Essen. .

Was Dr. Oetkers Rezepte auf deutschen Tischen veränderten. Ein Blick auf 100 Jahre Herd-Historie. Mal Völlerei, mal Mangelwirtschaft. Die Herrentorte kam, die Herrentorte ging.

Man kann die Geschichte des Kochens relativ einfach gliedern: Ehe der Mensch das Feuer erfand, blieb die Küche kalt.

Die andere Möglichkeit hieße, in der Herd-Historie völlig aus- und damit abzuschweifen, also zu erzählen von dreifach gefüllten Schwänen über mit Blattgold panierte Schnitzel hin zu traurigen Jahrhunderten voller Gerstenbrei. Aber das Wichtigste ist anlässlich des 100. Geburtstags des „Dr. Oetker Schulkochbuchs“ ja doch gesagt: „Die Hausfrau richtet sich am besten nach dem sogenannten Voranschlage, den sie mit Hilfe des Hausherrn leicht aufstellen kann.“

Es beschleicht einen eine Ahnung, warum die ideale Rollenverteilung von Mann und Frau in der frisch gedruckten Neuauflage partout nicht mehr zu finden ist. Wir vermuten jene emanzipatorische Unterwanderung, der in den 100 Jahren auch muntere Oetker-Werbespots der Nierentischtage missbehagte: „Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen? Und was soll ich kochen?“

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Da sitzen wir über der Historie des berühmtesten Kochbuchs der Deutschen, lachen über Anfänge, die kaum einen Steinwurf vom Neandertal (1911: „Wir wissen, dass jedes Feuer am lustigsten brennt, wenn ihm mit der Luft . . .“) zu liegen scheinen oder verspüren allein bei der Lektüre von Wirtschaftswunderleckereien das sachte Bedürfnis nach einem Verdauungsschnaps. Wer wollte ihn uns versagen, da Mutti den Skatbrüdern um 1960 die berüchtigte Herrentorte, ein nahrhaftes Monstrum aus vollfettem Frischkäse, Schinken, Butter, Sahne und etwas Pumpernickel kredenzte?

Eintopfsonntage

Die Herrentorte kam, die Herrentorte ging. Sie war in bester Gesellschaft in einer Welt, die von Mangelwirtschaft bis Völlerei alles erlebt hat, die Köstlichkeiten bejubelte, anderes ächtete. An 100 Jahren Schulkochbuch lässt sich alles ablesen. Früher Patriotismus voller Kartoffeln etwa. Oder weibliche Vorsicht in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit: „Der Mann, welcher mit zu magerer Kost ernährt wird, greift oft zum Branntwein, um sich zu erwärmen. . .“. Dann der zweite Weltkrieg mit seinen Eintopfsonntagen. Und jene Menschen, so erzählen es die Alten noch heute, die sich in schlimmsten Steckrübenzeiten aus Oetker-Büchern vorlasen: Wie Märchen klangen da die Anleitungen zu Welfenspeise und Rebhuhn.

Als das Märchen wahr wurde und Buttercreme so wichtig wie Bundesliga, hatten die Deutschen schon vergessen, dass ihr erster Kanzler ein Patent auf fleischlose Leberwurst angemeldet hatte. Wen kümmert schon sein Rezept von gestern?

Milchsuppe und Grießpudding

Die Jubiläumsausgabe (siehe Info-Box) aber hat auch dafür ein Herz. Tatsächlich gibt es dort wieder Grießpudding, Milchsuppe und Frankfurter Grüne Sauce. Daneben stehen die einst als Exotik bestaunten Paprikaschoten (gefüllt). Pesto macht genauso Schule wie Kohlroulade.

Geschichte aber sind Tipps für Reinlichkeit, auch die „billigen Blumen“ (1911) zur Hübschung des Tisches wurden längst von der Redaktion gepflückt. Aber wie jeder weiß, schleicht sich die alte Kulturtechnik des Kochens hunderttausende Jahre nach ihrer Entstehung wieder aus ganzen Schichten der Gesellschaft heraus. So erklärt sich wohl auf Seite 256 die Rückkehr zu einem anfängertauglichen Klassiker. Denn nicht das Huhn war zuerst da, sondern: das „gekochte Ei“.