Ruhrgebiet. Sofort nach dem positiven Test hat sich Roxana Rotthaus um eine Hebamme bemüht – und nur Absagen erhalten. Damit ist die Schwangere nicht allein.

Gerade einmal so groß wie ein Apfelkern ist das Baby in ihrem Bauch, als Roxana Rotthaus die erste Absage erhält. „Ich habe mich direkt nach dem positiven Test in der vierten Schwangerschaftswoche um eine Hebamme bemüht“, erzählt die 25-Jährige. „Es ist mein erstes Kind. Da ist man ja noch etwas unsicher.“ Mittlerweile ist die Babykugel deutlich gewachsen – Roxana Rotthaus aber noch immer ohne Hebamme.

„Ich habe nur Absagen bekommen“, erzählt die werdende Mutter, die ihr Baby im Mai erwartet. „Eigentlich wollte ich die Vorsorge von einer Hebamme durchführen lassen.“ Doch jedes Mal habe ihr eine freundliche Stimme am Telefon gesagt: „Ich habe leider keine freien Kapazitäten mehr.“ Ihr Wunsch nach einer Hausgeburt sei damit geplatzt, bedauert Roxana Rotthaus. Wann aber hätte sie sich denn um eine Hebamme bemühen sollen?

„Eigentlich muss man erst eine Hebamme finden und dann schwanger werden“, sagt Barbara Blomeier, Vorsitzende des Hebammenverbandes NRW. Zwar verspüre der Landesverband seit Jahren steigende Mitgliederzahlen. Die Realität ist jedoch eine andere: In einer Facebook-Gruppe, in der sich Schwangere und Hebammen aus dem Ruhrgebiet miteinander vernetzen, gibt es täglich Nachrichten wie diese: „Hallo, ich bin auf der Suche nach einer Hebamme in Essen“, „Suche eine Hebamme, Entbindungstermin im Juli 2022“. Sechs Wochen zu früh hat eine junge Frau aus Duisburg ihr Kind zu Welt gebracht. „Ich habe große Sorge und würde mich über eine Hebamme freuen“, schreibt sie. Wo sind die ganzen Hebammen?

„Die Arbeitsbedingungen sind nicht aushaltbar“

„Der Großteil der Hebammen arbeitet freiberuflich“, erklärt Barbara Blomeier vom Landesverband. Viele Hebammen seien selbst Mütter und arbeiteten nicht Vollzeit. Weite Strecken in ländlichen Gebieten aber auch das hohe Stauaufkommen in größeren Städten und Ballungszentren wie dem Ruhrgebiet sorgten dafür, dass sie nur wenige Hausbesuche am Tag schafften. Viele freiberufliche Hebammen stellten sich außerdem die Frage: Lohnt sich der Einsatz? „Sie arbeiten unter der Minijob-Grenze, da sie ansonsten höhere Beiträge für die Renten- und Krankenversicherung zahlen müssten.“

Barbara Blomeier ist Vorsitzende des Hebammenverbandes NRW.
Barbara Blomeier ist Vorsitzende des Hebammenverbandes NRW. © Hebammenverband | Rinke

Wenn ein Krankenhaus die Geburtsstation dicht macht, bedeutet das für schwangere Frauen: Der Weg zur Klinik wird weiter. Immer mehr Hebammen kündigten ihren sicheren Job in der Klinik, sagt Barbara Blomeier. Es gebe kaum Bewerbungen, freie Stellen blieben unbesetzt. „Die Arbeitsbedingungen sind nicht aushaltbar“, begründet die Landesvorsitzende. Die Angst, allein im Nachtdienst mit drei gebärenden Frauen einen Fehler zu machen, sei einfach zu groß. „Als Hebamme arbeite ich gut, wenn ich Zeit habe und die Frau sich gut betreut fühlt“, sagt Blomeier. „Das kann ich nicht, wenn ich zwischen drei Kreißsälen hin- und herspringen muss.“

„In den Wehen allein zu sein ist eine schreckliche Situation“

Viele werdende Mütter fühlten sich während der Geburt alleingelassen. „In den Wehen allein zu sein ist eine schreckliche Situation“, sagt Barabara Blomeier und erinnert an die Corona-Maßnahmen einiger Kliniken, die es Vätern verbieten, bei der Geburt dabei zu sein. „Das ist kein guter Start in das Muttersein.“

Wie die steigenden Mitgliederzahlen zeigten, sei der Nachwuchs nicht das Problem: „Wir haben mehr Bewerbungen als Studienplätze“, so die Vorsitzende des Hebammenverbandes NRW. Seit Anfang 2020 ist Hebamme kein Ausbildungsberuf mehr. Die Sorge, dadurch eine Vielzahl der Bewerberinnen und Bewerber zu verlieren, habe sich aber nicht bestätigt. „Schon zuvor hatten 98 Prozent Abitur.“

Während der praktischen Phase in der Klinik komme jedoch „das böse Erwachen“. Viele Hebammen wollten anschließend nur in der Vor- und Nachsorge arbeiten, „auf keinen Fall in der Geburtshilfe“, sagt Blomeier. Dabei sei das der Kernbereich ihres Berufes.

Hebammenmangel: Die „letzte Option“ sagt freundlich ab

Roxana Rotthaus hat sich für eine ambulante Entbindung in einer Klinik entschieden. Bedeutet: Noch am Tag der Geburt möchte sie wieder nach Hause zurückkehren – vorausgesetzt, dass es ihr und dem Kind gut geht. Damit sie in den ersten Tagen und Wochen nicht allein dasteht, hat sie sich auf die Suche nach einer Nachsorge-Hebamme gemacht. „Ich habe vor einigen Tagen die letzte übrig gebliebene Hebamme kontaktiert, die für unser Gebiet zuständig ist“, sagt die junge Frau, die vor kurzer Zeit von Essen nach Moers gezogen ist. Die nächste Enttäuschung: „Sie sagte mir freundlich ab.“

Am Telefon habe Roxana Rotthaus der Hebamme erzählt, wie verzweifelt sie ist, dass sie ihre „letzte Option“ gewesen sei. „Das hat wohl Mitleid erregt.“ Denn ein paar Stunden später erhält die 25-Jährige einen Anruf: Die Hebamme versucht, sie irgendwie dazwischen zu schieben, wenn auch nur für die Nachsorge. „Aber das“, zeigt sich Roxana Rotthaus erleichtert, „ist schon einmal viel Wert.“

Weitere Informationen:

■ Vor und nach der Geburt hat jede gesetzlich versicherte Frau Anspruch auf die Unterstützung einer Hebamme. Damit Hebamme und Schwangere zusammenkommen, gibt es Hebammenzentralen. Dabei handelt es sich um Zusammenschlüsse freiberuflicher Hebammen, die Frauen bei der Suche helfen. Auch über Internetplattformen wie ammely.de können Frauen Hebammen finden.

■ Eine Alternative könne die Beratung über eine Video-Sprechstunde sein, sagt Barabara Blomeier vom Landesverband der Hebammen. Dabei sei es unerheblich, ob die Hebamme in Wohnortnähe ist. „Das ist besser als nichts.“