Essen. Bestseller-Autor und Mediziner Gustav Dobos über die gestresste Seele – nicht nur im Lockdown. Und was jeder tun kann, um sich besser zu fühlen.
Tückisch: Wenn jemand unter Dauerstress steht, spürt er es oft nicht. Erst dann, wenn der Körper schmerzt. Die Pandemie ist ein weiterer Stressfaktor, betont Mediziner Gustav Dobos. Im Gespräch über sein neues Buch „Die gestresste Seele“ gibt der Professor Tipps, wie man eine Krise übersteht.
Dass Stress nicht gesund ist, ist bekannt. Warum tappen Menschen trotzdem immer wieder in diese Falle?
Gustav Dobos Stress ist eigentlich etwas Positives. Er kann unser Leben sichern. Wenn der Neandertaler dem Säbelzahntiger begegnet ist, konnte er kämpfen oder fliehen. Der Körper stellte sich sofort darauf ein: Stresshormone werden aktiviert, die Muskeln besser durchblutet, die Atmung wird beschleunigt, das Blut gerinnt schneller, für den Fall, dass er sich verletzt. Ist die Situation vorbei, entspannt sich der Körper. Heute gibt es keinen Säbelzahntiger mehr und in der Regel keine lebensbedrohlichen Situationen, sondern psychosoziale, die wir bewältigen müssen. Aber nicht mit Flucht oder Kampf. Da bedarf es neuer Strategien. Ideal ist, wenn man Resilienz entwickelt, also eine Dickhäutigkeit, um solche Situationen unbeschadet zu überstehen.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass viele Menschen nicht mal merken, dass sie unter Dauerstress stehen. Woran liegt das?
Ich nenne ein Beispiel: Jemand verläuft sich im Dschungel, er ist maximal im Stress bei der Suche, wieder herauszukommen. Schafft er es nach Stunden, schaut er sich seinen Körper von oben bis unten an: Kratzer, Dornen, Verletzungen – davon hat er aber die ganze Zeit überhaupt nichts gespürt. Wenn man maximal gestresst ist, wird man unempfindlich. Und das passiert auch Menschen, die nicht im Dschungel sind. Sie haben das Gefühl, nur noch ans Überleben zu denken, im übertragenen Sinne. Häufig merkt das eher die Partnerin oder der Partner als die Person selbst. Wenn ein Stresslevel überschritten ist, verliert man die Wahrnehmung für sich selber.
Was können trotzdem erkennbare Warnsignale sein?
Da gibt es viele: Verspannungen im Schulter-Nackenbereich, Magenschmerzen, Durchfall, Bluthochdruck, Herzrasen, Ohrgeräusche, aber auch unkontrolliertes Essen, herrisches Verhalten, Humorlosigkeit und noch viel mehr. Studien zeigen, dass 50 Prozent der Menschen in der jetzigen Corona-Situation Schlafstörungen haben.
Corona als zusätzlicher Stressfaktor?
Wir wissen, dass 30 Prozent der Menschen in diesen Tagen unter einer generellen Angst leiden, hauptsächlich Frauen zwischen 20 und 40 Jahren. Den Menschen fehlen soziale Kontakte, Umarmungen. Manche Experten sprechen schon davon, dass es eine dritte Welle geben wird, eine Welle der psychischen Erkrankungen.
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Sie sind ein Experte für Naturheilkunde und kein Psychologe – und trotzdem geben Sie Ratschläge für die Seele?
Der Punkt ist, dass es in der Regel drei bis sechs Monate dauert, bis man mit einem Psychologen oder einem Psychiater sprechen kann. Wir haben in den vergangenen 22 Jahren über 40.000 Patienten behandelt, meist chronisch kranke Patienten, denen es oft auch psychisch nicht gut ging. Wir haben sie behandelt und es ging ihnen besser, auch psychisch. Körper und Seele hängen zusammen. Am Lehrstuhl für Naturheilkunde an der Universität Duisburg-Essen haben wir die positive Wirkung der naturkundlichen Behandlungen auf die Psyche analysiert. Das sind oft Verfahren, die relativ leicht umzusetzen sind, wie etwa eine psychobiotische Ernährung, die vollwertig, ballaststoffreich und fleischarm ist – für eine gute Darmflora. Auch sie beeinflusst unsere Stimmung.
