Bochum. Hennes Bender hat ein Ruhrgebiets-Lexikon geschrieben: „Komma lecker bei mich bei“. Im Interview spricht er über den tiefen Graben zwischen Hochkultur und freier Szene, über das Liebenswerte am Revier - und warum er Wattenscheid-Eppendorf so fürchterlich findet.

„Essen ist so was wie der Streber in der Ruhrgebietsklasse. Der Pott-Primus. Alle sind neidisch auf ihn, aber wenn es darauf ankommt, will jeder mit ihm befreundet sein.“ Hat eigentlich schon mal jemand zuvor einen so treffenden Satz zum Spannungsverhältnis zwischen Kulturhauptstadt und Rest-Ruhrgebiet zu Papier gebracht? Nö? Macht nichts, hat ja Hennes Bender jetzt auch schon getan. Mit Georg Howahl sprach der Comedian und Erz-Bochumer über den tiefen Graben zwischen Hochkultur und freier Szene, über das Liebenswerte am Revier und darüber, dass wir Beschönigungen gar nicht nötig haben.

Herr Bender, Ihr Buch „Komma lecker bei mich bei“ haben Sie untertitelt „Kleines Ruhrpott-Lexikon“. Warum nicht Reiseführer?

Hennes Bender: Man kennt das ja, in den ganzen Reiseführern wird nur gelobhudelt – Aaah, das Centro, Uuuh, Zollverein. Da habe ich gesagt: Nee, wir müssen da jetzt mal drüber reden. Was mir wichtig war: Dass ich ehrlich bin und auch sage, was nicht toll ist.

Was denn?

Hennes Bender: Ich habe mir mal vor Augen geführt, dass es im Ruhrgebiet ganz viele Geschichten gibt, die ganz strange sind. Gerade auch, was die Kultur angeht.

Zum Beispiel?

Hennes Bender: Als etwa überall in Bochum diese Plakate für das Konzerthaus hingen, da habe ich mich gefragt, ob das eine gute Idee ist. Da kamen Leute und sagten: Da darf man nicht gegen sein. Ich sagte: Ich frag ja nur, ob man das finanziert kriegt. Ich meine, ich bin kein Mathematiker. Aber viele sagten: Das kriegt man nicht gestemmt und bewirtschaftet.

Eine Meinung, die Sie ja durchaus mit einigen teilen.

Hennes Bender: Ich habe die Konzerthaus-Pläne mal auf einer öffentlichen Veranstaltung kritisiert. Da war es auf einmal still im Raum. Ich dachte: Was ist denn jetzt los? Dann sagte mir jemand: „Viele hier hätten das gern selbst gesagt, aber sie sind in einer Position, wo sie das nicht sagen dürfen.“ Das ist der alte Hofnarren-Effekt. Der Schock kommt, wenn man merkt: Das hat der ernst gemeint. Ich komme mir dann vor wie bei „Des Kaisers neue Kleider“, wenn man als einziger sagt: „Der ist ja nackt“.

Böse Zungen würden sagen: Da wettert einer aus der freien Szene gegen die Etablierten?

Hennes Bender: Allein was ich in dieser Hinsicht über Bochum schreiben könnte, würde ein Buch füllen. Was davon in mein Ruhrpott-Lexikon geflossen ist, ist die vierte, entschärfte Fassung. Die Leute, die das jetzt lesen, wissen, wenn sie gemeint sind. Mir geht es aber darum, zu sagen: Ihr müsst Euch um Eure Leute kümmern. Es geht nicht darum, dass wir als freie Künstler irgendetwas hinterher getragen haben wollen. Aber man muss doch mal vor Ort gehen und schauen, wer hier wirklich Kultur macht. Es steht doch oft sogar das Wort Kultur davor. Auch was die Kulturhauptstadt angeht: Man schaue sich den Essener Bahnhof an, der Anfang des Jahres 2010 noch nicht fertig war und auch jetzt noch aussieht wie eine Baustelle. Die haben’s wirklich vergeigt.

Aber das Ruhrgebiet hat ja auch gute Seiten. Haben Sie fürs Lexikon neue entdeckt?

Hennes Bender: Ich war zum ersten Mal in Eisenheim in Oberhausen und dachte: Wie geil ist das denn hier? Das ist eine eigene Welt. Und ich bin Halden-Fan geworden. Ich denke schon, dass rüberkommt, dass das eine sehr lebenswerte Gegend ist. Ich bin übrigens auch einmal auf diesen Campingplatz in Hamm gefahren. Das ist unfassbar, wenn man da steht. Der Platz im Schatten der Meiler liegt direkt neben der A2, ein ständiges Rauschen. Und die meisten Camper kommen aus dem Ruhrgebiet.

Sind es solche Schrullen, die Sie am Ruhrgebiet lieben?

Hennes Bender: Es ist eher was anderes, nämlich die Leute hier. Ich brauche meine Leute um mich herum. Ich brauche Leute, die ehrlich sind, die ohne Umschweife sagen, wenn sie was scheiße finden. Das ist eine Tugend, die ich schätze.

Und was ist denn nun am Ruhrgebiet schlecht?

Hennes Bender: Eigentlich finde ich’s ja nicht schlecht, aber es gibt einige Ecken, die sind fürchterlich. Wattenscheid-Eppendorf. Da habe ich mal gewohnt und möchte dort nicht begraben sein. Wattenscheid und ich – das passte nicht zusammen.

Auch zum Rest von Bochum hatten Sie als Künstler ein zwiespältiges Verhältnis...

Hennes Bender: Das lag daran, dass ich von der lokalen Presse immer eins in die Fresse bekommen habe, auch von Ihrer Zeitung. Kritik schön und gut. Aber sie sollte fair sein. Deshalb habe ich lange einen Bogen um Bochum gemacht und immer nur in den umliegenden Städten gespielt. Aber ich habe irgendwann auch festgestellt, dass Jürgen von Manger seine größten Erfolge außerhalb des Ruhrgebiets hatte und erst posthum zum Ruhrgebietsbürger erklärt worden ist. Da dachte ich dann: Okay, ich bin wenigstens nicht der einzige.

Hennes Bender, „Komma lecker bei mich bei“, Ullstein, 269 S., 7,95 Euro. Im März erscheint Benders Karikaturenband „Alles Wesentliche“ (Lappan). Am 15.4. tritt Bender erstmals seit acht Jahren wieder in Bochum auf (Riff).