Düsseldorf. Eine NRW-Wahl mit überraschendem Ergebnis, die Corona-Politik und die Mallorca-Affäre: Die Highlights des Politik-Jahres 2022 in NRW.

Wer ermessen will, wie unerwartet dieses landespolitische Jahr 2022 verlaufen ist, muss zwölf Monate zurückspulen. Vieles deutete nach der Bundestagswahl im Herbst 2021 auf einen Regierungswechsel in NRW hin.

Der Ministerpräsident und CDU-Chef Armin Laschet hatte die Kanzlerkandidatur der Union vergeigt und ein historisch schlechtes Wahlergebnis eingefahren. Der lange in den eigenen Reihen ungeliebte SPD-Finanzminister Olaf Scholz wurde vom Wahlvolk kurzerhand zum legitimen Erben der blutleeren, aber pragmatischen Merkel-Politik erklärt. Die Bildung einer Ampel-Bundesregierung mit einem Regierungschef Scholz schien ein Menetekel für die NRW-Wahl im Mai 2022 zu sein.

Verkehrsminister Wüst als Chef der NRW-CDU

Würde der Kanzler-Stolz die alte Genossen-Herrlichkeit an Rhein und Ruhr neu beleben und die eher mäßig bewertete schwarz-gelbe Landesregierung in Düsseldorf hinwegfegen? Die NRW-CDU hatte sich nur widerwillig auf den Verkehrsminister Hendrik Wüst als Nachfolger des beschädigten Laschet eingelassen.

Der Jurist aus Rhede mühte sich zwar seit Jahren, eine skandalreiche Frühphase als rüder CDU-Generalsekretär vergessen zu machen. Doch vielen erschien er als zu wirtschaftsnah, zu hölzern, zu sehr in konservative Junge-Union-Netzwerke verstrickt.

Als Joker erwies sich jedoch für Wüst, dass er als einziger aller in Frage kommenden Ministerpräsidenten-Kandidaten über das in der NRW-Verfassung vorgeschriebene Landtagsmandat verfügte. Zudem signalisierte der Koalitionspartner FDP, dass man trotz knappster Parlamentsmehrheit von nur einer Stimme einen Wechsel von Laschet zu Wüst mittragen werde – was viele Liberale später bereuten.

Wahllokal: Mit seinem Bild aus einem Oberhausener Antiquitätenladen gewann Gerd Wallhorn den Sonderpreis des Wettbewerbs „NRW-Pressefoto des Jahres“.
Wahllokal: Mit seinem Bild aus einem Oberhausener Antiquitätenladen gewann Gerd Wallhorn den Sonderpreis des Wettbewerbs „NRW-Pressefoto des Jahres“. © Gerd Wallhorn / Funke Foto Services

Nach Ausbruch des Ukraine-Krieges im Februar gerieten die politischen Verhältnisse auch in NRW ins Rutschen, doch alle Umfrageinstitute sagten lange ein „Kopf-an-Kopf-Rennen“ zwischen Wüst und seinem SPD-Herausforderer Thomas Kutschaty voraus – mit leichten Vorteilen sogar für den Oppositionsführer.

Schließlich war seit Jahren keine Mehrheit mehr für die amtierende schwarz-gelbe Koalition gemessen worden. Kutschaty schien überdies mit dem Ampel-Modell (SPD/Grüne/FDP) die bessere Regierungsoption zu besitzen.

„Mallorca-Affäre“ belastete NRW-CDU

Wüst hatte als Nachfolger des gescheiterten Kanzlerkandidaten Laschet derweil gerade einmal 200 Tage Zeit, um die demoralisierte NRW-CDU wieder aufzurichten. Ihm machte zudem im Frühjahr die „Mallorca-Affäre“ zu schaffen: Als herauskam, dass mehrere Regierungsmitglieder während des verheerenden Flutsommers 2021 auf der Baleareninsel eine Geburtstagsparty feierten, musste Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) ausgerechnet in der heißen Wahlkampfphase zurücktreten.

Doch Wüst traf damals zwei strategische Entscheidungen, die sich im Nachhinein als goldrichtig erwiesen. Er nutzte den Zufall, dass NRW turnusgemäß den Vorsitz in der Ministerpräsidenten-Konferenz hielt, um sich weithin sichtbar im Kampf gegen die Corona-Pandemie im „Team Vorsicht“ einzureihen. Öffentlichkeitswirksam setzte er sich vom „Lockerungskurs“ seines Vorgängers Laschet ab und profilierte sich auf Kosten des Koalitionspartners FDP. Dahinter stand die Überlegung, dass gerade das ältere, gut gebildete Stammpublikum der CDU auf Vorsicht im Umgang mit dem Corona-Virus setzt.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) mit seinem damaliger Konkurrent Thomas Kutschaty (SPD).
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) mit seinem damaliger Konkurrent Thomas Kutschaty (SPD). © picture alliance/dpa | David Young

Als zweiten Trumpf nutzte Wüst eine Strategie, die schon der Kanzlerin einst manchen Erfolg brachte: Er betrieb im Wahlkampf nahezu Debattenverweigerung, um sich nicht angreifbar zu machen. Keine Ecken, keine Kanten, keine Konfrontation.

Als zentrale Lehre aus Laschets Höllensturz zog Wüst auch, dass Politik im bildmächtigen Zeitalter der Sozialen Medien vor allem fehlerfrei, smart und nicht ideologisch zu sein hat. Der großgewachsene, jugendlich wirkende 47-Jährige präsentierte sich in den ländlichen Hochburgen der CDU freundlich im Slimfit-Anzug und sprach im Fernsehen so automatenhaft, dass selbst die eifrigsten Twitter-Jäger an seinen Formulierungen verzweifelten.

Unerwarteter Wahlerfolg für die NRW-CDU

Am Ende stand ein unerwarteter Wahlerfolg für die CDU, der das Ergebnis von 2017 sogar noch übertraf. „Wenn der Spitzenkandidat seine Partei ohne einen Fehler durch den Wahlkampf führt, hat er einen guten Job gemacht“, lobte CDU-Urgestein Karl-Josef Laumann. Obwohl Wüst keine besonders tollen Persönlichkeitswerte oder gar einen hohen Amtsbonus besaß, stieg er über Nacht in der Union zu den mächtigen Landesfürsten und potenziellen Kanzlerkandidaten auf.

Die erste schwarz-grüne Koalition in NRW legte unter seiner Führung im Krisenherbst 2022 alles andere als einen Traumstart hin – und doch gilt sie zum Jahresbeginn 2023 als Mittelfrist-Blaupause für den Bund. Aber wie schon Churchill wusste: „Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen.“