Washington. . Pulitzerpreisträger Richard Ford erzählt in seinem Roman „Kanada“ vom Sohn eines Kriminellen, der sich sehnlich wünscht, normal zu sein. Doch was ist das überhaupt? Ein Gespräch über die Arbeit als Schriftsteller und Amerika - und über die Idee, eine Bank zu überfallen.

Richard Ford, geboren 1944 in Jackson, Mississippi, wurde mit der preisgekrönten Trilogie über den Sportreporter Frank Bascombe weltberühmt. In seinem neuen Roman „Kanada“ schildert der Autor, wie das behütete Leben des 16-jährigen Dell Parsons zu Ende geht. Sacha Verna sprach mit ihm über die Arbeit als Schriftsteller und Amerika.

Richard Ford, wann waren Sie zuletzt versucht, eine Bank zu überfallen?

Ford: (Lacht) Es erscheint Ihnen also auch plausibel, dass ein unbescholtener Bürger auf diese Idee kommen könnte?

So plausibel, wie es dem kreuznormalen Ehepaar in Ihrem Roman erscheint, das dann allerdings im Gefängnis landet.

Mich interessiert seit meiner Kindheit, wie nahe das normale Leben und das nicht normale beieinander liegen. Als ich jung war, haben meine Freunde und ich immer mal Einbrüche begangen und Autos gestohlen. Ich sah, wie fließend die Grenze zwischen solchen Bagatelldelikten und ernst zu nehmenden Verbrechen ist. Nicht, dass ich es je wirklich in Betracht zog, eine Bank zu überfallen. Aber ich wusste instinktiv, dass Bankräuber Menschen waren wie ich.

Können Sie sich in jemanden hineinversetzten, der plötzlich um sich schießt?

Mord ist etwas ganz anderes.

Ich bin wie du, du bist wie ich

Aber auch bei Massenmördern fällt den meisten Leuten immer erst im Nachhinein das vermeintlich verdächtige Benehmen ihres netten Nachbarn auf.

Damit schützen wir uns selber. Wir wollen uns nicht eingestehen, dass sich selbst Massenmörder nicht allzu sehr von uns unterscheiden. Ich glaube nicht, dass Menschen grundsätzlich gut oder grundsätzlich böse sind. Menschen tun Gutes und Böses. Meine Aufgabe besteht darin zu zeigen, wie es dazu kommt und mich in die handelnden Figuren hineinzudenken. Schriftsteller zu sein, heißt zu sagen: Ich bin wie du, du bist wie ich.

Ist das nicht anmaßend?

Nur insofern, als ich mir damit gewisse menschliche Eigenschaften anmaße. Aber das tue ich, um die Welt zu verbessern.

Wie bitte?

Ich glaube, dass das Lesen von Büchern täglich einige zu besseren Menschen macht. Literatur kann ein Mittel dazu sein, sein eigenes Verhalten zu korrigieren – soweit man das eigene Verhalten unter Kontrolle hat. Literatur hilft einem, die Welt zu verstehen. Nicht nur Autoren müssen über Einfühlungsvermögen verfügen, auch die Leser.

In „Kanada“ versetzen Sie sich in Dell, den 16-jährigen Sohn der erfolglosen Bankräuber, der sich sehnlich wünscht, so zu sein wie alle anderen.

Neulich besuchte mich ein Freund, ein Dichter. Er erzählte mir, dass er als Junge ein Einzelgänger war und nur Dinge las, die verboten waren. Er war unbeliebt. Das sagte er, als wäre er stolz darauf. Ich habe immer alles getan, um nicht dieser Junge zu sein.

Sie wollten also auch so sein wie alle anderen?

Oh ja. Obwohl ich die Gesellschaft, in der ich aufwuchs, eigentlich nicht mochte.

Ich sehe so aus wie die Hummerfischer

In Jackson, Mississippi?

Ich fand den Rassismus abstoßend. Mir missfiel, dass alle reicher zu sein schienen als wir. Und doch ergab ich mich dem unerbittlichen Zwang, mich anzupassen. Dieses Anpassungsbedürfnis bin ich absurderweise bis heute nicht losgeworden.

Sie leben seit Jahren abgelegen an der Küste von Maine und schreiben Bücher. So gewöhnlich ist diese Existenz nicht.

(Lacht) Wenn ich einkaufen gehe, schauen mich die Leute nicht an wie jemanden, der Bücher schreibt. Ich sehe genau so aus wie die Hummerfischer oder der Kurzwarenhändler. Ich mag das Gefühl, ein Durchschnittsleben zu führen, das mich tun lässt, was ich will.

Vielleicht ist das ja der amerikanische Traum: So zu sein wie alle anderen, nur mit einem größeren Auto.

(Lacht) Ja, das größere Auto ist wichtig. Im Ernst: Außer euch Europäern und unseren Politikern in Wahlkämpfen höre ich nie jemanden vom amerikanischen Traum reden. Die Amerikaner sind viel zu sehr mit ihrer Arbeit, ihrem Urlaub und der Zukunft ihrer Kinder beschäftigt, um sich zu fragen, wie weit sie mit der Erfüllung des amerikanischen Traums sind.

Und die Politiker?

Die versuchen uns an den Mythos zu erinnern und ihn für ihre Zwecke zu nutzen. Lauter Lügen. In Amerika gibt es keinen differenzierten politischen Dialog. Republikaner wie Demokraten betrachten die Lebenswirklichkeit in diesem Land von einem Luftballon aus, aus sicherer Distanz. Wie Präsident Bush, der über das überflutete New Orleans flog. Deshalb sind Romane so wichtig: Sie zeigen uns das Leben aus der Nähe.

  • Richard Ford: Kanada. Übersetzt: Frank Heibert, Hanser. 464 Seiten, 24,90 Euro