Gelsenkirchen. Freunde aus Gelsenkirchen schrauben gemeinsam an ihren Ford Capris. Das Hobby bewahrt ihnen ein Stück ihrer Jugend. Eine Probefahrt im Oldtimer.
Capri. Das klingt nach Fruchteis und Sonneninsel. Doch Capri heißt auch ein legendäres Sportcoupé der Marke Ford: lange Haube, kurzes Heck und Blattfeder-Fahrspaß. Heute sind die schnittigen „Maurerporsches“ begehrte Klassiker. In Gelsenkirchen haucht der „Capri Club Westerholt“ den alten Langnasen neues Leben ein. An drei Hebebühnen im Schatten der Zeche Consol schraubt bereits die zweite Generation an den Oldtimern.
Der Motor röhrt, er schreit nach Gas. Die buckelige Privatstraße auf der Industriebrache hätte auch Alfred Zerban begeistert, den legendären Hörfunk-Journalisten und Autotester: Tiefe Schlaglöcher und Kopfsteinpflaster sorgen bei der Proberunde im Mittelklasse-Sportcoupé Capri für ordentlich Rums. Eine echte Rüttelstrecke. Am Lenkrad kurbelt Markus aus Buer. Er will beim Vornamen genannt werden, wie alle im „Capri Club Westerholt“. Der 49-Jährige steuert das silberne Schätzchen von Stefan. Beide verbindet eine lange Freundschaft im Revier. Und eine große Leidenschaft: Die heißt Ford Capri.
Dirk Zentara gründete 1988 den Capri Club Westerholt
„Das hatte was“, versetzt sich Stefan vier Jahrzehnte zurück in die Jugend, „im Capri durchs Opel-Land zu fahren“. Das erste Auto, einen braunen Kadett C-Coupé, behielt der Buerer nicht lang. Mit 19 sattelte er auf Capri um. Und blieb dabei, zumindest in der Freizeit. Inzwischen hat der 50-Jährige drei Modelle der Baureihen I bis III besessen. 1988, als in Bochum noch der Opel Manta vom Band rollte, gründete Dirk Zentara in Herten den Capri Club Westerholt. In einem ehemaligen Taubenschlag. Gleich mit 18 kaufte er seinen ersten Traumwagen, Baujahr 1976, goldmetallic mit braunem Vinyldach. „Einen Manta wollte ich nie!“ Die Erinnerung an den Ersten lässt Dirk strahlen: 1600 Kubik hatte der und war 72 Pferde stark. Ordentlich.
„Wie auf einer Zeitreise“, so Gregor aus Essen, fühle er sich, wenn er heute in seinen 1983er in Dunkelgrau-metallic einsteigt. Als Kind wuchs er mit und im Capri auf. „Meine Eltern hatten einen 1er. Als ich 18 war, entdeckte meine Mutter einen Zweier in Spanisch-Rot für mich in der Zeitung, einen 1,6 GT mit 88 PS von 1975. Eigentlich wollte ich einen Käfer mit Porschemotor.“
Doch der Capri eroberte sein Herz und ist mit vielen schönen Erinnerungen verbunden. Einmal ging es darin zu siebt von Bottrop-Batenbrock zur Disco in Essen. „Zwei vorn, drei hinten, und zwei saßen im Kofferraum“, so der 53-Jährige. An Sommerwochenenden badete die Clique im Halterner Silbersee. Mit mehreren Autos ging’s in den Reviernorden. „Vorne Fenster runter, hinten Seitenscheiben auf, fertig war die analoge Klimaanlage.“
Umwerfende Hässlichkeit auf der Motorhaube – ist leider so vereinbart
Stets an Bord in seinem ersten Capri war ein Hammer. Damit versetzte Gregor dem Anlasser hin und wieder einen Stoß. Etwa nachts um zwei nach der Party, wenn der Wagen nicht ansprang. „Kontakte frei ruckeln“, nennt er das. In die Club-Szene tauchte der Teilejäger erst 2001 ein, mit dem dritten Wagen, einem 2,8-Liter i. 5000 DM gab Gregor dem Stuttgarter Großonkel dafür. Doch der Deal hatte einen Haken: ein damals hippes Fantasy-Airbrush auf der Haube – weibliches Wesen mit wehender Mähne, daneben ein Löwenkopf. „Der Onkel machte es zur Bedingung, dass ich den Wagen mit diesem Motiv weiterfahre.“ Eine Ersatzhaube liegt übrigens seit Jahren bereit …
Ansonsten sei alles noch original: Getriebe, Motor, Hinterachse und die Bleche. Mit etwa 108.000 gefahrenen Kilometern wirkt der Oldtimer im Grunde jungfräulich. Wie das aufs Blech gespritzte Bild. Auch Gregors Freundin Stephanie fand das Airbrush gewöhnungsbedürftig. Doch es hielt sie nicht ab, Gregor zu heiraten. Bis heute nimmt das Paar an Treffen des „Capri-Club Deutschland“ teil. Dem sind viele Westerholter angeschlossen.
