Schmallenberg. Ulrich Fritsche spürt geheimnisvollen Zeichen aus alten Zeiten nach. Ein berühmter Maler hat es ihm bei seiner Detektivarbeit besonders angetan.
Rätselhafte Sachverhalte haben es Ulrich Fritsche seit jeher besonders angetan. Vor allem aber geheime und geheimnisvolle Symbole des Mittelalters. Ihnen spürt der promovierte Chemiker aus Schmallenberg seit mehr als einem halben Jahrhundert mit großer Leidenschaft und ebensolcher Ausdauer nach.
Er sei eben ein guter Kombinierer, einer, der schwierige Zusammenhänge erfassen und entschlüsseln könne, urteilt Fritsche über sich selbst. Und dieses Talent hat er schon früh erkannt und gefördert: Geboren in einem Örtchen im Harz in der DDR, erkrankte er als Neunjähriger an Tuberkulose und musste für neun lange Monate in eine Heilanstalt. Mit Lesen und Schach spielen vertrieb er sich die erzwungene Ruhe-Zeit und schulte gleichzeitig sein Gehirn. „Ich habe es später bis zum DDR-Jugendmeister im Schach gebracht“, betont der heute 78-Jährige nicht ohne Stolz, um aber auch gleich anzufügen: „Bei einem internationalen Schach-Turnier in Skandinavien bin ich 1966 in den Westen abgehauen.“
Den Weg ins sauerländische Schmallenberg fand er später per Zufall: „Auf einer Asienreise lernte ich zwei Burschen aus Grafschaft bei Schmallenberg kennen. Als ich ihnen erzählte, dass ich Chemiker sei, verwiesen sie spontan auf das Fraunhofer Institut daheim in ihrem Ort und dass man da immer gute Chemiker brauchen würde. Ich habe mich beworben, wurde genommen - und wurde so auch ein Sauerländer.“
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Die Faszination, mysteriöse, weithin unbekannte Symbole zu entschlüsseln, bestimmen inzwischen seit mehr als fünf Jahrzehnten Ulrich Fritsches Trachten und Sinnen. Ungezählte Touren quer durch die Welt hat der Mann, der übrigens nie einen Führerschein hatte, unternommen. Schwerpunkte seiner bisweilen sehr abenteuerlichen Forschungsfahrten waren Europa und Asien. Thematisch konzentrierte er sich bald auf die Bildersprache des niederländischen Malers Hieronymus Bosch (1450-1516). „Ich habe seine Gemälde weitgehend enträtselt“, behauptet Ulrich Fricke selbstbewusst, und den Beweis dafür hat er vor einigen Jahren in mehreren Büchern (Hazeka Verlag) ausführlich dargelegt. Unter Kunsthistorikern sind seine umfassenden und zweifellos originären Bosch-Interpretationen allerdings umstritten. Während ihm aus der Fachwelt vorgeworfen wird, seine Studien und entsprechenden Folgerungen allzu subjektiv getätigt zu haben, kontert der Schmallenberger ungerührt mit dem Hinweis, man müsse die Bildmotive bei Hieronymus Bosch, „die willkürlich und absurd erscheinen“, symbolisch betrachten und daraus den sinnvollen Zusammenhang erstellen.
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Ein wesentliches Merkmal in Fritsches Forschungsvorgehen ist unbestritten seine strukturierte und stringente Methodik, die er als ein kompaktes, in sich in jedem Fall schlüssiges System aufgebaut hat. Auf diese Weise ist es ihm tatsächlich gelungen, die gemalte Bosch-Sprache sinnstiftend zu übersetzen. Und zwar bis ins letzte Detail auf und in jedem Gemälde des so rätselhaften Meisters. Schon allein quantitativ war die eine gewaltige Leistung.
Jede Menge Wissen als „Beifang“
Das umfassende Studium und die Auswertungen der so zahlreichen Bosch-Rätsel hat im Laufe der Jahre aber auch eine große Menge an, nennen wir es etwas despektierlich, „Beifangwissen“ hervorgebracht. Soll heißen, Ulrich Fritsche hat sich auch intensiv mit den symbolischen Architekturzeichen in mittelalterlichen Kirchen, Klöstern und auch Profanbauten beschäftigt. Was er dabei zutage förderte, hat er jetzt in einem neuen Doppelband unter dem Titel „Vergessene Symbole – Rätselhaftes Verhalten“ veröffentlicht. Das Ergebnis ist ein Text- und ein Fotoband voll mit überraschenden Enthüllungen. Sortiert in gut 200 Artikeln spürt der Sauerländer geheimnisvollen Hinweisen nach, die der Gegenwartslaie beispielsweise beim Besuch einer mittelalterlichen Kathedrale zumeist geflissentlich übersieht, weil er in ihnen einfach keinen tieferen Sinn zu sehen vermag.
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Hier nun will Ulrich Fritsche nachhaltig Abhilfe und Nachhilfe schaffen. Ornamente auf Steinsäulen, scheinbar unerklärliche Zeichen und Muster an Wänden, Tier- und Drachenköpfe, mal konkret und realistisch, mal verfremdet und dann wieder als Misch- oder wundersame Phantasiewesen verfremdet – all das hat Fritsche sorgfältig aufgelistet und in ihrem jeweiligen historischen, religiösen, oder auch kulturellen Zusammenhang erklärt.
Der Alltag im Mittelalter
Architektonisch Nützliches korrespondiert da mit rein Dekorativem, Kirchenkritisches mit Obrigkeitshymnen, handwerkliches Geheimwissen mit architektonischen Notwendigkeiten. Darstellungen von Menschen, Tieren und Pflanzen, von Engeln, Teufeln und Naturwesen fügen sich in immer neuen Symbol-Zusammenhängen zu Aussagen über den mittelalterlichen Lebensalltag, über fromme Hoffnungen, schuldbedingtes Bangen und das stete Sehnen nach ewigem Leben in Gottgefälligkeit.
Aus der eher nüchternen Gegenwart zurückblickend, ist Ulrich Fritsche überzeugt: „Wir brauchen nach wie vor symbolische Vorstellungen und Sinnbilder.“ Dabei räumt der Schmallenberger Symbol-Forscher durchaus ein, dass nicht nur die Menschen unserer Zeit Schwierigkeiten mit der Entschlüsselung von vermeintlich rätselhaften Darstellungen und Motiven haben: „Anzunehmen ist, dass schon in der damaligen Entstehungszeit solch verblüffender Motive der Sinn oft nicht verstanden wurde“, folgert Fritsche.
Umso erfreulicher also, dass es im Sauerland einen wahren Entschlüsselungsexperten gibt, der uns an seinem Wissen teilhaben lässt.
Ullrich Fritsche: Vergessene Symbole – Rätselhaftes Verhalten. 2 Bände (Text- und Bildteil), 360 S., zusammen 38 Euro, Hazeka Verlag.
Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei.Hier können Sie sich freischalten lassen.Sie sind noch kein Abonnent?Hier geht es zu unseren Angeboten.