Essen. Die Corona-Hilfen laden dazu ein, noch gute Winterkleidung zu vernichten, kritisieren Händler von nachhaltiger Kleidung die Wegwerfmentalität.

Man stelle sich mal diesen Berg vor: rund 500 Millionen Wintermäntel, dicke Pullis oder wollende Mützen – so viel Kleidung, das schätzen Experten, liegt derzeit deutschlandweit in den Lagern. Und kaum einer weiß, wohin damit. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace warnt bereits seit Monaten davor, dass einwandfreie Jacken und Hosen vernichtet werden. Große Textilketten – wie wir berichtet haben – verneinen dies, sie hätten nicht die Absicht, Kleidung zu beseitigen. Aber die Ressourcenverschwendung wird nun noch belohnt, durch die Corona-Hilfen, denn zerstörte Saisonware, also die Winterkleidung, wird als Fixkosten anerkannt.

Norman Bärenbrinker von Kommabei in Essen.
Norman Bärenbrinker von Kommabei in Essen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Am Ende ist die Saisonwarenhilfe eine Abwrackprämie für Mode“, schreibt Lars Wittenbrink auf der Internetseite seiner zwei nachhaltigen Läden in Münster: „Grüne Wiese“ und „Afaun“. Denn es gibt die Möglichkeit, die Winterkleidung zu 100 Prozent zu den Fixkosten zu zählen, die man je nach Umsatzrückgang bei der Überbrückungshilfe III bis zu 90 Prozent erstattet bekommt. „Dann muss aber auch nachgewiesen werden, dass die Ware wirklich nicht mehr verkauft wird, auch nicht stark reduziert im nächsten Winter. Die Ware muss also vernichtet oder ,wohltätig’ gespendet werden“, kritisiert Wittenbrink.

Jeder zehnte Einzelhändler sieht sich gezwungen, seine Ware zu vernichten

Greenpeace verweist auf eine Umfrage des Fachmagazins „Textilwirtschaft“, demnach gab ungefähr jeder zehnte Einzelhändler zu, dass er sich gezwungen sieht, Ware zu vernichten. Viola Wohlgemuth, Expertin für Konsum bei der Umweltschutzorganisation, sagt: „Die Dunkelziffer dürfte sogar höher liegen.“

„Wir werden definitiv keine Ware vernichten“, sagt Rebecca Kerkhoff von Native Souls, mit Läden in Bochum und Essen – und spricht damit das aus, was alle von der Redaktion befragten lokalen Händler für nachhaltige Mode beteuern. Schließlich würde das ihrem Ansatz widersprechen, nur ökologisch und fair hergestellte Kleidung zu verkaufen.

Grüne Mode war lange Zeit der Hoffnungsträger der Krise

Eigentlich schienen die Geschäfte von grüner Mode in dieser Krise lange Zeit im Vorteil zu sein: Sie verkaufen Pullis und Hosen nicht wie große Ketten nur für eine kurze Saison. Die Händler überbieten sich teils gegenseitig, wie viele Jahre sie schon ihre Öko-Lieblingsjeans tragen. Daher wird ein Teil der Winterware, die sie nun nicht mehr verkaufen können, auch in der nächsten kalten Jahreszeit noch „modern“ sein.

Nimmt einen Kredit auf: Andreas Schröter von Kong Island in Bochum.
Nimmt einen Kredit auf: Andreas Schröter von Kong Island in Bochum. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Aber die Einnahmen fehlen ihnen jetzt. Sie wissen teils nicht, wie sie die schon vor Monaten bestellte Frühlings- und Sommerware bezahlen sollen. „Wenn wir die Winterware nicht verkaufen, haben wir kein Geld, um die neue Ware zu kaufen“, sagt Meike Pfeiffer vom Concept-Store Cob in Essen. „Was nutzen uns da die Fixkosten?“ Die würden bei einem kleinen Geschäft gar nicht so sehr ins Gewicht fallen, zumal Personalkosten nicht voll und ganz dazugerechnet werden. „Ich habe einen Wareneinkauf, der ist zehn, fünfzehn Mal so hoch.“

Bitte um Zahlungsaufschub

Andreas Schröter von Kong Island in Bochum kennt seine Produzenten persönlich, da seien Vereinbarungen möglich, manche Posten etwas später zu bezahlen. Trotzdem werde das nicht reichen. Er nimmt für Kong Island einen Kredit auf, um sich die nächsten Monate über Wasser zu halten. Auch Norman Bärenbrinker von Kommabei in Essen sieht die Corona-Hilfen kritisch: „Mein Steuerberater hat gesagt, warte noch mit der Beantragung des Geldes.“ Zu undurchsichtig seien die Hilfen. Auch schmerzt ihn noch, dass er einen großen Teil der Soforthilfe im vergangenen Jahr wieder zurückzahlen musste, weil er nach dem ersten Lockdown wieder verkauft habe. „Dabei waren die Verkäufe sehr verhalten.“

