Gelsenkirchen/Oberhausen. Viele Sakralbauten haben ausgedient – auch in Ruhrgebiet. Statt Messen gibt es dort nun Konzerte, Lesungen und Kongresse.
„Ich hatte damals eine Scheißangst“, erinnert sich Klaus-Peter Wolf (68). „Die Kirche war für mich ein düsterer, furchteinflößender Ort.“ Der heutige Romanautor und Schöpfer der Ostfriesland-Krimis mit millionenfacher Auflage musste in der Heilig-Kreuz-Kirche im Gelsenkirchener Stadtteil Ückendorf seine erste Beichte ablegen und ging dort auch zur Kommunion. Nun stehen 800 Menschen auf dem Kirchplatz und warten auf Einlass – nicht zum Gottesdienst, sondern zur weltlichen Lesung von Krimiautor Klaus-Peter Wolf. „Es ist ein komisches Gefühl, hierhin zurückzukehren, vor vollem Haus zu lesen und am Beichtstuhl zu signieren. Was für eine Situation!“
Was der Autor, der seit langem an der Nordseeküste lebt, noch als Besonderheit empfindet, ist für viele Gläubige beider großen Konfessionen eine schmerzliche Erfahrung. Zu zahlreich kehren Christen ihrer Kirche den Rücken. Steuereinnahmen brechen weg. Pfarreien fusionieren. Gotteshäuser werden geschlossen und auf vielerlei Art neu genutzt, vom Kolumbarium bis zum Nachtclub.
Konzerte statt Gottesdienst
Zurück zur Heilig-Kreuz-Kirche: Das denkmalgeschützte Gebäude, das Formen des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit vereint, gilt als das bedeutendste Werk des Architekten Josef Franke. 1929 geweiht und 2007 entweiht: Der katholischen Kirche widerfuhr damit das gleiche Schicksal wie Hunderten anderen auch. Sie wurde als sakraler Raum nicht mehr gebraucht. Die Stadt bewahrte das Gebäude vor der Abrissbirne, kaufte das Gotteshaus und ließ es zu einer Event-Location umbauen. Mit knapp zehn Millionen Euro förderte das Land das Projekt. Philharmonische Konzerte, Theater, Kleinkunst, Lesungen aber auch Tagungen und Kongresse finden seit Anfang 2022 dort statt. Die Emschertainment GmbH betreibt die Kulturstätte mit ihrem beeindruckenden Innenraum und den großartigen Buntglasfenstern, die dem Veranstaltungssaal eine ganz besondere Atmosphäre verleihen.
Beste Lösung für die Gemeinde
„Kirchen gehören den Menschen und der Gesellschaft und nicht nur den rechtlichen Besitzern“, sagt der Theologe Albert Gerhards (Universität Bonn). Die Heilig-Kreuz-Kirche ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Die Frage, ob es ein Sakrileg ist, eine Kirche, ein Haus Gottes, einem profanen Zweck zuzuführen, kann man stellen. Aber: Die Welt und unser Leben befinden sich im steten Wandel und sind Veränderungen ausgesetzt, gerade aktuell. Und so ist es schon lange kein Tabu mehr, eine Kirche zu profanieren, wie es die Katholiken nennen, oder zu entwidmen, wie die evangelischen Christen sagen. In einzelnen Fällen ist ein Abriss nicht zu vermeiden, eine Umnutzung der sinnvollere Weg. Sollen Gotteshäuser neu genutzt werden, müsse es immer um die beste Lösung für die Gemeinde gehen. Dies haben sich die Wissenschaftler der Forschungsgruppe Sakralraumtransformation – heißt tatsächlich so – auf die Fahnen geschrieben. Die Analyse über die Funktion und Nutzung religiöser Orte ist an verschiedenen Universitäten, etwa in Bonn, angesiedelt und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt.
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Ortswechsel: Die Kirche Heilig Geist im Oberhausener Osten liegt in einer reinen Wohngegend, eine Grundschule und eine Kindertagesstätte sind nur einen Steinwurf entfernt. Der nüchterne Betonbau, vom Bistum Köln initiiert und 1957 von Franz Hengsbach, damals Bischof des neu gegründeten Bistums Essen, geweiht, steht ebenfalls leer. Doch demnächst soll neues Leben einziehen. Der Oberhausener Architekt Wilhelm Hausmann hat das Gebäude übernommen und will in den zwölf Meter hohen Innenraum drei Ebenen einziehen, auf denen fünf Wohnungen entstehen. Direkt an eine Außenwand der Kirche wird ein Haus mit vier weiteren Wohnungen angebaut. Geplant sind außerdem ein Kindergarten mit drei Gruppen und ein Raum für Festlichkeiten.
Wohnen mit Glockenklang
Auf eine gewisse Spiritualität will Hausmann, der auch Vorsitzender der CDU Oberhausen und praktizierender Katholik ist, nicht verzichten. „Wir bewahren den Respekt vor dem Ganzen. In der Mitte bleibt das Kreuz erhalten, erhellt vom Licht, das von oben die Wand herunterfällt“. Das bestehende Ensemble lade dazu ein, „es in Besitz zu nehmen und zu gestalten. So wird ein sozialer Mehrwert für den Stadtteil geschaffen.“ Eine gewisse Affinität zur Kirche setzt der Architekt allerdings bei den künftigen Mietern voraus: „Morgens, mittags und abends läuten hier weiterhin die Glocken.“
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Letzte Ruhestätte
Eine Kirche kann aber auch ein religiöser Ort bleiben, wenn sie einem weltlichen Zweck zugeführt wurde. So geschehen mit der Pfarrkirche St. Konrad in Marl, die 2006 zu einem Kolumbarium umgestaltet wurde. Sie war die erste Kirche im Bistum Münster, die als Urnenbegräbnisstätte genutzt wurde und wird. Die Profanierung war in diesem Fall erforderlich, weil das Kirchenrecht die Bestattung von Verstorbenen oder ihrer Asche in Kirchen verbietet. Ein „heiliger“ Ort ist die Kirche also nicht mehr. Dennoch bleibt ein Kolumbarium ein Raum der Stille, des Gebetes und der inneren Einkehr. Profanierungen seien für viele Gläubige schmerzhaft, sagt das Bistum Münster und erklärt: Jede Kirche ist Heimat einer Gemeinde. Christen haben in der Kirche wichtige Wendemarken ihres Lebens begangen, wie die Taufe der Kinder, die eigene Trauung oder den Trauergottesdienst für ihre Angehörigen. Insofern ist eine Entweihung von Traurigkeit, Enttäuschung und Unverständnis, oft auch von Wut begleitet.
Der Prozess erfordert seelsorgliche Begleitung, die Beteiligung der Gläubigen und transparente Kommunikation. Das Bistum strebt würdige Lösungen an: „Nach dem Verständnis der katholischen Kirche verbietet sich etwa der Umbau zu Diskotheken, Moscheen oder Einkaufszentren.“
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