Wattenscheid. Auf dem Gnadenhof in Bochum leben Tiere, die ein schweres Schicksal haben. Karin Jericho gibt ihnen ein Zuhause, dabei benötigt sie selbst Hilfe.

Ein schwarzer Kater streicht um die Beine der Ankommenden. Als ob er sagen wollte: Hier seid Ihr richtig! Lasst Euch nicht abhalten von dem hohen Bauzaun. „Der ist für die Ziegen“, wird Karin Jericho später erzählen. Damit die Zicken nicht wieder ausbüxen, mitten hinein ins Wohnviertel.

Neben Katzen und Ziegen leben auf dem Gnadenhof in Bochum-Wattenscheid Pferde und Ponys, Gänse und Kaninchen. Bei denen gab es gerade Nachwuchs. Aus einem Erdloch im Freigehege hoppelt ein weißes Fellknäuel, es hätte Platz auf einer ausgestreckten Hand. „Eigentlich sollte Alice, die Mutter, kastriert sein. . .“, sagt Jericho und lächelt nachsichtig über das falsche Versprechen der vorherigen Besitzer. Für die hat die Leiterin des Gnadenhofs aber oft nur wenig Verständnis.

 Gefährlich soll Rosi sein. So haben es jedenfalls die vorherigen Besitzer des Reitpferds behauptet, sagt Karin Jericho. Doch ohne Leistungsdruck ist das Tier neugierig und sanft.
Gefährlich soll Rosi sein. So haben es jedenfalls die vorherigen Besitzer des Reitpferds behauptet, sagt Karin Jericho. Doch ohne Leistungsdruck ist das Tier neugierig und sanft. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Als Rosi zu ihr kam, hieß es: „Die ist gefährlich!“ Treten würde sie, sich auf die Hinterbeine stellen – einfach nicht haltbar dieses Pferd. Kaum zu glauben, wenn man das Tier sieht, das sich von Karin Jericho die Stirn kraulen lässt.

Es eignen sich nicht alle Pferde für den Turniersport

Sobald Jericho jedoch anfangs das braune Pferd auf einen Reitplatz geführt hat, wollte es sich keinen Zentimeter mehr bewegen. „Ich weiß nicht, was da passiert ist, die macht komplett dicht.“ Ähnliche Sätze sagt Jericho auch zu anderen Tieren. Sie kann oft nur erahnen, was sie erlitten haben. „Es eignen sich nicht alle Pferde für den Turniersport“, sagt die 58-Jährige. „Rosi ist vom Charakter her nicht belastbar.“

So leben auf dem Gnadenhof nicht nur alte Tiere, die dem Schicksal beim Schlachter entkommen sind und nun ihre letzten Jahre in Ruhe genießen dürfen. Gnade kann auch anders aussehen: Speedy, „der Chef“, war Jerichos erstes Pferd. Sie hat ihn 2006 aus einem Stall „rausgekauft“, weil sie den Eindruck hatte, dass es dem scheuen Tier dort nicht gut ging. Spotty, die Stute mit der geflochtenen Mähne, war „billig abzugeben“. Die Besitzerin habe keine Zeit für das Tier gehabt. Und Rosi hat nicht geleistet, was sie bei der Springdressur leisten sollte. Daher war sie für die Besitzer nicht mehr zu gebrauchen, so Jericho. „Das machen die Leute dreimal bei so einem Pferd mit – und dann ist es reif für die Wurst.“

Für lange Tiertransporte hat sie kein Verständnis

Jericho verteufelt es nicht, wenn Tiere geschlachtet werden. „Ich bin selbst keine Vegetarierin“, sagt die Gelsenkirchenerin. Aber für lange Tiertransporte hat sie kein Verständnis. Und auch nicht, wenn man ein Pferd als Sportgerät betrachtet und nicht als das, was es ist: ein Lebewesen.

Nachwuchs bei den Kaninchen: Das Kleine von Mutter „Alice“ hätte Platz auf einer ausgestreckten Menschenhand.
Nachwuchs bei den Kaninchen: Das Kleine von Mutter „Alice“ hätte Platz auf einer ausgestreckten Menschenhand. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

„Jetzt weiß ich, wo das Futter geblieben ist“, stöhnt Jericho auf einmal und sieht dabei aus, als ob sie nicht wüsste, ob sie lachen oder weinen soll. „Selbstbedienung!“ Eine Ziege ist auf einen der Metallschränke gesprungen und hat von oben mit der Schnauze die Tür geöffnet. Das getrocknete Brot dahinter duftete wohl zu verführerisch.

Noch gibt es Futter. Aber das Geld wird knapp, sagt Jericho, die vormittags als Bürokauffrau arbeitet und nachmittags bei ihren Tieren ist. Schon als Mädchen ist sie gerne geritten, wie ihre Töchter. Nur die beiden helfen ihr und ein paar Ehrenamtliche. Der Gnadenhof muss sich selbst finanzieren, rund 1500 Euro benötige sie im Monat, so Jericho. Und es ist ja nicht nur das Futter: Auch die Tierarztkosten müssen finanziert werden.

Die Kalender von den Tieren wurden dieses Jahr bisher kaum gekauft, auch Futter-Spenden bleiben aus. „Corona“, nennt Jericho als Grund. Die Pandemie hat auch eine weitere Einnahmequelle zunichte gemacht: Familientage mit Kindern, bei denen sie die Ponys nicht nur reiten, sondern auch pflegen und richtig kennenlernen dürfen.

Trotzdem gab es auch in den vergangenen Monaten einen Hoffnungsschimmer: Menschen mit schweren Behinderungen kamen zum Gnadenhof, ein Haus der Bethel-Stiftung in Dortmund hat es ihnen ermöglicht. Sie konnten den Pferden nahe sein.

Kaum sind die Näpfe gefüllt, kommen die Katzen aus allen möglichen Ecken des Gnadenhofs angerannt.
Kaum sind die Näpfe gefüllt, kommen die Katzen aus allen möglichen Ecken des Gnadenhofs angerannt. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

„Rosi würde niemals einen Schritt zu weit gehen“, ist sich Jericho sicher. „Nicht Rosi, das würdest du nie machen?“, sagt sie leise zu dem Pferd, während sie seinen Hals streichelt. Genauso sanft sei Rosi gewesen, als eine Frau im Rollstuhl zu ihr hinaufblickte. Für Jericho waren es berührende Momente, wenn sie sah, wie sich harte Gesichtszüge der Menschen entspannten, sobald die Hände das Fell berührten, das Fell der Pferde, der Ziegen, der Katzen.

Katzen aus dem Ahrtal

Jericho füllt die Näpfe mit Futter. Und sogleich kommen sie aus allen Ritzen geflitzt. Eins, zwei, drei. . . sieben? „Wir haben welche aus dem Ahrtal aufgenommen“, sagt Jericho. Die Besitzer, Opfer der Flutkatastrophe, wollten ihre Katzen eigentlich vom Gnadenhof wieder zurückholen. Aber wohin mit ihnen? „Das Haus, in dem sie gelebt haben, existiert nicht mehr.“