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Aderschwellende, schweißtropfende Leidenschaft: Die Konzert-DVD „London Calling - Live In Hyde Park“ von Bruce Springsteen und der E Street Band macht Lust auf Mitsingen. Und Springsteen macht sich über sich selbst lustig.

Geht ein 59-Jähriger in den Park – und 50 000 Menschen sind begeistert. Mag damit zu tun haben, dass er seine Kumpels und seine Gitarre mitgebracht hat und ein paar Verstärker noch dazu. Vor ziemlich genau einem Jahr hat US-Rockstar Bruce Springsteen ein Drei-Stunden-Konzert in London gegeben. Das hat er jetzt auf DVD veröffentlicht, und die kann selbst Leuten Spaß machen, die sonst mit Konzert-Filmen nicht so viel anfangen können.

27 Songs, das komplette Konzert plus zwei Bonus-Tracks, gibt’s im Papp-Schuber – inklusive Punk-Opener. Springsteen coverte „London Calling“ von The Clash; der Mann steht seit mehr als 40 Jahren auf der Bühne und weiß, wie er sein Publikum erwischt. Einen Tag vorher hatte Springsteen ein junges Publikum mit seiner alten E Street Band als Headliner beim legendären Glastonbury-Festival zweieinhalb Stunden glücklich gespielt. Dort treten sonst hauptsächlich Musiker auf, die ein Drittel bis halb so alt sind wie Springsteen – und/oder als mindestens dreimal mehr „alternative“ gelten.

Neben dem Idol fällt die Coolness-Kurve rapide ab

Wunschkonzert: Im Hyde Park sammelte Springsteen gemalte Song-Titel und spielte eine Auswahl. Foto: Sony Music
Wunschkonzert: Im Hyde Park sammelte Springsteen gemalte Song-Titel und spielte eine Auswahl. Foto: Sony Music © SonyMusic

Und wie in Glastonbury bat Springsteen im Hyde Park Brian Fallon auf die Bühne: Der Frontmann der Band The Gaslight Anthem ist tatsächlich halb so alt wie Springsteen, dreimal mehr alternative, und er sorgt für die schwächsten Momente im Konzert: Neben seinem Idol fällt die Coolness-Kurve trotz bunt leuchtender Tattoos rapide ab, die Ehrfurcht scheint Fallon den Hals zuzuschnüren, und man wird das Gefühl nicht los, dass „No Surrender“ ohne ihn mehr Herz gehabt hätte.

Da singt Springsteen (seit 1984), er sei jetzt bereit, wieder jünger zu werden: Dass Rock’n’Roll jung hält, ist bei jedem seiner Konzerte offenbar. Wenn er auf die Bühne kommt, sieht er annähernd so alt aus, wie er ist, wenn er wieder geht, wirkt er 20 Jahre jünger. Zumindest von weitem: Mit der DVD geht’s näher ran, und wir erfahren, dass sein Unterlippenbärtchen grau meliert ist, dass Gitarrist „Little“ Steven Van Zandt Schlangenleder-Stiefel trägt und „Big Man“ Clarence Clemons’ Nägel passend zum Sax golden lackiert sind.

Alles keine große Überraschung

Bruce Springsteen (r.) mit Clarence Clemons und Steven Van Zandt (l.). Foto Sony Music
Bruce Springsteen (r.) mit Clarence Clemons und Steven Van Zandt (l.). Foto Sony Music © SonyMusic

Überraschend ist, dass man schon beim dritten Song („She’s The One“) mitsingen will. Überraschend ist auch, wie gut die Kamerafahrt über die Menschenmassen-Landschaft zu „Badlands“ passt. Wie beschwingt Springsteen „Johnny 99“ als Rock’n’Roll-Zug durch den Hyde Park stampfen lässt. Und dass Drummer Max Weinberg sowas wie einen Teleprompter hat: Wozu bloß?

Springsteen gibt seinen Fans genau die richtige Mischung aus sehnsuchtsschwangerer Nostalgie („Born To Run“, „Racing In The Streets“), ein bisschen Politik („Hard Times (Come Again No More)“, „Working On A Dream“) und Party („Rosalita“ oder „Glory Days“, bei dem sich Spring­steen und Little Steven gegenseitig versichern, dass sie’s noch durch den Song schaffen werden, obwohl ja schon längst Schlafenszeit ist). Alles mit aderschwellender, schweißtropfender Leidenschaft und mit augenfaltenzwinkernder Selbstironie: „Besorgt mir einen verdammten Aufzug, ich bin 60, verdammt nochmal!“

Von der DVD werden viele etwas haben: Fans sowieso, Musikverrückte, die noch kein Springsteen-Konzert erlebt haben und mal ein Gefühl für seine Live-Feste bekommen möchten. Und Springsteen: Die DVD landete gleich auf Platz 1 der Charts. Aber die Rockstar-Rente hatte der Mann aus New Jersey auch schon vorher locker durch.