Düsseldorf. Die Toten Hosen werden 40, aber es scheint, als wären sie 20. Wir sprachen mit Sänger Campino über die Anfänge und über die letzten Dinge.
Wer hätte 1982 gedacht, dass aus einer altbierseligen Truppe von hochmotivierten und feierwütigen Dilettanten mal eine der erfolgreichsten deutschen Rockbands schlechthin wird? Ganz sicher nicht Die Toten Hosen, deren Fans und Freunde ihnen anfangs eine Zukunft von höchstens ein paar Monaten prophezeit haben. Doch 40 Jahre später ist man klüger. Und ein bisschen älter. Campino alias Andreas Frege hat mit Georg Howahl darüber gesprochen, wie es ist, so lange da vorne zu stehen, ob von jetzt an die 50 das neue Ziel ist – und wie es eines Tages vielleicht einmal zu Ende gehen könnte.
Die Toten Hosen stehen seit 40 Jahren auf der Bühne, Sie selbst werden im Juni 60. Das ist ja beinahe so, als wäre Lothar Matthäus heute noch Torschützenkönig der Bundesliga…
Campino: Es ist auf jeden Fall von Vorteil, dass wir in der Musik älter werden können als im Leistungssport – und dass bei uns alle Dinge nur gefühlte Wahrheiten sind, keine harten Ergebnisse. Wenn die Leute unsere Konzerte immer noch abfeiern und es nicht peinlich wird, ist das Berechtigung genug, noch mal eine Tournee zu planen. Wir merken an uns selber, dass wir älter werden und vielleicht manche Dinge nicht mehr so gut hinkriegen wie früher. Aber dafür ergeben sich andere Aspekte, man wird lockerer.
Eröffnen sich da neue Möglichkeiten?
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Wenn man Glück hat, wird man mit der Zeit sogar kreativer als früher. Ich würde als Beispiel Nick Cave nehmen, der kriegt das mit einer unglaublichen Würde hin. Ich finde nicht, dass er auch nur einen Millimeter schlechter geworden ist seit den 80er-Jahren. Er ist ein Meister darin, immer noch Spannung zu erzeugen. Die Leute sind neugierig auf ihn geblieben, das ist eine große Leistung. Oder auch die Rolling Stones, wobei bei ihnen ja inzwischen nur noch zwei Originalmitglieder an Bord sind, und AC/DC. Die halten in einer anderen Form dagegen und versuchen, ihre Art des Rock bis zum Schluss durchzuziehen. Auch das nötigt mir Respekt ab. Ich weiß nicht, wo die Toten Hosen am Ende mit ihrer Lebensleistung stehen, aber ich habe das Gefühl, dass wir für die nächsten Monate sagen können, dass wir vorbereitet sind und es laut wird.
Die Toten Hosen sind bekannt dafür, dass sie live immer Vollgas geben. Ist es da egal, ob man vor 40 Leuten steht oder vor 100.000?
Das kann man tatsächlich ein wenig so sehen. Ein Auftritt in einem Club kann die gleiche Art Wildheit und identische Glücksgefühle auslösen wie ein Auftritt vor einem großen Publikum. Wobei: Ein Auftritt, der fürchterlich in die Hose geht vor 40 Menschen, der ist natürlich bei weitem nicht so unangenehm wie vor 100.000 Leuten. Da gibt’s schon Abstufungen. (lacht)
Es ist ja nicht die erste Gelegenheit zum Bilanzieren. Haben Sie schon Routine darin?
Ich habe nichts dagegen. Die Toten Hosen gibt es jetzt seit 40 Jahren, das ist ein ganz korrekter Anlass, sich umzuschauen und in aller Bescheidenheit festzustellen, mit wie viel Glück man eigentlich durchgekommen ist. Aber um viel mehr geht es nicht. Ich denke, wir werden gar kein weiteres rundes Jubiläum mehr erleben.
Was? Warum das?
Man muss sagen: Jede Zehnerstufe ist noch viel verrückter als die davor, weil wir ja schon nicht dachten, dass wir nur zehn Jahre durchhalten würden. Dann wurden es 20. Nun sind wir bei 40, aber die 50 zu schaffen, das sind nicht einfach nur weitere zehn Jahre – das sind zehn alte Jahre. Letztendlich ist es aber gar nicht unser erklärtes Ziel, die 50 vollzumachen. Sowas ergibt sich, wenn man Glück hat oder der Weg einen dorthin führt. Aber wir zielen nicht darauf. Stand heute bin ich glücklich, wenn wir bis zum Herbst durchhalten.
