Bochum. Insbesondere kleinen Kindern fällt das Warten schwer. Eine Kinder- und Jugendpsychotherapeutin der Uni Bochum erklärt, wie sie es lernen.

Eine Schlange an der Supermarktkasse bis zur Gefriertruhe: Die wenigsten werden diese Situation als spaßig empfinden. Für Kinder von zwei, drei Jahren ist dieses langweilige Warten kaum auszuhalten. Dann quengeln sie, zeigen auf die Schoko-Weihnachtsmänner an der Kasse. Und wenn es ganz unangenehm wird, gibt’s einen Wutanfall. Maren Schürmann sprach mit der Entwicklungspsychologin Johanna Schoppmann von der Ruhr-Uni Bochum. Die 31-Jährige hat mit einem Team erforscht, wie auch schon kleine Kinder lernen können, das Warten auszuhalten. Oder es vielleicht sogar in einen guten Moment zu verwandeln.

Wie empfinden kleine Jungen und Mädchen die Situation an der Supermarktkasse?

Johanna Schoppmann Meistens wissen sie gar nicht, worauf sie jetzt eigentlich warten und warum. Dann sehen sie auch noch an der Kasse die ganzen Süßigkeiten, das ist natürlich sehr verlockend. Dazu kommt, dass Kinder in dem Alter Zeit nicht so wahrnehmen wie wir, sie haben kein Verständnis von der Uhrzeit. Ihr Empfinden ist meistens an Ereignisse gebunden: Nach dem Spielen oder nach dem Mittagessen passiert irgendwas. Aber man kann ihnen nicht sagen, in zehn Minuten ist irgendetwas vorbei, das verstehen sie einfach nicht. Das heißt, wenn sie im Einkaufswagen an der Kasse sitzen, passiert gefühlt für sie stundenlang gar nichts.

Was machen die Kinder dann?

Johanna Schoppmann, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin an der Ruhr-Universität Bochum.
Johanna Schoppmann, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin an der Ruhr-Universität Bochum. © Privat | Privat

Häufig fangen Kinder an, sich Ereignisse zu suchen, sie spielen mit den Sachen im Supermarkt, versuchen die Süßigkeitentüte aufzumachen, weil es einfach zu langweilig wird. Wenn die Eltern dann auch noch gestresst sind, weil sie an 20 andere Dinge denken, die sie an dem Tag noch erledigen müssen, dann reagieren sie eher genervt auf die Kinder und sagen: „Hör auf rumzulaufen, lass die Sachen in Ruhe.“ Was dazu führt, dass Kinder den Stress der Eltern wahrnehmen und dann auch selbst gestresster reagieren. Sie fangen an zu quengeln.

Sie haben aber nun erforscht, dass auch schon Kleinkinder das Warten lernen können?

Wir haben uns Kinder im Alter von zwei und drei Jahren angeschaut. Sie kennen es, wenn Eltern sagen: „Warte mal eben, bis ich das Telefonat zu Ende geführt habe, das Essen fertig ist, bis die Geschwisterkinder angezogen sind.“ Und zugleich ist es für die Kinder schwierig, damit umzugehen. Sie können das aber lernen, indem sie andere dabei beobachten, wie sie mit dem Warten umgehen. In dem Alter lernen Kinder sehr häufig durch Beobachtung. In unserer Studie konnten sie sehen, wie sich ein Erwachsener beim Warten mit Spielen abgelenkt hat. Dabei kam heraus, dass die Kinder, die eben direkt vorher eine erwachsene Person beobachtet hatten, sich auch selber mehr abgelenkt haben, als Kinder, die so ein bisschen sich selbst überlassen waren.

Wenn Kinder an der Bushaltestelle Erwachsene beobachten, überbrücken diese aber die Wartezeit meist mit dem Smartphone.

Die Kinder lernen in dem Moment nicht, sich selbst zu regulieren, sondern: Ich brauche ein Handy, um gut warten zu können. Man könnte stattdessen mit ihnen zusammen schauen, wie man die Zeit überbrücken kann. Es ist in Ordnung zu sagen, dass man das Warten selbst doof findet. Aber was kann man tun, um es besser zu machen? Komm, wir zählen alle roten Autos, bei den Kindern, die schon zählen können, oder wir gucken, welche Bäume wachsen in der Nähe. Wenn die Kinder dann älter werden, können sie diese Strategien selbst anwenden.

Es gibt ruhige Kinder und solche die gerne rumflitzen, wer kann besser warten?

Das können wir gar nicht sagen, wir haben den Kindern sowohl ein ruhigeres Spielzeug zur Verfügung gestellt – einen Becherstapel – als auch eines, das eher fürs Rumflitzen geeignet ist: einen Spielzeugrasenmäher. Wir können Kinder auch damit unterstützen, dass wir ihnen Möglichkeiten bieten, die zu ihrem Temperament passen. Einem aktiven Kind zu sagen: „Geh mal einen Turm bauen“, ist vielleicht nicht so gut, weil es nicht die Ruhe dazu hat. Dann lieber einmal durch den Garten rennen oder Seilchen springen.

Und dann hat man vieles versucht, das Kind zu beruhigen – und es bekommt trotzdem einen heftigen Wutanfall.

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Auch wenn es sehr schwer für Eltern ist, das ist in Ordnung. Es ist wichtig, dass Kinder diese Wutanfälle haben, die gehören zu einer gesunden Entwicklung dazu. Wenn wir lernen, das zu akzeptieren, dann kann man schauen, wie man die Kinder begleiten kann, damit sie wieder runterkommen. Das ist viel erfolgversprechender, als wenn wir sie dafür ausschimpfen oder vor lauter Panik, weil im Supermarkt die Leute schon komisch gucken, ihnen dann doch die Süßigkeiten zuschieben, damit die Kinder endlich ruhig sind. Kinder können das Warten in dem Alter lernen, aber es setzt sie unter Druck, wenn man denkt, dass sie es können müssen.

Was können Eltern machen, wenn ihr Kind einen Wutanfall hat?

Manchmal hilft es, aus der Situation rauszukommen, das Kind in den Arm zu nehmen, ruhig mit ihm zu sprechen. Sehr häufig sind Eltern einfach gestresst, es ist ihnen peinlich, manchmal fühlen sie sich auch überfordert, weil man nicht weiß, wie man damit umgehen soll. Das macht es schwieriger. Aber wenn man es schafft, tief ein- und auszuatmen und mit dem Kind ruhig zu sprechen, dann hilft das meistens schon sehr. Es ist wichtig zu verstehen: Je gestresster die Eltern sind, umso schwieriger ist es auch für die Kinder. Je entspannter die Eltern sind, umso einfacher lernen die Kinder, mit solchen Situationen umzugehen.