Und eine Anekdote verfolgt Gregor bis heute: Er hatte mit der Mutter eingekauft. „300 Meter von zuhause blieb mein Capri stehen, weil der Sprit aus war. Wir mussten ihn durch die Siedlung schieben. Das war meiner Mutter sehr peinlich.“ Den Benzinkanister in der Hand lief der heutige Planungstechniker eine Viertelstunde zur Tanke. Und wieder zurück.
Die Herren mit Schnäuzer, die Damen in Karottenjeans – „das Gefühl der Freiheit“
400 Quadratmeter Freifläche hinter der Kanalstraße, im Nirgendwo von Gelsenkirchen Bismarck, sind gut 30 Mitgliedern seit 20 Jahren ein Zuhause. Rhein-Herne-Kanal und Emscher verlaufen im Norden, im Osten liegt Wanne. Bahngleise und die A 42 zerschneiden das Viertel. Ums Eck ragt das Denkmal geschützte Doppelstrebengerüst von Zeche Consol in den Himmel.
Freitags ab 15 Uhr rollen Auto-Fans von Rhein und Ruhr in Capris oder Alltagskisten auf den Hof. An drei Hebebühnen in der großen Halle schlagen Herzen höher: 32 Capris von 1968 bis 1984 – gehegt und gepflegt. Unter weichen Decken wartet ein beiger 1er (50 PS) von Dirk auf eine Wiedergeburt. „Ein Modell zum Cruisen“, so sein Besitzer.
Verblichene Fotos glücklicher Pärchen vor und neben Capris lassen im Gruppenraum die 80er und 90er Jahre aufleben. Nicole und Stephan, Monika und Frank, Andrea und Dirk und all die anderen. Als wäre es gestern gewesen. Frauen trugen Oberteile mit XL-Schulterpolstern, Dauerwelle und Karottenjeans. Jungs mit Schnauzbärten posend in kurzen Westen. Highlights waren die Ausfahrten vom Revier ins Sauerland oder bis nach Nürnberg. „Auf den Touren erlebten wir ein Gefühl von Freiheit und großer Welt“, beschreibt Dirk die frühen Club-Jahre.
Kinder leben den Traum der Eltern weiter
Bald tauchten in Westerholt die ersten fetten Frontspoiler auf. Gebastelt wurde und wird gern in der Szene. Breitreifen, Hutzen-Verschlüsse an der Haube für die Renn-Optik, verchromte Endrohre – die Tuning-Branche verpasste den Fords allerlei Schmuck und Zubehör. Zu finden im Internet und auf Fachmessen wie der Essener „Techno Classica“. Zuviel darf es nicht sein. Sonst meckert der TÜV. Wer ein H-Kennzeichen für den Oldtimer will, muss dem Original treu bleiben. Umbauten und Anbauten werden nur anerkannt, wenn sie für das Fahrzeug typisch und zeitgenössisch sind.