Rassismus, Korruption, Spießigkeit: Das sind Themen, gegen die Sie seit 40 Jahren ansingen. Oft hat man den Eindruck, es hat sich nicht viel verändert…
Deutschland und die Welt haben sich immens verändert, wir haben es nur nicht so sehr bemerkt. Es haben sich regelrechte Revolutionen abgespielt, ich nenne nur das Stichwort Internet. Dadurch wurde die Welt nicht unbedingt besser oder schlechter, aber sie hat sich definitiv verändert. Was Deutschland angeht, glaube ich, dass wir ein sehr anderes Land geworden sind, viel internationaler, viel toleranter auf den unterschiedlichsten Gebieten. Die Zuwanderung und Besuche aus aller Herren Länder haben uns gutgetan.
Gibt es nicht trotzdem genug Probleme im Land, die Sie dazu bringen, aktiv zu werden?
Die gibt es auf jeden Fall, so haben wir zum Beispiel immer noch eine ganze Menge Rechtsextreme und wir sollten weiterhin die Ärmel hochkrempeln und verstehen, dass wir für unsere Freiheiten kämpfen müssen. Es fällt einem nichts in den Schoß. Schon gar nicht mit der Haltung: Ist mir egal, was da draußen passiert, ich mache meinen Fernseher an und kümmere mich nicht drum. Man muss am Ball bleiben. Ich persönlich finde, dass unser Land ein lebenswertes ist und habe aktuell auch deutlich weniger Probleme mit der Regierung, als ich es in den 80er-Jahren hatte.
Sie haben oft politisches Rückgrat bewiesen, ich denke nur an den „Echo“, als Kollegah und Farid Bang ausgezeichnet wurden, trotz eines antisemitischen Textes… Hätte da nicht jemand anderes eher etwas sagen müssen? Oder ist dazu auch Punkrock-Geist notwendig?
Ich glaube, es wäre schade, wenn man dazu Punkrock-Geist bräuchte. Normalerweise müssten wir alle so erzogen sein. Meine Lebenserfahrung in bestimmten Kreisen hat sicher dazu beigetragen, dass ich manchmal einen Tick mehr Mut aufbringen kann als Menschen, die in ihrem Leben noch nicht mit heftigen Auseinandersetzungen konfrontiert worden sind. Die es nicht kennen, wie es sich anfühlt, wenn ein ganzer Saal gegen einen ist. Ich habe die Echo-Verleihung damals nicht als einen tollen Tag empfunden. Einer musste es tun, und ich glaube, ich war dann irgendwie in dem Moment dran, weil das Mikro da war. Das war’s dann auch schon. Ich würde denken, dass das eine Art Zivilcourage ist, die viele Leute bringen – auch solche, von denen man es nicht erwartet. Wenn sie es doch tun, ist das ein besonders schöner Moment.
Der absolute Tiefpunkt der Hosen-Geschichte war wahrscheinlich das 1000. Konzert 1997 im Rheinstadion, als ein 16-jähriges Mädchen im Gedränge ums Leben kam. Wie einschneidend war diese Krise?
Das war in der Tat unser absoluter Tiefpunkt. Mit nichts zu vergleichen. Wir haben uns im Grunde immer als eine Gang verstanden, die Lebensfreude versprüht. Dieser Katastrophentag hat so viele Dinge in Frage und so viele Sachen auf den Kopf gestellt, das war bitter für alle Beteiligten. Für die Familie des Opfers natürlich noch unvorstellbar mehr als für uns. Wir waren mit unseren Gedanken sehr zerrissen und wussten erstmal nicht, wie, geschweige denn ob es überhaupt weitergeht.
Wie steht es mit dem Höhepunkten?
Da gab es ganz viele in verschiedenen Kategorien. Natürlich ist es in gewisser Weise ein Höhepunkt, wenn ein Album sehr erfolgreich wird, viele Menschen das abfeiern und dein Lied ständig im Radio läuft. Es kann genauso gut aber auch ein Höhepunkt sein, im Proberaum zu stehen und den Moment zu spüren, in dem man sicher ist, ein Lied gefunden zu haben, das besonders scheint. Oder die Begegnung mit anderen Menschen, auch auf Reisen, ob es jetzt Süd- und Nordamerika, Tadschikistan oder China war. Es geht um die Möglichkeit, über unsere Musik andere Menschen zu treffen und denen auch etwas mitzubringen, also nicht nur als Tourist in andere Länder zu reisen, sondern sich den Leuten vorzustellen und ihnen durch unsere Musik auch ein Geschenk zu machen. Das waren für mich die großen Höhepunkte der Bandgeschichte.
Gibt es einen Song, mit dem Sie hadern, so etwas wie „Männer sind Schweine“, das Die Ärzte nicht mehr spielen wollen, weil es zum Mallorca-Hit geworden ist?
