Der Norweger Tord Gustavsen hat seinen minimalistischen Jazz um ein Saxofon erweitert und liefert zehn perfekt abgestimmte Jazz-Kammerstücke, die jedem Ton behutsam Luft lassen. Es ist ein erstklassiges Album geworden.

Tord Gustavsen überrascht: Für den Mann der leisen Töne war weniger immer mehr, und jetzt erweitert er seine Band, ergänzt seine zarte, minimalistische Musik ausgerechnet um ein Saxofon – und nimmt prompt ein erstklassiges Album auf.

Es ist schon eine Weile her, da ist Gustavsen in Herne aufgetreten und galt noch als Geheimtipp. So, wie der unscheinbare Mittdreißiger aus Norwegen damals sein Trio ansagte, in Gedanken versunken und mit kaum hörbarer Stimme, spielte er auch Klavier: Leise, konzentriert und lyrisch. Mit wenigen Tönen entfaltete er melodische Motive, spürte still Stimmungen nach und zeigte, wie wenig das Wesentliche sein kann.

Das ist schon sechs Jahre her; inzwischen hat sich Gustavsen in der europäischen Jazzszene fest etabliert und mit seinem Trio drei Alben eingespielt (darunter auch das hervorragende „The Ground”). Nach einem weiteren Album und vielen Auftritten, bei denen er verschiedene Besetzungen ausprobierte, hat sich der Norweger nun entschieden, die Form beizubehalten, die sich dabei als beste herauskristallisiert hat: das Quartett mit Saxofon, Bass und Schlagzeug.

Vom ersten Ton an vertraut

Und damit hat er alles richtig gemacht. Die Musik auf „The Well” ist unverkennbar und vom ersten Ton an vertraut – der zarte Anschlag, die vorsichtige Stille, die perlenden Motive, die subtil melancholischen Grooves und poetischen, fast folkloristischen Weisen, das samtig flüsternde Schlagzeug von Jarle Vespe­stad –, dichter, dunkler und fließender als früher. Tore Bunborgs Saxofon, das neu hinzugekommen ist, schwebt wie eine rauchige Vorahnung durch das Prelude und öffnet die Ohren für das, was folgt: Zehn perfekt abgestimmte Jazz-Kammerstücke, die jedem Ton behutsam Luft lassen, die auf eine stille Art dramatisch und rätselhaft sind, deren singende, feierliche Motive ergreifen und in die sich das Saxofon einfügt, als sei es schon immer dabei gewesen.

Kühle Klanglandschaft

In „Communion” entwirft das Quartett eine kühle Klanglandschaft, klirrend und unwirklich. Aber so umsichtig und dann doch melodiös, dass sie nicht ins Experimentelle driftet, sondern subtile Spannung aufbaut und trotzdem Bodenhaftung behält, um schließlich in die verblassende Idee einer Hymne münden. Und in „Circling”, einer elegischen Americana-Variante, swingen und klingen zwischen mystischen Linien und reduzierten Gospel-Riffs auch die Phrasen, die Gustavsen gar nicht spielt. Es sind Augenblicke, in denen Skizzen und Andeutungen die Essenz und die Seele eines ganzen Stücks offenbaren. Tord Gustavsen beherrscht sie, auch im Quartett: die Kraft der leisen Töne.

  • Tord Gustavsen Quartet: The Well (ECM/Universal)