Witten. Omas fördern ihre Enkel auf besondere Weise. Wie genau, will die Ruhr-Uni Bochum erforschen. Tom (9) erzählt, wie es Oma Bruni aus Witten macht.

Die Schule ist aus, die Schule beginnt: Aber nun ist Tom nicht mehr Schüler der vierten Klasse. „Ich bin der Lehrer und die Oma ist Anabel“, sagt der Neunjährige. Das Mädchen ist ein bisschen vorlaut und frech, das muss er schon mal ermahnen. Aber damit nicht genug: „Ich muss mehrere Rollen spielen“, sagt Brunhilde Kolivopoulos lächelnd. Schließlich brauchen auch die anderen Schüler eine Stimme, wie der Hase oder der Bär, die auf dem Sofa der Oma sitzen. Pardon: nicht auf dem Sofa, sondern natürlich im Klassenraum.

Wenn die Oma die Schülerin ist

Christina Kolivopoulos ist die Tochter der 78-Jährigen und im echten Leben Lehrerin. Die 44-Jährige kann nur staunen, mit welcher Ausdauer Oma Bruni für das Spiel mit dem Enkel in verschiedene Rollen schlüpft. „Das könnte ich nicht!“, sagt sie bestimmt. Beide sind Mütter, beide machen vieles ähnlich in der Erziehung – aber nicht alles. Die Ruhr-Uni Bochum möchte nun erforschen, inwiefern Großmütter ihre Enkel bei der Entwicklung unterstützen. Gesucht werden Familien für eine Studie (siehe Text unten). Wir haben vorab die Familie aus Witten befragt, wobei Tom mit seinen neun Jahren schon älter ist als die Kinder, die für die Forschung infrage kommen. Dafür kann er schon einiges erzählen.

Bitte nicht wackeln: Tom spielt mit seiner Oma Bruni Kolivopoulos und Mama Christina Mikado.
Bitte nicht wackeln: Tom spielt mit seiner Oma Bruni Kolivopoulos und Mama Christina Mikado. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Schließlich ist er einmal in der Woche bei Oma Bruni. Endlich wieder, denn die Pandemie hatte auch sie vorsichtiger gemacht. Wenn die beiden nicht gerade in der Schule sind, dann holt die Oma auch schon mal Papier und Farben hervor. Die vielen Bilder, die Tom im Laufe der Jahre gemalt hat, sind in einem Ordner abgeheftet. Auf manchen Werken steht ein Preis: Die Blumenvase kostet 20 Euro, das Porträt von der Oma gibt’s schon für 4 Euro. „Dann spielen wir Kunsthändler.“

Kinder mit Geld belohnen?

Wobei das Geld natürlich ebenfalls nur imaginär ist. Als Christina noch klein war, hat Bruni Kolivopoulos ihre Tochter nie mit Geld belohnt. Bei ihrem Enkel macht sie es anders. Wenn er ein Diktat gut schreibt, wird schon mal das Taschengeld aufgestockt. „Großeltern dürfen das“, sagt Christina Kolivopoulos.

Wo gibt es noch Unterschiede? Tom zögert beim Antworten. „Das darfst du ruhig“, muntert ihn seine Mutter auf und küsst ihrem „Krümel“ die Stirn. Aber warum sollte er überhaupt Unterschiede machen, die eine besser dastehen lassen als die andere? Schließlich mag er Mama und Oma sehr – und eine andere liebe Oma gibt es ja auch noch. Die Frage, ob sie sich unterschiedlich kleiden, verneint er. Da lacht seine Mama herzlich. Zwar tragen die beiden Frauen an diesem Tag blaue Pullover, aber: „Ich habe oft Band-shirts an, so etwas trägt meine Mutter nicht.“

Also überlegen Bruni Kolivopoulos und ihre Tochter Christina selbst, inwiefern sie sich voneinander unterscheiden, was sie anders machen. In vielen Dingen sei ihre Mutter geduldiger. Sie reagiere nicht genervt, wenn Tom etwa – wie vor ein paar Jahren – das Verlieren noch lernen musste und sämtliche Spielpuppen vom Tisch fegte. „Aber streng bin ich auch nicht“, so Christina Kolivopoulos. „Dafür bist du sehr praktisch“, meint ihre Mutter. „Du kannst in Nullkommanichts Möbel aufbauen.“

Die Sorgen werden größer

Christina Kolivopoulos war schon früh klar, dass sie ein Kind haben möchte – und dass sie es ähnlich erziehen will, wie es ihre Eltern getan haben. Dass sie sich jedoch immer stärker sorgt, so wie es ihre einfühlsame Mutter stets getan hat, darüber macht sie sich Gedanken: „Was ich anders machen möchte: Ich möchte nicht, dass meine Sorgen seine Ängste werden.“

