Essen. Instagram, Facebook und Co. können süchtig machen und der Psyche schaden. Hilft eine Social-Media-Auszeit? Ein Selbstversuch vor der Fastenzeit.

Zum Beispiel Instagram. In den wenigen Minuten zwischen zwei Meetings will ich nur kurz schauen, ob meine Freunde etwas geteilt haben. Und schon befinde ich mich auf der Seite eines Deko-Shops und klicke mich durch das Angebot. Dabei brauche ich gar keine neue Vase. Das Meeting hätte ich fast vergessen. Oder Facebook. Eine neue Freundschaftsanfrage ploppt auf. Nur kurz nachsehen, ob ich die Person kenne. Und schon wische ich ziellos über die Artikel oder die Werbung, die mir auf der Startseite der App angezeigt werden.

Soziale Netzwerke wollen die Aufmerksamkeit und bekommen sie häufig sofort. Sie ziehen Nutzer in ihren Sog. Mutieren zu regelrechten Zeitfressern, die den User geistlos hin und her klicken lassen. Laut einer Statistik bei Statista verbrachten die 16- bis 64-Jährigen in Deutschland im vergangenen Jahr 89 Minuten täglich mit den Sozialen Medien. Die Plattformen können einen währenddessen in Filterblasen entführen, die Wahrnehmung manipulieren, warnen Experten. Alles nicht schön. Wie beeinflussen soziale Netzwerke den Ablauf meines Tages? Wie die Stimmung? Zeit für ein Experiment: Ich verzichte für zehn Tage auf soziale Netzwerke.

Lesen Sie hier: Wie soziale Netzwerke die Psyche austricksen – und süchtig machen können.

Social-Media-Verzicht: Alle sozialen Netzwerke sind verboten

Alles muss an diesem Montagmorgen runter vom Smartphone: Instagram, Facebook, Youtube ja sogar die Netzwerkplattform Xing. Alles kommt weg, bevor ich zur Zahnärztin fahre, die mich um 8 Uhr erwartet. Als ich im Wartezimmer sitze, rutscht mein Finger automatisch an die Stelle auf dem Handy-Bildschirm, an der sich vorher die Instagram-App befand. Aber sie ist ja nicht mehr da. Ein Reflex, der mich das Experiment früh eine Stufe höher schalten lässt: Ich aktiviere den Graustufenmodus auf meinem Smartphone. Es gibt keine leuchtenden Farben mehr, nur noch Grautöne, das reduziert die Reize auf dem Bildschirm. Was mache ich nun mit der überflüssigen, mit der zusätzlichen Zeit? Schon werde ich ins Behandlungszimmer gerufen.

Als ich später im Homeoffice sitze, merke ich, dass ich auf dem Smartphone mehr Zeit im Internet verbringe und mich durch verschiedene Webseiten klicke. Offenbar will mein Gehirn den Verlust der Social-Media-Apps kompensieren. Ich nutze noch eine Hilfestellung des Handys und schalte einen Timer ein. Nach einer Minute wird mein Browser gesperrt. Ich müsste einen Code eingeben, um die App weiter benutzen zu können. Diese Schranke schließt das letzte Schlupfloch, durch das ich gehen könnte, um sinnlos zu scrollen. Ich bin gespannt, wie mein Gehirn mit den Hürden klarkommt.

Nutzungszeit beschert den Social-Media-Plattformen Geld

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Kleiner Exkurs: Das Geschäftsmodell von sozialen Netzwerken ist im Prinzip leicht zu durchschauen. Eine Plattform will, dass man viel Zeit auf ihr verbringt und möglichst vielen verschiedenen Accounts und Seiten folgt. Dadurch erhält die Plattform persönliche Daten. Sie kann dann noch präziser Werbung ausspielen und kassiert mehr Geld. Die Entwickler der Apps haben sich deshalb einiges ausgedacht, um einen ans Handy zu fesseln.