In Ihrem Buch beschreiben Sie ein Acht-Wochen-Programm mit Übungen für Körper und Seele. Was kann man jetzt in der Corona-Zeit ausprobieren?
Das A und O ist, dass man sich täglich bewegt, eine Stunde rausgeht, einen Spaziergang macht, walkt, je nach dem, wie körperlich fit man ist. Am besten zusammen mit einer Person, dann kann man reden, seine Probleme besprechen. Oder man geht mit einem Hund, der hat einen ähnlich psychisch stabilisierenden Effekt. Noch besser ist, wenn man im Wald spazieren geht. Sehr viele Studien belegen, dass der Aufenthalt im Wald eine sehr gute psychisch stabilisierende Wirkung hat.
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Sie haben das Problem erwähnt, dass die Menschen zurzeit unter Angst leiden, was wäre da eine Erste Hilfe?
Jeden Tag ein Vollbad, 20, 30 Minuten, mit einem Lavendelzusatz, über drei Wochen wirkt gut, wenn man ständig angespannt und besorgt ist. Dann empfehle ich noch, sich jeden Tag vor dem Schlafengehen drei positive Dinge zu überlegen, die man erlebt hat, für die man dankbar ist. So verändert sich die Wahrnehmung für das Gehirn und dann passiert es, dass man plötzlich morgens gut gelaunt aufwacht.
Yoga, Meditation, Waldbaden – es gibt immer noch Menschen, die solche Methoden belächeln.
Ich vermute, es ist nur eine Frage der Zeit. Als ich vor 22 Jahren hier angefangen habe und die Menschen mitbekommen haben, dass die Patienten fasten und meditieren, haben die Leute gedacht: Klar, das ist eine Sekte. Es hat fünf Jahre gedauert, bis klar war, dass wir keine Sekte sind. Mittlerweile ist Fasten und auch Meditation und Yoga, beides achtsamkeitsbasierte Therapien, im Mainstream angekommen. Also wenn heute jemand darüber lächelt, dann zeigt es eher, dass er nicht informiert ist. Es sind wirksame, gut erforschte Therapien, vor allem bei Erkrankungen wie Rückenschmerzen, die sonst medikamentös behandelt oder operiert werden.
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Man soll heute an so vieles denken: Sport treiben, meditieren, sich gesund ernähren – wobei sich die Tipps, was richtig oder falsch ist, auch immer wieder ändern. Entsteht so nicht neuer Stress?
Da sprechen Sie etwas Wichtiges an. Für viele ist es auch ein Stressor, wenn Erwartungen an sie herangetragen werden. Damit werden wir konfrontiert, wenn wir Patienten Empfehlungen geben. Sie müssen zu den persönlichen Vorlieben und dem Weltbild des Menschen passen. Wenn jemand gerne Fleisch isst, kann man ihm das nicht komplett wegnehmen, dann fängt man mit einem fleischfreien Tag an. Oder wenn jemand Meditation für Humbug hält, dann kann man ihm nicht sagen, er soll täglich meditieren. Es geht darum, mit einer Sache anzufangen. Wenn man merkt, es geht einem damit besser, dann wird man offener für solche Methoden.
Zur Person
Gustav Dobos ist Internist, Nephrologe, also Facharzt für Nierenkrankheiten, und Arzt für internistische Intensivmedizin. Seit 22 Jahren führt er die Abteilung für Naturheilkundeund Integrative Medizin an den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte. Seit 2004 leitet der Professor zudem den Lehrstuhl für Naturheilkunde an der Uni Duisburg-Essen.
In einer neuen Abteilung werden auch psychosomatische Patienten behandelt. Dabei werden körperorientierte, naturheilkundliche Methoden mit Psychotherapie kombiniert.
Sein neues Buch ist nach Erscheinen die Spiegel-Bestseller-Liste hinaufgeklettert und belegte zwischenzeitlich den zweiten Platz: Gustav Dobos, Die gestresste Seele, Scorpio, 263 S., 20 €