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Michael Kleeberg erzählt in seinem Roman „Das amerikanischer Hospital“ in grandiosen Bildern von zwei Menschen, die in Paris einen Neuanfang suchen – und spielt mit Lebensentwürfen.
Der Brite Robert Edwards hat zwar für die Befruchtung aus dem Glas unlängst den Nobelpreis bekommen, doch ein Allheilmittel ist das nicht. Hélène zum Beispiel, eine der beiden Hauptfiguren in Michael Kleebergs Roman „Das amerikanische Hospital“ gibt nach fünf Jahren auf, weil es nicht geklappt hat. Nach dem erfolglosen Leistungsdruck bricht ihre Beziehung auseinander. Der Ort ihres Scheiterns ist das amerikanische Hospital im Pariser Stadtteil Neuilly. In ein Krankenhaus geht man nicht freiwillig, es ist eine „Schleuse zwischen Leben und Nichtleben“, ein emotional aufgeladener Ort.
Klug komponiert
Wie immer wendet sich Kleeberg unverbrauchten Themen jenseits aller Trends und Schnellschüsse zu und wie immer lädt er sie auf mit klug komponierten Kreuz- und Querverweisen. An keiner Stelle muss er dabei den belehrenden Finger heben.
Hélène ist 30, als sie im Herbst 1991 das Hospital betritt. Im Warteraum bricht in ihrer Nähe ein Mann zusammen. Sie hilft und begegnet seinem Blick, der von „bodenloser Traurigkeit“ ist. Er krallt sich an ihr fest. Die Seitennaht ihres Kleides reißt. Später treffen sie sich wieder, reden über Lyrik und dann auch über seine Krankheit. Sie heißt posttraumatische Belastungsstörung und hat ihn zu einem Zombie gemacht, zu einem, der sich schon auf ein Türenknallen hin zitternd unterm Tisch verkriecht. Hélène ist befremdet, als sich dieser David Cote als Captain der US-Army zu erkennen gibt. Natürlich ist die Französin Pazifistin, natürlich kann sie seine aus soldatischen Familientraditionen – Zweiter Weltkrieg, Korea, Vietnam – abgeleiteten Motive nicht verstehen, kann nicht begreifen, warum ein Magister der Literatur nicht nur ein Mann der Bücher, sondern auch der Aktion sein wollte.
Todeskampf majestätischer Ibisse
David entwirft in seinen Erzählungen vom Golfkrieg Bilder, die man nicht vergessen wird: vom Todeskampf sieben majestätischer Ibisse in einem ölgefluteten See, von in Maschinengewehrsalven zerfetzten Kindern, denen er Süßigkeiten gegeben hatte, von einem Dutzend Jungs mit durchtrennten Achillessehnen, damit sie nicht flüchten können. In den Marschen zwischen Euphrat und Tigris, dort wo man den Garten Eden vermutet, hatte dieser Krieg ohne Glorie stattgefunden. Es war ein Krieg auch gegen den eigenen Körper. Nun bleiben die Konsequenzen seiner Sühne allein bei David.
Es geht in diesem wundervollen, gar nicht auftrumpfenden Roman zu, als würden sich alte und neue Welt begegnen in einem Niemandsland, wo sie bedacht und behutsam aufeinander zugehen können. Sie tun das in langen Dialogen, in denen sich ihre scheinbar so entfernten Lebensentwürfe verschränken: zwei Versehrte mit Blessuren unter der Oberfläche, mit Verletzungen, die man erst auf den zweiten Blick sieht. Was eine Liebesgeschichte werden könnte, bleibt ohne Happy End an diesem Ort jenseits der Zeit, wo zwei an ihren enttäuschten Glücksversprechen laborieren. Immerhin lernen sie es, wieder nach draußen zu gehen. Doch Paris ist lahmgelegt im Generalstreik. Was für ein Finale, was für grandiose Bilder wieder. Hélène und David laufen wieder mit im Zug der Lemminge.
- Michael Kleeberg: Das amerikanische Hospital. Roman. DVA. 236 Seiten. 19,95 Euro