Jedes Mal, wenn wir die Startseite bei – sagen wir mal – Facebook neu laden, beginnen wir, einen Spielautomaten zu drücken. Diese Metapher beschreibt der Technologie-Ethiker Tristan Harris auf seinem Blog. Wenn wir nach unten wischen, passiert im Gehirn etwas Ähnliches wie beim Hochdrücken des Hebels am Automaten. Wir wissen nicht, was uns nach dem Laden der Seite angezeigt wird. Vielleicht ein schönes Foto, vielleicht eine Veranstaltung, vielleicht eine Werbung. In jedem Fall aber etwas Neues. Das versetzt uns in Spannung und lässt uns wiederkommen.

Noch ein Beispiel: Ein neues Bild bekommt innerhalb von fünf Minuten zehn Likes und wird dreimal kommentiert. Man fühlt sich gut und bestätigt. Dopamin wird freigesetzt. Das ist ein Neurotransmitter, der auch „Botenstoff des Glücks“ genannt wird. Er wird ausgeschüttet, wenn das Gehirn etwas Schönes erwartet. Man will mehr und neigt dazu, häufiger zu posten.

„Digitaler Minimalismus“: Nur die Apps nutzen, die man wirklich benötigt

Weiter im Experiment: Ab und zu klicke ich auf WhatsApp dorthin, wo die Stories angezeigt werden. Die funktionieren ähnlich wie auf Instagram: User können ein Foto teilen, das allerdings für nur 24 Stunden von den WhatsApp-Bekannten angeklickt werden kann. Dann löscht sich das Bild.

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Abgesehen davon bekommt mein Smartphone in den ersten Tagen des Experiments bereits deutlich weniger Aufmerksamkeit von mir. Das leuchtet ja auch ein: Alle Anwendungen, die auf dem Handy Spaß machen, habe ich gelöscht oder eingeschränkt. Natürlich könnte ich die Taschenrechner-App durchspielen, aber dann greife ich doch lieber zu einem Buch. Zum Beispiel zu „Digitaler Minimalismus“ des Informatikers Cal Newport.

In dem Buch stellt er seine Philosophie des digitalen Minimalismus vor: Newport empfiehlt, 30 Tage auf sämtliche technische Geräte zu verzichten und daraufhin den Nutzen einer jeden Technologie zu hinterfragen. Er will nicht, dass wir alle digitalen Geräte und Anwendungen langfristig aus dem Leben verbannen. Sondern dass wir überlegen, welche einen echten Nutzen für uns persönlich haben und welche nur Zeitverschwendung sind.

Bei mir sind es zwar nur zehn Tage statt 30, aber den Ansatz greife ich auf: Welche Apps brauche ich wirklich? Welche nicht?

Social-Media-Detox: Die digitale Auszeit gelingt besser als erwartet

Was ich schon während der Auszeit merke: Der Verzicht auf Social Media erschwert meine Arbeit. Die Recherche und die Suche nach Gesprächspartnern ist herausfordernder ohne Instagram und Facebook. Den Beruf ausgeklammert erkenne ich positive Effekte. Ich fühle mich fokussierter und lasse mich weniger ablenken. Zudem schlafe ich besser, wenn ich vorher keine Zeit auf dem Smartphone verbringe.

Am Freitagabend stelle ich mir erstmals die Frage, ob mir durch das Social-Media-Fasten etwas entgeht. Erleben meine Freunde gerade etwas Tolles? Instagram wüsste die Antwort. Ich werde sie nicht erfahren. Dieses Phänomen nennen Forschende „Fear of Missing Out“ (FoMO): die Angst, etwas zu verpassen. An diesem Abend fühlt sich der Verzicht daher an wie ein Mückenstich, den man kratzt: irgendwie sehr gut, irgendwie aber auch nicht gut. Vor ernstzunehmende Probleme stellt mich das Fasten aber weiterhin nicht.

Nun bin ich auch wahrlich niemand, der sein ganzes Leben auf den Plattformen teilt. Niemand, den man als „Heavy User“ bezeichnen würde. Auf Facebook habe ich noch nicht einmal ein Profilbild und mein Instagram-Profil umfasst drei Fotos. In meinem ganzen Leben habe ich zwei Stories geteilt. Das schaffen manche meiner Freunde an einem Tag. Ihnen würde der Verzicht mutmaßlich schwerer fallen.

