Essen. Bruce Springsteen war mal die Zukunft des Rock'n'Roll. Den spielt er immer noch: Heute wird der Rockstar 60, in ein paar Tagen wird er fünfmal hintereinander ein Football-Stadion in New Jersey beschallen, stundenlang. Heimspiel für einen, der verdammt ist zum Umherreisen.
Vor kaum 35 Jahren hat man ihm nachgesagt, die Zukunft des Rock'n'Roll zu sein, heute ist er ein Fall für den Historiker: So kurzlebig ist das Showgeschäft; Bruce Springsteen indes, von dem hier die Rede ist, erfreut sich bester Gesundheit und feiert heute seinen 60. Geburtstag. Er hat sich knapp zehn Tage freigenommen, dann wird er wieder auf der Bühne stehen, irgendwo in New Jersey, und drei Stunden spielen. Kurz vor den Zugaben wird das Licht im Saal angehen und Springsteen wird jene Hymne spielen, die ihn unsterblich macht: Born to Run – verdammt zum ewigen Umherreisen, wie sein Urahn, der gewiss ein fliegender Holländer gewesen sein muss.
So ist es nur folgerichtig, dass der Historiker Louis P. Masur Springsteens Karriere an diesem einen, alles entscheidenden Rock-Album aus dem Jahr 1975 aufhängt. „Born to Run” gilt als Ikone unter den Rockalben und Eckstein der Springsteen-Karriere. Vorher war Springsteen ein mäßig erfolgreicher, dylanesk klingender Folk-Rock-Musiker aus Freehold, New Jersey, danach ein Superstar.
Prediger des amerikanischen Traums
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Als Prediger des amerikanischen Traums ist er ein Romantiker, der von Freiheit, Liebe und Abenteuer singt und von jenem nagenden Gefühl, dass es woanders besser ist oder sein könnte und man sich aufmachen muss ins gelobte Land, denn wir können nur weiterleben dank der Träume in unserem Gepäck, die uns Last und Notwendigkeit zugleich sind. Zur Selbstironie durchaus fähig, hat Springsteen festgestellt, „dass ich dauernd all diese Leute in irgendwelche Autos setze und mir langsam mal ausdenken müsste, wo sie eigentlich hinfahren.”
So hat er, der Heilige der Vorstädter, die Obdachlosen, Rastlosen und Gesetzlosen besungen, musikalische und literarische Wurzeln seines Landes gesucht und eine musikalische Antwort auf den 11. September gefunden.
Ein schwaches Echo auf "Born to Run"
Doch selbst s Sein jüngstes Album „Working on a Dream” klingt immer noch wie ein – zugegeben – schwaches Echo auf „Born to Run”. Denn Springsteen scheint vom Gaspedal gehen zu wollen: Verwahrte er sich 1988 noch entschieden dagegen, dass Reagan seine sarkastische Hymne „Born in the USA” zu Wahlkampfzwecken missverstehen wollte, ging er im Herbst 2008 für Obama auf die Bühne. Obama retournierte, er wolle nur Präsident werden, weil er nicht Springsteen sein könne – und der wiederum spielte zur seiner Amtseinführung.
Nicht auszuschließen, dass sich beide heute fragen, wo sie jetzt einen neuen Traum herbekommen, wo doch der alte in Erfüllung gegangen ist. Springsteens Antwort kennen wir: Auf dem Hof steht doch dieser aufgemotzte Achtzylinder. Lass uns losfahren ins gelobte Land jenseits der Windschutzscheibe, jetzt, wo es dunkelt und die Straßen frei sind. Kurbel die Scheiben runter, dreh das Radio lauter und setz darauf, dass im richtigen Moment das richtige Lied läuft. Heyho, Rock'n'Roll, erlöse uns von dem Übel.
Louis P. Masur: „Born to Run – Bruce Springsteens Vision von Amerika”, Rogner & Bernhard, Zweitausendeins, 288 Seiten, 19,90 Euro.