Essen. Die Modeindustrie zählt zu den größten Umweltverschmutzern. Dabei kann man schöne Kleidung schaffen und trotzdem Mensch, Tier und Natur schützen.
Die Bluse mit den langen Ärmeln war eigentlich mal ein Hemd – ausrangiert und aufgepeppt blitzt es nun unter dem Anzug mit der 7/8-Hose aus Bio-Baumwolle hervor. „In erster Linie mache ich Design“, betont Susa Flor aus Bochum, die nur auf Nachfrage die Materialien ihrer Mode erläutert. „Ich möchte gar nicht als Ökolabel dargestellt werden. Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit, dass ich nachhaltige Stoffe nehme.“
Doch selbstverständlich ist das in der Branche nicht. Die Textilindustrie zählt zu den größten Umweltverschmutzern. Allein für die konventionelle Herstellung einer einzigen Jeans benötigt man nach Angaben von Greenpeace schätzungsweise 7500 Liter Wasser. Das sind umgerechnet 50 Badewannen voll.
Dazu kommen Schädlingsbekämpfungsmittel für die Baumwolle, Verunreinigung von Gewässern durch Chemie beim Färben und Bleichen, die Ausbeutung von Menschen in Niedriglohnländern. Und es ist kein Ende in Sicht: „Fast Fashion“ spült mehrmals im Jahr neue Kollektionen in die Läden. Aber es geht auch anders, das zeigen Modemarken aus der Region.
Modenschau „Mode mit Steel“
Im September luden einige von ihnen zur zweiten nachhaltigen Modenschau in die Henrichshütte in Hattingen ein. Im kommenden Jahr soll es die dritte Schau geben. Susa Flor ist eine der Initiatorinnen von „Mode mit Steel“: Neben dem Anzug zeigte die 54-Jährige ein schwarzes Kleid aus gewaltfreier Seide. Dabei werden die Raupen, die mit dem feinen Faden ihre Kokons spinnen, nicht wie sonst üblich getötet.
Susa Flor, die kein Geschäft hat und nur auf Anfrage produziert, fertigt zudem ihre eleganten Mäntel aus Ökowolle. „Bei normaler Wolle muss man damit rechnen, dass die Schafe das nicht überleben. Die Tiere kommen zum Beispiel in Pestizidbäder, um sie von Ungeziefer zu befreien.“ Aber das mache ein Schaf auch nicht ewig mit.
Umso tragischer: Allein in Europa werden laut Greenpeace jährlich 5,8 Millionen Tonnen Kleidung weggeworfen. Und nur die wenigsten Stücke landen in Secondhand-Läden. 75 Prozent davon enden auf der Müllkippe oder werden verbrannt. Am besten ist es natürlich, überlegter und damit weniger zu kaufen, die Sachen wieder länger zu tragen. Oder sie wieder zu verwenden, vielleicht leicht geändert, wie das Hemd von Susa Flor.
Brautkleider aus zweiter Hand
„Ein zweites Mal“ nennen zwei Sauerländerinnen ihr Geschäft für Vintage-Brautmode in Dortmund: Jedes Kleid wurde bereits von einer Braut getragen. (Mehr lesen Sie dazu hier).
JotJot aus Mülheim näht aus alten Jeans neue Röcke und Jacken. Und Schmuckprodukt auf Zollverein in Essen repariert alte Stücke oder schmilzt Goldringe und -ketten ein, um daraus Neues zu kreieren. Außerdem gestalten sie mit ausrangierten Telefonkabeln Armbänder.
In der Mode-Branche gibt es immer mehr Beispiele für Recycling – auch bei den großen Ketten: Da verwandeln sich zum Beispiel Fischernetze oder PET-Flaschen in Jacken oder Stiefel. Einerseits eine gute Sache, andererseits bleibt Plastik auch dann Plastik, wenn es die Form eines Kleidungsstücks annimmt.
Abbaubar ist der Stoff dann immer noch nicht, das Problem von Mikroplastik, dem feinen Abrieb in der Waschmaschine, der im Wasser landet, bleibt bestehen.
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Macher der grünen Mode setzen daher verstärkt auf neue, natürliche Materialien, etwa auf Stoff aus Hanf. Kork ist ebenfalls umweltfreundlich. Die Korkeiche muss dafür nicht einmal gefällt werden, Hersteller schälen lediglich die Rinde. Holz ist auch die Basis für den angesagten Stoff Tencel.