Das Handy kommt weg, dafür bleibt mehr Zeit fürs Lesen. Volontär Justus Heinisch hat zehn Tage auf soziale Netzwerke verzichtet.
Das Handy kommt weg, dafür bleibt mehr Zeit fürs Lesen. Volontär Justus Heinisch hat zehn Tage auf soziale Netzwerke verzichtet. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Am Wochenende fällt mir auf: Der Tag gewinnt gefühlt an Stunden hinzu. Die Minuten, die beim Scrollen schneller an mir vorbeiziehen als Usain Bolt auf einer 100-Meter-Strecke, habe ich nun ganz für mich. Ich fühle mich entspannter und ruhiger. Na ja, außer am Samstagnachmittag, an dem ich den Timer für den Browser ausstelle. Fußball. Ich muss leider alle paar Minuten den Liveticker aktualisieren und schauen, wie es steht, geht nicht anders. Nach zwei späten Toren 2:0 gewonnen, noch mal Glück gehabt. Ein Rückfall, nach dem Abpfiff geht der Timer wieder an.

Sonntag lege ich mein Handy für mehrere Stunden in ein anderes Zimmer. Ganz ohne Ablenkung widme ich mich dem gepflegten Nichtstun, das unterschätzt wird und zu Unrecht verpönt ist. Nichtstun soll die Kreativität fördern und den Stresslevel senken, heißt es aus der Forschung.

Mir fällt es teilweise gar nicht leicht, Langeweile zuzulassen. Manchmal gaukelt mir meine Gedankenwelt vor, dass es eine gute Idee sei, aufzustehen und ins Nebenzimmer zu sprinten, um auf das Handy zu schauen. Vielleicht habe ich eine wichtige Nachricht bekommen, die ich sofort beantworten muss. Ich widerstehe, bleibe im Raum, mache mir stattdessen gute Musik an und koche ein Gericht aus Israel: Shakshuka, pochierte Eier in Tomatensauce. Das gelingt und schmeckt mir viel besser, wenn nicht permanent ein Smartphone-Bildschirm neben dem Herd liegt und aufleuchtet. So steht eine der wichtigsten Erkenntnisse des Experiments für mich schon Tage vor dem Ende der Fastenzeit fest: Was du nicht siehst, stört dich nicht. Es wirkt Wunder, das Handy einfach aus dem Sichtfeld zu legen.

Digitales Fasten – eigentlich verpasst man wenig

Endspurt, drei Tage noch. Keine Spur von Entzugserscheinungen, es überwiegen klar die positiven Effekte. Ich bin weniger gestresst. Montag, Dienstag, Mittwoch vergehen. Mein Gehirn scheint sich an den Verzicht gewöhnt zu haben. Dann der entscheidende Tag.

Es ist Donnerstag und ich lade alle Apps wieder herunter. Wie viele Nachrichten sind mir entgangen? Wie viele Freundschaftsanfragen? Was habe ich denn nun verpasst?

Nichts.

Facebook spuckt mir zur Begrüßung einen Beitrag aus, der vier Tage alt ist. Darunter folgt Werbung. Die Facebook-Benachrichtigungen beschränken sich fast ausschließlich auf Geburtstagshinweise und Vorschläge, welche Seiten mir gefallen könnten. Bei Instagram habe ich während der Auszeit sechs Nachrichten bekommen, relevant ist davon eigentlich keine. Es sind witzige Bilder und Videos, die mir Freunde weitergeleitet haben.

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Natürlich haben soziale Netzwerke ihre Vorteile. Ich kriege mit, was in meinem Freundeskreis passiert, bleibe auf dem Laufenden und in Kontakt. Doch dafür brauche ich eigentlich keine Handy-App mit all ihren Risiken und Nebenwirkungen des unendlichen Scrollens. Wenn ich mich updaten möchte, werde ich Insta, Facebook und Co. nur noch auf dem Laptop öffnen. Dort ist die Gefahr, im Sog des Scrollens zu versinken, gleich null. Und die Apps? Verschwinden wenige Minuten nach der Installation schon wieder von meinem Smartphone.