New York. . Als einer der Top-Verdiener im Jazzgeschäft wehrt sich Pat Metheny vehement gegen Engstirnigkeit und konservatives Denken. Besonders, wenn es um Musik geht. Mit seiner Unity-Band will er in dieser Hinsicht ein Zeichen setzen.

Neun Uhr morgens, New Yorker Ortszeit. Für einen Musiker, der seit gefühlten Ewigkeiten seine Abende und Nächte mit Konzerten und dem anschließenden Runterkommen vom Adrenalin-Pegel verbrachte, ist Pat Metheny außergewöhnlich früh für Interviews verfügbar. Aus gutem Grund, wie er erklärt.

„Seit ich Vater dreier Kinder bin, von denen das jüngste, meine Tochter, gerade zwei Jahre alt ist, gehören das frühe Aufstehen und die Fahrten zu Kindergarten und Schule zu meinem Alltag, wenn ich daheim in Manhattan bin.“ Dass Pat Metheny lediglich am Telefon zu greifen ist, um über sein neues Musiker-Konglomerat „Unity Band“ und sein gleichnamiges, neues Album zu sprechen, ist also weder der vermeintlichen Bequemlichkeit, aber auch nicht nur seinen väterlichen Pflichten geschuldet.

Ein Kopf voller Musik

Der 57-jährige Gitarristen-Star, Komponist und Produzent, gehört nicht von ungefähr zu den Top-Verdienern des Jazz. Seiner grenzenlosen Musikalität ist es geschuldet, dass er seit knapp vier Dekaden mehr als 200 Tage im Jahr auf Konzertreisen ist und nach jeder Plattenaufnahme umgehend Studiozeit für weitere Einspielungen bucht. Wie mag es wohl im Kopf dieses Mannes aussehen, der so viel Musik in sich trägt? Eines Mannes, der gleich mehrere Trio-Besetzungen, seine berühmte Pat Metheny Group und zusätzlich neuerdings seine „Unity Band“ gleichzeitig schultert? Von seinen Solo-Einspielungen ganz zu schweigen.

Im letzten Jahr dozierte Metheny während des New Yorker „Welt-Wissenschafts-Festivals“ zum Thema „Musik und die Zündkraft der Spontaneität“. Seine simple These: Die Zweigleisigkeit unserer Gehirnstrukturen sucht einerseits lebenslänglich nach vertrauten Mustern. Andererseits entfacht zu viel Vertrautes den Wunsch nach Abweichungen und Abenteuern.

19 Grammys für Pat Metheny

Wer die hier ausgesprochene Improvisations-Notwendigkeit umgehend mit einem „Heureka!“ bedenken will und meint, Methenys epische Musikauffassung so entschlüsselt zu haben, der verkennt eine nicht minder wichtige Grundauffassung des 19-fachen Grammy-Gewinners. „In meinen Augen ist es ein Fehler, wenn Musik mit ästhetischen oder politischen Merkmalen überzogen wird.

Von ihrem Wirkungsfreiraum, den man mit solchen Diskussionen beschneidet ganz abgesehen, sagen die an sie gehefteten, ästhetischen und politischen Aspekte überhaupt nichts über die Musik selbst aus. Mein ganzes Musikerleben lang fühlte ich mich ausschließlich der Musik selbst und den gut klingenden Noten verpflichtet. Diese Ansicht schlägt sich in der Zusammensetzung der ‚Unity Band’ und unserem neuen Album nieder.“

Freifahrtschein zum Versöhnlichen

Pat Metheny regt sich ein wenig auf, wenn er Ansichten wie diese formuliert. Keineswegs grundlos. Man warf ihm schon Schönfärberei bis hin zur Sozialromantik vor, weil er Jazz immer als Freifahrtschein zum Versöhnlichen, statt als Befehl zum musikalischen Widerstand begriff. „Deswegen wählte ich auch den Namen ‚Unity Band’. Mein neues Quartett vereint Musik, die man vielleicht als Rock, oder als Folk oder was auch immer bezeichnen mag. Aber solche Begriffe sind mir wegen ihrer Bedeutungslosigkeit völlig egal. Wichtig ist die Qualität der Musik selbst“, ergänzt Metheny.

Kunstvoll inszenierte Kontrapunktik, Nuancenreichtum und melodische und rhythmische Vielschichtigkeit weisen im „Unity Band“-Album in eine Zukunft, in der für den Modernismus Hoffnung besteht – als Gegensatz zum Fundamentalismus . Vor allem im Jazz.

Erstmals wieder mit Saxofon

Erstmals seit seinem „80/81“-Doppelalbum, bereitet Metheny mit Chris Potter wieder einem Saxofonisten Platz auf einem seiner Alben. „Es dauerte tatsächlich 30 Jahre bis ich mit Chris wieder einen Musiker fand, der nicht in erster Linie Saxofonist, sondern Musiker mit großer Weitsicht ist“, erklärt Metheny.

Im Verbund mit Drummer Antonio Sanchez und Bassist Ben Williams, darf Methenys „Unity Band“ tatsächlich episch zum großen Jazz-Befreiungsschlag ausholen. Das Quartett streift Folk in „New Year“ und lässt Edgar Varese in „Signals“ nach Brasilien reisen und belebt in „Roofdogs“ den Jazz-Swing der frühen Pat Metheny Group wieder.

Ob „Unity Band“ ein Zugeständnis an die Jazz-Gemeinde ist, die ihm für seine Gitarren-Huldigung seiner Pop-Helden auf seinem letzten Album „What’sIt All About“ die „Goldene Zitrone 2011“ überreichen wollte, lässt Metheny kurz entsetzt aufstöhnen. „Ich bin kein Misanthrop, aber, wenn ich so was höre, spüre ich verstärkt, was mir schon seit 40 Jahren im Blut liegt – ich gehöre nicht dazu“, sagt er zum Schluss.

Er ist genervt, kündigt das erste Pat-Metheny-Group-Album seit sieben Jahren für 2013 an und mutmaßt, dass der bevorstehende Tag trotz der frühen Konfrontation mit der Engstirnigkeit von Stil-Fragen nicht schlecht enden wird. „Die Verweigerung konservativer, populistischer Impulse, sowohl in der Musik als auch in der Politik birgt einen großen Vorteil: Man kann den Individualismus leben. Vor allem in der Musik.“

  • Pat Metheny: Unity Band (Nonesuch/Warner)