In Gemeinschaft entdeckte mancher seine Capri-Liebe. Mittlerweile leben die Kinder der Gründungsmitglieder den Traum weiter. Familie Berger aus Gladbeck ist das Paradebeispiel. Tanja (Club-Kassiererin) lernte ihren Andreas im metallic-grünen 2er Capri kennen. Im Club wuchsen die Töchter Janina (23) und Vanessa (26) auf. Sie stören sich nicht an der kräftigen Benzinwolke, die beim Besuch durch die mit Ford-Schildern dekorierte Halle weht. Die Abgase entsteigen einem Seecontainer draußen.
Von 0 auf 100 in die Pott-Jugend
Markus startet gerade seinen Maisgelb-Schwarzen. Fürs Shooting soll er das Auto drehen. „BVB-Farben“, sagt der Schalke-Fan. Es klingt entschuldigend. Ja, den Spielen bleibt er lieber fern. Zu groß die Angst, dass jemand den 1er blau beschmiert. Gebaut 1973, als die erste Ölkrise Deutschland erschütterte und die Spritpreise das Klettern lernten. „Der Wagen ist 364 Tage älter als ich“, ergänzt Markus. Gleich nach der praktischen Prüfung für den „grauen Lappen“ borgte ihm Best-Kumpel Stefan seinen Wagen. Und Markus saß zum ersten Mal selbst hinterm Capri-Steuer.
Geht es mit den Oldtimern in die Vergangenheit, wird die Musik nostalgisch. Moderne Audiosysteme spielen heute Hits der 1980er und 90er. Depeche Mode oder das erste Album von Roxette katapultieren Markus glattweg von 0 auf 100 in die Pott-Jugend. „Schöner als im Capri geht das nicht“, so der Vertriebsleiter. Auf den ersten Kilometern ist den meisten Fahrern der Motor die schönste Mucke auf Erden. „Da hört man gleich, wenn etwas nicht in Ordnung ist.“ Eben.
Nicht immer laufen die alten Kisten rund
Zurück zur Rüttelstrecke und der leider viel zu kurzen Probefahrt im 2,6-Liter-Traum in Silber-blau, erste Baureihe. Sechs satte Zylinder geben das Konzert. Den Wagen übernahm Stefan 2015 von einem inzwischen verstorbenen Freund. „Das Auto wurde aus Amerika importiert“, weiß Dirk. In Gelsenkirchen bekam der Capri ein neues Kleid. Beim Rückwärtssetzen im Oldtimer wünscht man sich den zweiten Außenspiegel. Servolenkung Fehlanzeige. Markus dreht sich um, das schmale Heckfenster bietet wenig Sicht. Was hätte man vor 40 Jahren für eine Rückfahrkamera gegeben?
Nach wenigen Metern kehren wir um. Irgendetwas klappert. „Da müssen wir später mal schauen.“ Nicht immer laufen die alten Kisten rund. Oder gar auf Hochtouren bei wilden Verfolgungsjagden, wie früher mit Bodie und Doyle: Das Ermittler-Team der britischen TV-Krimiserie „Die Profis“ (1977 bis 1981) brachte Stefan, Jörg und Markus zu ihren Traumautos. Die Freunde verpassten keine Sendung. Echte Renngeschichte schrieb der Capri auch und bremste selbst manchen BMW aus.
Robin (24) schraubte schon vor dem Führerschein an den Zweitürern aus dem letzten Jahrtausend. Und vor seiner Kfz-Lehre bei VW. Leon (16) hat auch einen eigenen Wagen. Der steht nackt auf der Bühne. Für 550 Euro übernahm der Azubi (Kfz-Mechatronik) ihn von einem Club-Kollegen. „Passende Teile werden sich finden“, lacht Dirk. Erstmal hat der Club andere Sorgen: „Unser Mietvertrag läuft aus. Wir suchen dringend einen neuen Standort.“ Dann kann die Legende weiter leben.
Das ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung – jetzt gratis und unverbindlich testlesen. Hier geht’s zum Angebot: GENAU MEIN SONNTAG