Meike Pfeiffer: „Ich finde es schade, dass der Eindruck entstanden ist, da würden Milliarden-Hilfen bereitstehen, aber die kommen bei den kleinen, mittelständischen Unternehmen, die unverschuldet in Not geraten sind, nicht an.“ Sie werde ihre Kleidung einlagern und Ende des Jahres verkaufen. „Das Problem ist die Liquidität jetzt.“

Den Anreiz steigern, die Klamotten billig zu verkaufen

Das Bundeswirtschaftsministerium verteidigt die Hilfen und den Fokus auf die Fixkosten, die insgesamt ja nicht ganz erstattet werden: „Dadurch bleibt für den Textilhändler ein Anreiz, die Ware zu einem – gegebenenfalls stark – reduzierten Preis zu verkaufen, um einen möglichst hohen Anteil des Einkaufspreises wieder hereinzubekommen“, heißt es auf Nachfrage. Die Vertreter der nachhaltigen Mode sehen hier ein generelles Problem der Branche, das zurzeit nur noch deutlicher zu Tage tritt. Da werde Kleidung im Schlussverkauf zu einem Preis verschleudert, der nicht ansatzweise die Kosten für eine faire Produktion decke.

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Auch das Wegwerfen der Kleidung sei nichts Neues. „Eine Kollegin von mir war früher Filialleiterin von einer Fast-Fashion-Kette“, erzählt Andreas Schröter, „und da wurden am Ende jeder Saison, die haben acht Saisons im Jahr gehabt, die Sachen weggeschmissen, weil Lagerung, Logistik und Online-Verkauf halt teurer ist als die Waren im Einkauf kosten.“

„Genau diese Einstellung, die Kleidung als ,verderbliches Gut’ anzusehen, ist eines der größten Probleme der Modeindustrie und muss sich dringend ändern“, sagt auch Anke Erdt von Armed Angels. Lediglich Ware, die sich nicht mehr reparieren lasse, würde das Kölner Öko-Label an „Fair-Wertung“ weitergeben – einem Zusammenschluss von gemeinnützigen Altkleider-Sammelorganisationen.

Kleidung: Spenden statt Vernichten

Spenden statt Vernichten“ lautet ein Appell unter anderem der Grünen an die Bundesregierung. Denn natürlich könnten Händler die Kleidung auch spenden, statt sie zu vernichten – und sie so ebenfalls bei den Hilfen als Fixkosten anrechnen. Das Problem: Für Sachspenden werden 19 Prozent Umsatzsteuer fällig.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz will nun bis Ende des Jahres auf die Besteuerung verzichten, allerdings müssen die Finanzministerien der Bundesländer noch zustimmen. Mirko Daniels, Sprecher in NRW, sagt nun auf Nachfrage: „Wir unterstützen es!“ Also ist es vielleicht nur noch eine Frage der Zeit, bis Händler ihre Saisonware spenden können. Eine gute Lösung?

„Schon vor Corona war die Altkleiderflut so groß, dass die Verwertungsindustrie sie nicht mehr bewältigen konnte“, sieht es Lars Wittenbrink aus Münster kritisch. „Dann kam mit Corona die private Ausmistungswelle.“ Spenden ist besser als Vernichten, heißt es aus der Öko-Branche. Aber warum gute Ware weggeben, wenn sie sich im nächsten Winter verkaufen lässt?

=> Als Geschäftsinhaberin durch die Krise - Meike Pfeiffer von Cob erzählt:

Meike Pfeiffer hat ihr Geschäft „Cob“ in Essen-Rüttenscheid bereits letzte Woche in Teilen wieder geöffnet – das hätte sie schon früher gedurft, denn sie führt neben nachhaltiger Mode auch Kosmetika wie Seifen und festes Shampoo, zudem Gin, Schokolade, Pflanzen, Babykleidung. Produkte, die im Lockdown verkauft werden dürfen. Lange Zeit hat sie die Schließung befürwortet, die Tochter nicht in die Kita-Notbetreuung geschickt, damit die Corona-Zahlen sinken.

Auf und zu, auf und zu: Meike Pfeiffer, Inhaberin des Geschäfts Cob in Essen, hat versucht, auch während des Lockdowns Kontakt zu ihren Kunden zu halten.
Auf und zu, auf und zu: Meike Pfeiffer, Inhaberin des Geschäfts Cob in Essen, hat versucht, auch während des Lockdowns Kontakt zu ihren Kunden zu halten. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Statt wie geplant einen zweiten Laden zu eröffnen, hat sie einen Online-Shop aufgebaut – und dafür einen Zuschuss vom Land bekommen. „Das war toll!“, lobt sie den in die Zukunft gerichteten Ansatz. Aber so ein Online-Shop müsse beworben werden, zurzeit könne sie damit bei Weitem noch nicht den Verlust ausgleichen. Trotz Zuschuss war und ist er eine Investition, so Meike Pfeiffer.

„Hätte ich gewusst, wie lange der Lockdown geht, wäre ich lieber in den Winterschlaf gegangen.“ Nun wird sie auch die neue Regel ermöglichen: Shoppen zu vereinbarten Terminen. Aber wenn sie wegen der anderen Produkte nicht eh geöffnet hätte, wäre sie sich sicher: „Bei den Personalkosten lohnt sich das nicht.“

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