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E. L. Doctorows meisterhafter Roman über die Brüder „Homer & Langley“ fußt auf einer wahren Geschichte. Jedoch lässt er das schrullige Duo ein paar Jahrzehnte länger leben. Deren Villa wird ein Hort für Außenseiter.

5th Avenue, New York: Die wohlhabenden Brüder Homer und Langley Collyer stopfen ihre Villa mit Klavieren, Zeitungsstapeln und anderem Messie-Material wie einem Ford-T-Modell voll – bis Langley von seiner eigenen Gerümpel-Falle gegen Eindringlinge erschlagen wurde. Sein blinder Bruder Homer verhungerte daraufhin. – Ein Stoff wie ein Roman, und deshalb sind die Collyer-Bründer schon mehr als einmal zu Buche geschlagen. Doch bei E.L.Doctorow, dem gerade 80 Jahre alt gewordenen Großmeister des US-Romans („Ragtime“, „Der Marsch“), werden sie zu Figuren von mythischer Größe, auf deren Wohnzimmer-Parkett die amerikanische Geschichte des 20. Jahrhunderts vorbeidefiliert, höchstpersönlich in Gestalt einer flüchtenden Mafia-Gang oder in Spiegelungen und Gewittern des großen Weltgeschehens.

Krank durch Senfgas

Dass Homer, schon früh mit der Gabe des Nichtsehenkönnens geschlagen wie sein griechischer Namenspatron, zum Erzähler des Ganzen wird, ist schon riskant genug – aber es führt auch weg vom Abschildern der Äußerlichkeiten hin zum Kern des Erzählens. Langley kehrt aus dem Ersten Weltkrieg heim, krank durch Senfgas und von jeglichem Nationalismus geheilt, erhebt ein Leben als Sonderling zum Programm: Geradezu fanatisch arbeitet er an seinem Lebensprojekt, der „immerwährenden aktuellen zeitlosen Zeitung“, die „das gesamte Leben Amerikas in einer Ausgabe festhalten“ soll. Sein klavierspielender Bruder ist schon durch sein Handicap ein Außenseiter. Ihr Motto: „Wir müssen der Welt die Stirn bieten – wir sind nicht wirklich frei, wenn wir dazu auf andere angewiesen sind“.

Hippies und Tanztee

Doctorow, der die Story und ihre Bilder so gekonnt verknappt, dass der Roman kaum mehr als 200 Seiten umfasst, lässt die beiden Brüder, die in Wirklichkeit 1947 tot aufgefunden wurden, bis in die 70er-Jahre hinein leben. So können sie auch noch eine schrille Hippie-Truppe in ihren vier Wänden erleben. Ohnehin ist diese Villa ein Hort für Außenseiter: Ein schwarzer Jazz-Trompeter wohnt hier in den ‘20ern, ein angefeindetes japanisches Ehepaar während des Zweiten Weltkriegs und dann auch eine Mafia-Gang, die auf der Flucht vor Polizei und Konkurrenz zugleich ist. Mit der Staatsmacht haben die Collyers ihre eigenen Erfahrungen gemacht, als man ihnen die begeistert angenommenen Tanztees rund um ein Grammophon in der eigenen Villa verbot. „Cops sind Gauner im Staatsdienst“, empört sich Langley, „wenn sie nicht gerade Schmiergelder kassieren, schlagen sie Leute zusammen. Das ist dein Land, Homer. Und zu dessen Ruhm und Ehre habe ich mir die Lungen versengen lassen“.

  • E.L. Doctorow: Homer & Langley. Roman. Kiepenheuer und Witsch, 220 Seiten, 18,95 Euro