Lissabon. Zu viel Müll, zu wenig Fische: Die Meere sind bedroht wie noch nie. Wie sie geschützt werden sollen, darum ging es bei der UN-Ozeankonferenz.
Jeden Morgen fährt Lavenia Naivalu raus auf den Pazifischen Ozean, wirft Anker und Netz ins Wasser. Schon als Kind hat sie gelernt, zu fischen, stammt – wie so viele Fidschianerinnen und Fidschianer – aus einer Fischerfamilie. Nicht nur Boote und Netze, auch das Wissen über Beute und Fangtechnik wird von Generation zu Generation weitergegeben. „Fischen ist mein Leben“, sagt Naivalu. „Aber die Netze werden immer leerer, wir fangen immer weniger Fische.“
Verschmutzung, Versauerung und Vermüllung: Die Ozeane sind in keinem guten Zustand. Jede Minute landet eine Lkw-Ladung Müll im Meer. Im Pazifik hat sich eine Insel aus Plastik gebildet, die so groß ist wie Europa. Gleichzeitig gelten rund 30 Prozent aller Fischarten als überfischt. „2050 könnten mehr Tonnen Plastik als Fisch im Meer schwimmen“, sagt António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen.
UN-Generalsekretär: „Keinen gesunden Planeten ohne gesunden Ozean“
Die Folgen der Verschmutzung werden uns alle betreffen, warnt er zur Eröffnung der zweiten UN-Ozeankonferenz in Lissabon: „Wir können keinen gesunden Planeten haben ohne einen gesunden Ozean.“ Die Meere produzieren rund die Hälfte des Sauerstoffs in der Atmosphäre, beherbergen 80 Prozent des Lebens auf unserem blauen Planeten.
Wie können wir sie nachhaltig nutzen und in Zukunft besser schützen? Mit diesen Fragen haben sich gerade 30 Staats- und Regierungschefs, weitere Politikerinnen und Politiker, Vertreterinnen und Vertreter aus der Privatwirtschaft, Forschende sowie Mitarbeitende von NGOs befasst – und sich auf Maßnahmen geeinigt.
Beschluss der UN-Ozeankonferenz: Kleinfischerei fördern
Ein Ziel: Die Kleinfischerei unterstützen, indem unter anderem Subventionierungen und Lizenzen, die für eine gerechte Aufteilung in der Fischereiwirtschaft sorgen sollen, zugunsten der Kleinfischerei umverteilt werden.
Denn im Gegensatz zur industriellen Industrie arbeiten die weltweit rund 60 Millionen Kleinfischerinnen und Kleinfischer – die den Fisch für ihre Familie fangen oder an Menschen in ihrer Nähe verkaufen – laut UN nachhaltiger. Sie fangen deutlich geringere Mengen an Fisch und beschränken sich dabei nicht nur auf wenige, auf dem Markt gefragte Arten.
Außerdem sind ihre Netze kleiner, sodass seltener Haie, Delfine oder Wale als Beifang darin landen. „Wir sind die Leute, die rausfahren, um Essen für unsere Familie zu fangen. Wir brauchen mehr Lizenzen zum Fischen“, fordert Fischerin Lavenia Naivalu.
„Die Flutkatastrophe hat kurz dazu geführt, dass die Menschen aufwachen“
Sie fange schließlich nicht nur immer weniger, sondern auch immer kleinere Fische. Das bestätigt Katja Matthes, Direktorin des Kieler Meeresforschungsinstitutes Geomar. Die Dorsche in der Ostsee seien etwa vor 20 Jahren noch doppelt so groß gewesen wie heute.
„Die Vermüllung der Ozeane ist irgendwo da ganz weit draußen, der Klimawandel ist generell sehr abstrakt“, sagt sie. „Aber die fürchterliche Flutkatastrophe im Ahrtal hat wenigstens kurz dazu geführt, dass die Menschen aufwachen.“
Mehr Forschung zum Schutz der Ozeane
Zum Schutz der Meere braucht es ihrer Meinung nach zum einen mehr Forschung. Bisher sind lediglich acht Prozent des Meeresbodens vermessen, nur ein Fünftel aller Meeresbewohner ist überhaupt bekannt.
Zum anderen müsse „extrem schnell gehandelt“ werden und etwa Emissionen reduziert werden, so Matthes: „Das ist frustrierend, wenn man sich als Wissenschaftlerin anguckt, wie lange schon bekannt ist, welchen Einfluss CO2 hat, und wie lange einfach nichts passiert ist.“
Protest gegen Tiefseebergbau während UN-Ozeankonferenz
Das soll sich nun ändern. Bis 2030 sollen 30 Prozent der Meere unter Schutz stehen, so der Beschluss der UN-Konferenz. Das Problem aus Sicht vieler Aktivistinnen und Aktivisten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Das Abkommen ist nicht verbindlich und so könne auch nicht sichergestellt werden, dass die Maßnahmen umgesetzt werden.
„1.5 to stay alive“, dröhnt es zu lauter Techno-Musik aus Lautsprechern auf dem Platz vor der Altice Arena. Am Rande der Konferenz protestieren viele junge Menschen gegen Tiefseebergbau und für mehr Klimaschutz. Sie halten Schilder mit Schildkröten in die Luft, haben Botschaften wie „Politicians talk, Oceans die“ auf Banner geschrieben. Einige der Demonstrierenden haben sich in Kostüme eines blutenden Haies geschmissen.
Ozean als „größter Verbündeter“ im Kampf gegen den Klimawandel
Auf Twitter entschuldigte sich UN-Generalsekretär Guterres stellvertretend im Namen seiner Generationen bei den Jüngeren. Man habe den Ozean nicht richtig geschützt, obwohl er „der größte Verbündete“ im Kampf gegen den Klimawandel sei.
Die UN-Ozeankonferenz
193 Länder sind Mitglieder der Vereinten Nationen. Bereits 2015 haben die Mitgliedsstaaten einen globalen Aktionsplan für nachhaltige Entwicklung beschlossen – und insgesamt 17 Ziele, die sogenannten Sustainable Development Goals (kurz: SDGs) festgelegt.Das SDG 14 widmet sich dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung der Ozeane. „SDG 14 ist das am meisten unterfinanzierte der 17 Ziele“, kritisiert Peter Thomson. Der Fidschianer ist der erste UN-Sondergesandte für Ozeane.Auch die Bundesregierung will den Ozean-Schutz in den Fokus rücken und hat vor Kurzem das Amt eines Meeresschutzbeauftragten geschaffen.
Während die Meere für viele Teilnehmende nach der Konferenz wieder in weite Ferne rücken, zieht es Lavenia Naivalu zurück aufs Wasser. Sie wird weiterhin jeden Morgen den Motor ihres kleinen Bootes starten, rauf auf den Pazifischen Ozean fahren – und warten. Darauf, dass Fische in ihrem Netz landen. Und darauf, dass die Versprechen der UN-Konferenz eingelöst werden.
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