Essen. .

Bei „Fanfiction“ werden Anhänger von Serien und Filmen selbst zu Autoren. Sie geben den Geschichten im Internet einen neuen Dreh. Da treffen Vampire auf Zauberer, da werden Feinde zu Freunden.

Harry Potter ist ja jetzt mit Draco Malfoy zusammen. Egal, dass die beiden sieben Bücher und acht Filme lang erzigste Erzfeinde waren, inzwischen haben sie seit Jahren ein Affäre.

Nun lässt sich J.K. Rowling ja manches einfallen, aber das ist garantiert nicht von ihr. Der Plot rund um „Drarry“ – ein Kunstwort aus „Draco“ und „Harry“ stammt von einer Autorin namens Kjmom. Es ist eine von Tausenden Geschichten, die Potter-Fans selbst geschrieben und online veröffentlicht haben. Fanfiction heißt das Genre, bei dem die Verfasser Figuren und Hintergründe borgen und sie dann – im Extremfall – in wenig plausible Situationen schicken, um dort klischeeige Sätze zu sagen und vorhersehbare Dinge zu tun. Das endet oft mit grandiosen Liebeserklärungen, manchmal mit dem Tod und gar nicht so selten mit einem Gefühl von „Muss das denn sein?“

Wo sich Welten begegnen

Fanfiction ist ein Massenphänomen. Allein auf Fanfiction.net finden sich mehr als 430 000 Geschichten mit den Figuren aus „Harry Potter“, rund 125 000 zur „Twilight“-Reihe („Biss zum Morgengrauen“) und, weil hier schließlich alles möglich ist, 1800 Geschichten, in denen sich die beiden Welten begegnen.

Ehe ein falscher Eindruck entsteht: Nicht nur bei Büchern und Filmen machen sich Fans wie Kjmom ans Werk und schreiben Fortsetzungen, Umdeutungen und Neufassungen. Es gibt Comic-Fanfiction, Computerspiel-Fanfiction, Fanfiction für Fernsehserien. Auch „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, „Alarm für Cobra 11“, selbst „Soko“ und „Tatort“ haben ihre Nachahmungstäter. Nur, dass da eben nicht Harry und Draco, sondern die Münsteraner „Tatort“-Protagonisten Thiel und Boerne in (teils recht handfester) Liebe zu einander entbrennen.

Der Kult um das „Raumschiff Enterprise“

Man könnte jetzt über Copyright und andere rechtliche Baustellen diskutieren, oder darüber, wie der Kult um das „Raumschiff Enterprise“ Fanfiction populär machte. Aber spannender ist die Frage: Warum investiert jemand Zeit ins Schreiben solcher Texte – oder ins Lesen?

Weil es leichter fällt, zu schreiben, wenn das leidige Figurenentwickeln und Konstellationenausdenken schon erledigt ist? Weil Autoren wie Leser derart fanatische Fans sind, dass sie nicht genug bekommen können von ihren Lieblingsfiguren – auch, wenn in der Fanfiction eben oft nur noch der Name der Figur bleibt und ihr Charakter, ihre Sprache, ihr Handeln alles andere als plausibel oder auch nur stimmig sind? Oder wegen der Hoffnung, zwischen all dem ungelenken Material voller Rechtschreibkreativität und Floskeln dann doch den gelegentlichen Text zu finden, bei dem man denkt: Ja, so hätte das mit Mulder und Scully, mit House und Cuddy, mit Jan und Julia, mit Carry und Mr Big passieren können?

Bei den Autoren, die die Figuren erfunden haben, gibt es zwei Positionen. Anne Rice, die Vampirgeschichten (allerdings nicht die „Biss . . .“-Reihe) schreibt, verbittet sich auf ihrer Homepage jegliche Nach- und Weiterdichtungen. „Schon der Gedanke an Fanfiction mit meinen Figuren regt mich auf“, schreibt sie. „Ich rate meinen Lesern, eigene Geschichten mit ihren eigenen Charakteren zu schreiben.“

Autoren-Schmeichler

Ganz anders Harry-Potter-Erfinderin J.K. Rowling. Über einen Sprecher ließ sie schon vor einigen Jahren erklären, sie finde Fanfiction „schmeichelhaft“ – sofern sie nichtkommerziell sei, ausschließlich online stattfinde und jugendfrei bleibe. Da muss KJmom an ihrem Harry, der seinen Weltschmerz mit Muggel-Drogen und Sex betäubt, wohl noch mal nacharbeiten müssen. Immerhin endet ihre Fanfiction versöhnlich-bürgerlich: Draco und Harry wollen demnächst zusammenziehen.