regenwahrscheinlichkeit ein heikler Begriff ist, der „von der Mehrheit der Deutschen nur schwerlich verstanden“ wird, sagt Andreas Friedrich. „Deshalb verwenden wir ihn auch nicht offiziell“, außer gegenüber der Versicherungswirtschaft, die mit Wahrscheinlichkeiten umzugehen weiß. Und das von manchen Wetter-Moderatoren im Radio – vor allem im Sommer – gerne verwendete Wort Regen-Risiko „benutzen wir sowieso nicht“, fügt der Meteorologe hinzu.

„Morgen Sonne, Gott sei Dank!“

Steigert Sonne die Stimmung? Man sollte es meinen.
Steigert Sonne die Stimmung? Man sollte es meinen. © Getty

Generell seien alle DWD-Mitarbeiter gehalten, das zu erwartende Wetter nicht zu bewerten. Unerwünscht sind zum Beispiel Aussagen wie „Morgen Sonne, Gott sei Dank!“ oder „Leider Regen am Wochenende“. Denn während die meisten Menschen langahnhaltendes schönes Wetter freue, kann es Friedrich zufolge „für manche existenzbedrohend sein“, zum Beispiel für Bauern nach der Aussaat, die dringend Regen brauchen, damit die Feldfrüchte gut gedeihen. Normaler Regen ist kein Risiko, sondern lässt Wälder wachsen, reinigt die Luft und kühlt im Sommer überhitzte Städte. Wie man das Wetter bewertet, hängt eben stark davon ab, ob man etwa Kinobesitzer oder Strandbarbetreiber, Beach-Volleyballer oder Kanu- und Kajakfahrer ist – letztere mögen den Regen, weil dann die Fließgeschwindigkeit in Flüssen und Bächen steigt.

Auch die allgemein unwidersprochen hingenommene Behauptung, dass Wetter und Depressionen zusammenhängen, treibt einige kuriose Blüten. Zwar gibt es in der kalten Jahreszeit, wenn es dunkler, bewölkter und regnerischer ist als sonst, das Phänomen der Lichtmangeldepression. Sie lässt sich mit künstlichem UV-Licht und Vitamin D bekämpfen. Doch die höchsten Suizidraten verbuchen die Statistiker regelmäßig im späten Frühjahr. Und das hängt eher indirekt mit dem Wetter zusammen. Denn depressive Menschen neigen dazu, sich mit anderen Menschen zu vergleichen. Und im Frühjahr, wenn andere scheinbar gut gelaunt unter freiem Himmel flanieren, fällt dieser Vergleich für die Depressiven natürlich noch ernüchternder aus.

Vertraut klingende Wörter

Schon bald werden die ersten über die Hitze klagen.
Schon bald werden die ersten über die Hitze klagen. © Getty

Zurück zu den meteorologischen Begriffen. Auch Thomas Leisner kennt das Problem rund um häufig verwendete meteorologische Begriffe. „In der Tat haben selbst meine Studenten manchmal Schwierigkeiten damit“, sagt der Umweltphysiker, der am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erforscht, wie sich Wolken bilden. Einer dieser so vertraut klingenden Begriffe ist Leuchtfeuchte, die wir auch als Luftfeuchtigkeit kennen. Sie bezeichnet den Anteil des Wasserdampfes am gesamten Gasgemisch der irdischen Atmosphäre. Wasserdampf im wissenschaftlichen Sinne ist nämlich ein Gas und deshalb unsichtbar. Deshalb sind Nebel oder Wolken physikalisch gesprochen auch keine Dampfgebilde, denn sie bestehen aus schwebenden Wassertröpfchen. Aus diesem Grund zählt das Wolken- oder Nebelwasser ebenso wenig zur Luftfeuchtigkeit wie die Wasserkristalle in Eiswolken.

Hat das Auswirkungen auf unser Wohlbefinden? Zumindest wenn man Rheumatiker ist, bewirken sinkende Lufttemperaturen und steigende Luftfeuchtigkeit, dass sich die Schmerzen verstärken. Ansonsten ist die Wetterfühligkeit ein Phänomen, mit dem Forscher sich seit Jahrzehnten beschäftigen, ohne zu gesicherten Aussagen zu gelangen. Im Gegenteil: Wenn Menschen, die sich selbst als wetterfühlig bezeichnen, eine Vorhersage treffen sollen, greifen sie fast immer daneben.

Noch ein Mal zu Thomas Hobler. Er hatte den Vatertagsausflug wegen der schlechten Vorhersagen abgesagt. Und da schien die Sonne. Hobler hasst sogar solche Überraschungen. „Die Ausflugsstimmung war schon bei der Vorhersage ruiniert.“

Nehmen wir mal den Wetterbericht fürs Pfingstwochenende. Zumindest am Samstagabend bis Sonntagvormittag soll es eher nicht regnen, Regenrisiko 20 bzw. 25 Prozent. Doch Hobler wird den Schirm einpacken, denn er kennt noch den Scherz aus seinem Statistikunterricht in der Schule. „Wenn eine Regenwahrscheinlichkeit von zehn Prozent besteht, dann werde ich zu 100 Prozent nass.“