Taschen aus Ananas
Auf Ananas setzt das Label „Applebeach“ in Fröndenberg. Oder vielmehr auf das Material, das aus Blättern der Pflanze, die beim Ernten übrigbleiben, geschaffen wird: Pinatex. Das sieht aus wie Leder. Aber dafür musste kein Tier leiden. Und auch das umweltkritische Gerben fällt weg. Dagmar Knappkötter-Esch näht aus diesem Stoff Taschen: Hand-, Gürtel- oder Umhängetaschen.
Besonders experimentierfreudig ist die junge Firma Genesis in Mülheim: Der Chef, Jens Hüsken, ist quasi der Daniel Düsentrieb unter den Schuhherstellern. Sein Ziel: den Sneaker mit dem geringsten CO2-Fußabdruck zu produzieren. Daher kombiniert er Bananenpapierleder mit einem Stoff aus Maisabfällen, setzt Kork und sogar Algen ein. Das Neuste: veganes Leder aus Kornabfällen.
Falls jemand seine Genesis-Sneaker trotzdem nicht mehr tragen möchte, kann sie nun dem Hersteller zurückgeben, der verspricht: „Die zurückgesendeten Schuhe werden je nach Zustand entweder recycelt oder an bedürftige Menschen gespendet.“
Bio ist nicht gleich Bio
Viele Modemarken, auch die großen, verkaufen mittlerweile Kleidung mit dem Versprechen: 100 Prozent Bio-Baumwolle. Aber das heißt noch nicht, dass das Beinkleid auch umweltfreundlich eingefärbt wurde. „Das ist so, als wenn man eine tolle Bio-Gemüsesuppe nimmt und verpestetes Wasser drauf gießt. Das ist total daneben“, ärgert sich Heiko Wunder von Wunderwerk in Düsseldorf, das zum Beispiel Hosen aus Holzfasern – Tencel – herstellt.
Für das Bleichen der Jeans wird nicht nur viel Wasser eingesetzt, sondern „bis zu 1,7 Kilogramm Chemie.“ Der 50-Jährige arbeitet daher mit einem Hersteller in Tunesien zusammen, der stattdessen die Jeans in einem geschlossenen Raum mit Ozon besprüht – danach hat sie ebenfalls den oft gewünschten „Used Look“, als ob sie schon viele Tage getragen wurde.
Auf Chemiebomben verzichten auch die Labels Kommabei in Essen und Róka – wie der ungarische Fuchs – in Duisburg, wenn sie die Shirts aus Bio-Baumwolle mit Tier-Motiven per Siebdruck veredeln.
Zu einem nachhaltigen Kleidungsstück gehört aber noch mehr als Stoff und Farbe. Knöpfe sind auch ein Problem: Susa Flor verzichtet weitgehend darauf, weil sie nur wenige nachhaltige Knöpfe wirklich schön findet. Wunderwerk nimmt für die Jeans reine Metallknöpfe, ohne Plastik. Und für die Blazer: kompostierbare Nüsse. Genauer: die Steinnuss aus Südamerika. „Sie ist wie eine Kokosnuss, kleiner, faustgroß und weiß“, erklärt Wunder. „Deswegen lässt sie sich so gut färben.“ Und zwar mit GOTS-zertifizierten Farben.
Das Testsiegel GOTS
GOTS steht für „Global Organic Textile Standard“. Nachhaltige Marken wie Greenbomb setzen auf dieses Testsiegel. Nicht nur, weil dadurch sichergestellt wird, dass der Stoff biologisch ist, sondern die Menschen nicht ausgebeutet werden. Holger Wach, einer der Köpfe von Greenbomb mit Designbüro im Unternehmenszentrum Triple Z auf Zollverein, sagt: „Große Ketten arbeiten vielleicht auch mit Bio-Baumwolle. Aber sie lassen sie womöglich von Kindern pflücken oder verarbeiten.“ Das habe für ihn nichts mit Nachhaltigkeit zu tun.
Transparenz ist dem 50-Jährigen wichtig: Im Online-Shop wird die genaue Lieferkette der Produkte gezeigt. „Unser nächstes großes Thema ist die Verpackung“, sagt der Essener. Statt Shirts, Jacken und Kleider in recycelte Poly-Beutel zu stecken, wollen sie künftig möglichst keine Verpackung oder umweltfreundliche Tüten nehmen – zum Beispiel aus Grasfasern.
Einen Einkaufsführer mit Mode aus der Region finden Sie hier.