Langenfeld. 81, Fitness-Star: Erika Rischko aus Langenfeld zeigt, wie man im Alter Sport- und TikTok-Ikone werden kann. Und Vorstellungen auf den Kopf stellt.

Sie hat Falten, künstliche Knie, einen steifen Rücken. Aber das hindert Erika Rischko nicht daran, sich auf der Sportmatte auf ihre Unterarme zu stützen und so ihr eigenes Körpergewicht zu halten. Und sie hält und hält und hält. Manchmal lässt sie sich von ihrem Mann Dieter noch einen Ball auf den Rücken legen. Oder gleich ein schweres Gewicht. Da fällt vielen Leuten, die sich die Videos in den sozialen Medien anschauen, die Kinnlade herunter, insbesondere wenn sie das Alter der Langenfelderin erfahren: 81 Jahre.

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Würde man Menschen fragen, was mit über 80 Jahren altersgerechter Sport sei, käme als Antwort vielleicht: Rollator-Training und Hocker-Gymnastik. Aber wohl nicht Krafttraining im Fitnessstudio. Und woran denkt man sonst beim Wort „altersgerecht“? An eine altersgerechte Seniorenwohnung mit ebenerdiger Dusche. Oder an einen altersgerechten Seniorenteller im Restaurant. Dabei freuen sich auch Jüngere über weniger üppig gefüllte Teller. Man könnte die Gerichte ja auch einfach „Kleine Portion“ nennen, so Barbara Eifert, Sozialwissenschaftlerin am Institut für Gerontologie (Alterswissenschaft) an der Technischen Uni Dortmund.

„Wenn es losgeht, dann stecke ich doch manche in den Sack.“

Manchmal lässst sich Erika Rischko noch Gewichte auf den Rücken legen.
Manchmal lässst sich Erika Rischko noch Gewichte auf den Rücken legen. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Was heißt das überhaupt: „altersgerecht“? „Es ist erstmal ein Begriff, der besagt, es geht um die Angemessenheit in einem bestimmten Alter“, definiert Eifert. Also eigentlich ein neutrales Wort. Doch interessanterweise würde man dabei oft nur an das hohe Lebensalter denken. Vorurteile verfestigten sich dadurch noch.

Erika Rischko kann sich jedenfalls gut an die mitleidigen Blicke erinnern, als sie das erste Mal nicht mehr nur morgens im Fitnessstudio an den Geräten saß, sondern abends zum Functional Court ging – „das ist eine Art Zirkeltraining“. Wegen ihrer kaputten Knie kann sie sich nur gehend aufwärmen, aber nicht lange rennend. Die Jungen, die sie noch nicht kennen, schauen dann fragend: „Was will die hier?“ Erika Rischko: „Aber wenn es losgeht, dann stecke ich doch manche in den Sack.“

Überkommene Vorstellungen, die sich hartnäckig halten.

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„Es ist gut, dass es solche Leute gibt“, sagt Barbara Eifert, die seit über 20 Jahren die Landesseniorenvertretung NRW berät. Natürlich würden die Menschen schnell sagen: „Diese Frau ist ja nur eine Ausnahme“, so die 58-Jährige. „Aber dadurch gibt es eine Irritation, man schaut noch mal anders auf die Bilder, die man vom Alter hat.“ Wie etwa das von den leistungsschwachen Senioren, die sich schwertun, Neues zu lernen. „Das sind überkommene Vorstellungen, die sich aber hartnäckig halten.“

Dass Erika Rischko gar nicht ihr Leben lang eine Sportskanone war, überrascht ebenfalls viele. Mit 55 Jahren hat sie angefangen. „Meine Tochter hat mich im Fitnessstudio angemeldet.“ Aber immer nur die gleichen Übungen, das war ihr irgendwann zu langweilig. Also lernte sie Yoga, machte Spinning, bis zu 15 Stunden in der Woche. „Im Lockdown habe ich Pilates entdeckt.“ Ihre Bekannten fragten sich: Was macht sie nur so lange im Studio? Also hat die Tochter Videos und Fotos von der Mutter bei Instagram hochgeladen.

„Ich glaube, ich habe jetzt über 220.000 Follower.“

Und dann entdeckte Erika Rischko auch noch TikTok – ein soziales Medium, bei dem nur rund jeder zehnte Nutzer über 50 Jahre alt ist. Da zeigt die Rheinländerin jüngeren Fitnessfans, was Ausdauer heißt. Und mit ihrem Dieter schwingt sie für Tanzvideos die Hüften. Stolz sagt Erika Rischko: „Ich glaube, ich habe jetzt über 220.000 Follower.“ Hat sie nie befürchtet, sich lächerlich zu machen? „Jein.“ Die vielen positiven Kommentare haben ihre Zweifel schnell zerstreut. Manche Jugendliche würden schreiben: „Ich hätte euch gerne als Großeltern.“

„Das macht Mut“, sagt Barbara Eifert. „Das braucht es auch fürs Alter.“ Denn das sei wie ein unbekanntes Land. Es gibt Menschen wie Erika Rischko, die auch im hohen Alter andere Menschen begeistern. Aber genauso gibt es Altersarmut, Menschen, denen es gesundheitlich richtig schlecht geht. „Es gibt eine Vielschichtigkeit des Alters.“ Positiv-Beispiele dürften zudem kein Diktat werden, dass alle der Jugend nacheifern. „Es gibt auch ein Recht auf Gebrechlichkeit“, so Eifert. Schön wäre es, wenn alles sein darf und nichts sein muss.