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Bei der Mediennutzung setzt sie allerdings eher Grenzen. „Ich habe bei mir alle Spiele mit meinem Fingerabdruck gesperrt.“ Bei der Oma darf Tom schon mal auf dem Handy spielen – aber niemals, wenn die Familie am Tisch sitzt. Ansonsten spielen Oma und Enkel auch Lego, reisen gedanklich zu den Pyramiden. Oder sie erzählt ihm selbst erfundene Märchen. „Die Fantasie ist bei Oma anders als bei Mama“, meint Tom. Wie genau, kann er gar nicht sagen. Manchmal spielen sie aber auch einfach nur Mikado oder Mensch-ärgere-dich-nicht. Ganz neu: „Drecksau“ – ein Kartenspiel.

Wer ist ordentlicher?

„Mutti ist definitiv ordentlicher als ich“, sagt Christina Kolivopoulos. „Ich hätte nicht so gerne, dass Tom unter das Sofa rutscht“. Der blitzblanke Platz unter der Couch zählt in der Wohnung der Großeltern zu Toms Lieblingsverstecken. Bei dem Thema Ordnung meint auch Tom: „Oma ist ein bisschen besser.“ „Erst aufräumen, dann wird das nächste gespielt“, lautet eine Oma-Regel, die er mittlerweile beherzigt. Und noch etwas scheint ihr wichtig zu sein: Sie streicht Tom den langen Pony aus dem Gesicht, bevor der Fotograf erneut auf den Auslöser drückt. „Leider ist er nicht extra beim Friseur gewesen.“

Nun gibt’s Kaffeeklatsch. Und Tom isst den Streusel-Aprikosenkuchen der Oma mit dem Appetit eines Neunjährigen: Ein Stück ist kein Stück! Und schon liegt das nächste auf seinem Teller – er grient über das ganze Gesicht. „Langsam“, sagt die Omi liebevoll. Und die Mama bemerkt: „Bei Oma wirst du nie zum Gemüse essen gezwungen.“ Bei Mama und Papa muss er wenigstens den Brokkoli probieren.

Entwicklungspsychologin Johanna Schoppmann von der Ruhr-Universität Bochum.
Entwicklungspsychologin Johanna Schoppmann von der Ruhr-Universität Bochum. © Privat | Privat

Und dann stellt Tom doch noch einen Unterschied fest, als es darum geht, ob Oma und Mama anders backen oder kochen. Vielleicht schmeckt das Essen ja sogar bei der einen oder bei der andern besser? Tom verkündet mit lauter Stimme: „Mein Opa macht die besten Spaghetti der ganzen Welt – mit Tomatensoße und Fleischbällchen.“

>> Knobeln für die Wissenschaft. Ruhr-Uni sucht Familien für eine Studie

Oma spielt anders, Oma hilft anders. Was viele aus eigener Erfahrung kennen, möchten Forschende der Ruhr-Uni Bochum genau untersuchen. Dazu suchen sie Familien: Mutter und Kind plus Oma – mütterlicher- oder väterlicherseits.

Die Forschenden wollen herausfinden, inwiefern sich die Mädchen und Jungen bei verschiedenen Spielsituationen mit unterschiedlichen Bezugspersonen verhalten. Entwicklungspsychologin Johanna Schoppmann (31) erklärt: „Sind Vorschulkinder vielleicht fröhlicher, entspannter, konzentrierter oder zeigen mehr Durchhaltevermögen, wenn sie von der Oma oder von der Mutter begleitet werden?“

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Großeltern würden bisher kaum in der Forschung zur kindlichen Entwicklung berücksichtigt, dabei spielten sie eine wichtige Rolle bei der Kinderbetreuung, so die Studienleiterin. In einer weiteren Studie möchte sie gerne das Verhalten von Vätern und Großvätern untersuchen.

Die teilnehmenden Mädchen und Jungen müssen in einem bestimmten Alter sein: von fünf Jahren und sechs Monaten bis zu einem Tag vor ihrem 6. Geburtstag. Die Kinder nehmen an zwei Terminen von zu Hause aus über die Videoplattform Zoom teil. Das Kind löst dann etwa eine Knobelaufgabe. Bei einem Termin wird es von der Großmutter und bei dem anderen von der Mutter begleitet. Jeder Termin dauert etwa eine Stunde und wird aufgezeichnet. Als Dankeschön bekommt das Kind ein kleines Geschenk sowie eine Urkunde.

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