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Jeder Song, den du in die Öffentlichkeit stellst, entwickelt ein Eigenleben. Ich finde gut und richtig, dass jeder Mensch ein Lied für sich selbst interpretieren darf. Mal kann es ein Trostspender sein, mal ein Feiersong. Zum Beispiel „Tage wie diese“. Das ist mehrere Jahre lang das beliebteste Hochzeitslied in Deutschland gewesen, gleichzeitig aber auch das beliebteste Beerdigungslied. Sehr viele Leute sind aus den unterschiedlichsten Gründen emotional berührt worden. Ich finde das einfach nur schön und es gibt kein Bereuen in diesem Punkt. Im Laufe der Jahre haben wir vielleicht ein paar Lieder geschrieben, bei denen ich für mich selber denke, dass wir ein bisschen zu sehr auf einen Hit geschielt haben. So etwas merkt man einem Lied einfach an, dann wird es nicht gut. Aber, mein Gott, wir haben 500 Lieder rausgehauen. Es ist völlig selbstverständlich, dass da auch mal ein paar schwächere dabei sind, sonst könnte man auch die stärkeren gar nicht rausfiltern.
Im Laufe der Jahre bleiben zwangsläufig auch Weggefährten auf der Strecke – und die Toten Hosen haben eine Gemeinschaftsgruft auf dem Düsseldorfer Südfriedhof… Verdrängt man, dass es sich dort irgendwann füllen wird?
Ich weiß gar nicht, ob ich das verdrängen will. Ich fahre immer noch an gewissen Tagen zum Friedhof, den Geburtstagen oder Todestagen von Wölli, Jochen und Faust. Es fühlt sich irgendwie gut an, da zu sein. Natürlich steht man vor diesem Grab und denkt: Hier werde ich selber mal liegen. Aber es beruhigt auch zu wissen, wer da neben einem haust – man wird ja noch längere Zeit dort sein. Es war als Witz gedacht, aber letztendlich haben wir jetzt schon einige Beerdigungen dort hinter uns. Es ist ein ganz guter Trost geworden und vielleicht auch so etwas wie ein letzter Lacher. Ich fühle mich damit immer noch ganz wohl. Vielleicht werde ich mich verbrennen lassen und darum bitten, dass eine Handvoll Asche nach England kommt. Das wäre ein guter Kompromiss.
Würden Sie sich mehr Lebenszeit wünschen, um noch alles zu schaffen, was Sie sich vorgenommen haben?
Das Leben ist ja eigentlich so entworfen, dass man nie seine Pläne zu Ende kriegt. Man sollte eine Priority-Liste haben. Und das, was einem am wichtigsten ist, abarbeiten. Denn eines ist klar: Es wird nie für alles reichen. Mein Bedürfnis nach tollen Erlebnissen und nach Dingen, die ich noch mitnehmen will, hört bestimmt nie auf.
Im neuen Song „Chaot in mir“ singen Sie ganz offen auch von heftigen Abstürzen. Wie oft treffen Sie heute noch diesen Chaoten?
Meistens geschieht so etwas ja völlig ungeplant. Man trifft ein paar Jungs von früher und will sich nur auf ein Bier sehen. Und plötzlich bekommt so ein Abend eine Dynamik, man fährt voll vor die Wand und man läuft mit nur einem Schuh nach Hause. Solche Dinge sind manchmal ärgerlich und blöd, aber an gewissen Tagen sagt man sich auch: Okay, es war die Sache wert. Klar bin ich heute ruhiger, ich will ja nicht immer den wilden Max machen. Aber andererseits ist es totaler Quatsch zu sagen: Das war alles früher und das kommt in meinem Leben nicht mehr vor. Bei mir kommt es noch relativ oft vor, dass mir einige Sicherungen rausfliegen und auch mal richtig gefeiert wird. Ich weiß zwar nicht, wann ich das nächste Mal wieder abstürzen werde. Aber es ist mir auch klar, dass ich das nicht zum letzten Mal in meinem Leben durchgemacht haben will.
>>>Geburtstags-CD und Tour
Zum 40-Jährigen haben sich Die Toten Hosen eine besondere Form eines Best-Of-Albums gegönnt. Auf „Alles aus Liebe: 40 Jahre Die Toten Hosen“ (JKP, ca. 22 €, ab 27.5.) sind 43 Songs, teils neu aufgenommen (u.a. „Willkommen in Deutschland“) und sechs neue Songs, darunter „Scheiß Wessis“, ein Song-Duell mit Rapper Marteria („Scheiß Ossis“). In einem Song („Alle sagen das“) geht’s um die Vorurteile gegen die Band.
Die Konzerte in NRW (10.6. Köln, 24./25.6. Düsseldorf, 10.9. Minden) sind ausverkauft.