Jugendliche feiern Erika Rischko

Gerätetraining gehört für Erika Rischko zur Routine.
Gerätetraining gehört für Erika Rischko zur Routine. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Jugendliche feiern Erika Rischko, Gleichaltrige im Bekanntenkreis sind skeptisch. „Ich konnte von denen noch keinen überzeugen. Meinen Mann, den habe ich überzeugt. Der muss mit“, sagt Erika Rischko lachend. Viele ältere Leute würden denken: „Das passt nicht zum Alter, ich mache das nicht.“

Ältere Menschen seien irritiert, wenn sich auf einmal jemand anders als den gängigen Erwartungen entsprechend verhält, sagt Barbara Eifert: „Das beunruhigt ja auch, weil man dann vielleicht selbst aktiv werden müsste.“

Planks und Push-ups für das Netz

Dann doch lieber auf dem Sofa sitzen bleiben? Den Begriff der „altersgerechten Wohnung“ findet Eifert jedenfalls unglücklich. Da würden DIN-Normen herangezogen, wie breit etwa Türrahmen sein müssten. Es ginge dabei überhaupt nicht um ästhetische Gesichtspunkte. Nachträglich eingebaute Rampen seien selten gelungen. Besser wäre: „Design for all.“ Das ist ein Konzept für Architektur oder auch Infrastruktur. „Das Ziel ist, Lösungen zu schaffen, die allen Menschen guttun. Lösungen für Linkshänder ebenso wie für Rechtshänder, den Älteren wie den Jüngeren, den Menschen mit Behinderung, den Vätern mit Kinderwagen“, zählt Eifert auf. „Das würde die stigmatisierende Wirkung von besonderen, altersgerechten Dingen aufheben.“

Die Wohnung, in der Erika Rischko Planks oder Push-ups zeigt, dürfte auch nicht dem Bild entsprechen, das sich viele Menschen von einem Zuhause einer über 80-Jährigen machen: schwarzes Sideboard, schwarzes Sofa. Hat sie die Wohnung selbst eingerichtet? „Nein“, gesteht Erika Rischko am Telefon. „Das ist die Wohnung meiner Tochter.“ Da könne man besser die Videos drehen. „Einfach die Couch ein Stück wegschieben.“ Und wie sieht die eigene Wohnung aus? „Sie ist für unsere Bedürfnisse schön, aber die Tochter schimpft immer“, sagt Erika Rischko lachend und nennt den eigenen Einrichtungsstil: „Eiche rustikal.“

>>>Entwickelt sich mein Kind den Normen entsprechend?

Alle krabbeln – nur mein Kind, das krabbelt einfach nicht. So einen Gedanken kennen viele Mütter und Väter. Dabei ist Krabbeln austauschbar: Mein Kind spricht noch nicht, es läuft noch nicht, es ist noch nicht trocken. . . Mein Kind entwickelt sich nicht altersgerecht!

Aus medizinischer Sicht ist es richtig, die Entwicklung von Jungen und Mädchen im Blick zu behalten. Aber zu streng sollte man dabei auch nicht sein, so Marianne Leven, Leiterin der Erziehungsberatungsstelle „FamilienRaum“ des Diakoniewerks in Essen-Borbeck. „Ich erlebe das ganz oft, dass sich Eltern unter Druck setzen.“ Und damit auch ihre Töchter und Söhne, so die 62-Jährige. Schon die Kleinsten würden spüren, wenn sie den Erwartungen von Mama und Papa nicht entsprechen, wenn die Eltern nicht entspannt sind. Wie klingt die Stimme der Mutter? Wie ist der Blickkontakt zum Vater? Wenden sich die Eltern mir zu – oder von mir ab?

Es kommt auf die Haltung an

Für Kinder sei es wichtig, zu merken: „Ich darf so sein, wie ich bin.“ Und das von Anfang an. Regeln seien wichtig, das Setzen von Grenzen. Aber in diesem Rahmen, ergänzt durch Geborgenheit und Vertrauen, dürfe ein Kind seinen eigenen Weg gehen. „Vielfalt macht die Menschen aus, auch die Vielfalt in der Entwicklung.“

Die Haltung der Eltern sei ebenfalls vielfältig: Ein Vater denkt vielleicht, ich habe auch schon früh Sport gemacht, mit sechs angefangen, Fußball zu spielen, also muss mein Sohn oder meine Tochter das auch. Oder ist die Haltung eher so, dass man dem Kind mehr Freiraum geben kann, auf seine Interessen achtet? „Je enger das Bild davon ist, wie ein Kind sich entwickeln soll, desto eher gucken Eltern, ob es Defizite gibt“, so Leven. „Das hat Auswirkungen auf die Entwicklung, vor allem im psychischen Bereich.“ Manche Kinder verweigerten sich auch bei zu viel Druck. Wenn sich ein Kind jedoch angenommen fühlt, gibt ihm das Selbstbewusstsein. Und wenn Eltern weniger auf die Schwächen schauen und mehr auf die Stärken, ihr Kind loben, sobald es etwas gut macht, dann erfährt auch der kleine Mensch: Ich habe Fähigkeiten.

Eltern, die trotzdem unsicher sind, sollten sich den Blick von außen holen. Kinderärzte oder Erzieher seien da oft entspannt. Auf deren Urteil könne man vertrauen, auf Nachbarn und Bekannte weniger: „Dein Kind müsste doch schon längst … Und meins kann schon…“ Marianne Leven: „Ich erlebe da manchmal eine gewisse Konkurrenz und das finde ich wirklich nicht zuträglich.“