Dortmund. In Dortmund-Deusen sind gerade Nutrias in die Emscher eingezogen. Hier ist der Fluss schon ziemlich so, wie er eines Tages überall aussehen soll.
Die Enten sind immer zuerst da. Viel zu futtern in der Emscher, auch hier noch, wo das Wasser frisch geklärt ist. Deshalb wohl ist in Dortmund-Deusen neulich auch eine Familie Nutrias eingezogen, sie knabbert an den Wasserpflanzen, am Ufer sträubt sich rosa Springkraut gegen den Wind. Was da alles kreucht und fleucht am alten, neuen Fluss! An dieser Stelle ist die Emscher schon ziemlich renaturiert, wie hier soll sie werden auf 83 Kilometern Richtung Rhein. Und an ihren grünen Gestaden staunen die Experten: „Wow, was sich da alles einstellt.“
Sie haben das gehofft, natürlich. Es ist ja der Sinn des Jahrhundertprojekts Emscher-Umbau: Ab unter die Erde mit Abwasser, Schmutz, Dreck der Region, möge oben wieder das Flüsslein fröhlich fließen! Teil 1 des Plans soll Ende dieses Jahres erledigt sein; 51 Kilometer Abwasserkanal, 400 Kilometer Rohre, Klär- und Pumpwerke sind gebaut und nunmehr in Betrieb. Nur: Grün und blau wird die Emscher nicht von ganz allein. „Der Fluss“, sagt Mechthild Semrau, „ist nicht fertig, wenn die Bagger weg sind. Dann geht es erst los mit der Entwicklung.“
Was die Emscher anstellt mit ihrer neuen Freiheit
Schon vor bald zehn Jahren hat die Ökologin in Diensten der Emschergenossenschaft die ersten Anträge gestellt, auf „Unterhaltungsmaßnahmen“. Was seit 2015 daraus wurde, ist eine offizielle Versuchsstrecke: Hier probieren die Planer auf zwei Flusskilometern aus, was die Emscher anstellt mit ihrer neuen Freiheit. Sie springt ja nicht, juchhei!, aus ihrem Betonbett, nur weil das Ruhrgebiet seine Hinterlassenschaften bald unterirdisch abführt. „Uferbefestigung raus und fertig“ reicht nicht, ahnte Mechthild Semrau früh: „Die Emscher ist ein Flachlandfluss. Man muss ihr viel vorgeben.“
Wenig Gefälle also, wenig eigene Dynamik, dazu die erzwungen gerade Fließrichtung: Auf allen Karten ist die Emscher auch heute noch ein Strich in der Landschaft. Weshalb man sie manchmal auch bremsen muss: „Durch das Siedlungswasser“, sagt Semrau, „ist sie rattenschnell.“ Wieder natürlich zu mäandern, würde sie vielleicht schaffen, irgendwann, „aber es dauert unendlich lange“.
Es wachsen Spitzwegerich und Fingerkraut
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Um ihr zu helfen, haben die Experten sie also in fünf Abschnitte eingeteilt, gleich unterhalb des Klärwerks Deusen hinter dem Dortmunder Hafen, wo aus dem Bach überhaupt erst ein Fluss wird. Auf jedem Stückchen probieren die Ökologen etwas anderes: Hier haben sie „nur“ die Sohlschalen herausgenommen, das Bett aus Beton, mit dem viele Menschen den Fluss verbinden. Dort haben sie Buhnen geformt, die selbst bei Trockenheit noch unter dem Wasserspiegel liegen. Etwas weiter wurde das Bett ausgeweitet, wurden steile Ufer zu winzigen Auen verbreitert, es wurde abgesenkt oder abgegraben, „damit der Fluss etwas in Schwung gerät“ – oder sie haben gleich alles gleichzeitig gemacht.
Und nun gucken sie, was passiert.
Die Nutrias sieht Mechthild Semrau an diesem Sommertag hier zum ersten Mal. Die Entenfamilie, klar. Viele Wirbellose, die man „mit bloßem Auge erkennen“ kann. Dort flattert ein Pfauenauge, vorn paaren sich Prachtlibellen. Es wachsen Spitzwegerich und Fingerkraut, es knospen Engelwurz und Goldrute, es blüht das Springkraut, das die Menschen die „Emscher-Orchidee“ nennen. Im Wasser trotzen Algen und Laichkräuter der Strömung. „Vieles ist neues Leben, das zurückkommt.“ Semrau nennt es die „Besiedelung“.
„Ich gucke immer, ob wieder etwas heimisch geworden ist.“
Wolfgang Knappmann aus dem nahen Stadtteil Westerfilde sucht noch die Heckenrose, aber er hat schon Kiebitze gesehen und Uferschwalben: „Ich gucke immer, ob wieder etwas heimisch geworden ist, vielleicht.“ In seiner Freizeit fotografiert der Dortmunder die „neue Emscher“, sieht vom Fahrrad aus zu, „wie aus dem Industriegebiet wieder etwas Natürliches wird“.
Es gibt keine Vorbilder für die Renaturierung eines ganzen Flusses, weltweit nicht, also soll die Versuchsstrecke in Dortmund Vorbild werden: für andere, ähnliche Flussabschnitte im ganzen Revier. Die Fließverhältnisse, das sehen die Planer schon jetzt, sind überall anders und doch so entscheidend: „Strömungsunterschiede“, sagt Mechthild Semrau, „sind für den Fluss das Wichtigste.“ Unter einer Brücke ist noch zu sehen, wie eintönig das hingegen vor Jahren noch war: Übriggeblieben sind Steine, über denen man einst Gras wachsen ließ. Regelmäßig mussten Mähfahrzeuge hier Ordnung schaffen, „damit sich nichts verfing und anfing zu müffeln“. Aber jetzt: „Interessant“, sagt die Planerin, wie die Natur sich die „Fahrbermen“ zurückerobert, oder begeisterter, wie Wissenschaftler manchmal so sind: „Echt nett.“
Die Fische kommen ohnehin erst Mitte 2022
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Aber es gibt auch einiges, das die Ökologin noch vergeblich sucht. „Es fehlen noch ganz viele.“ Der Sauerstoffgehalt im Wasser sei noch „optimierbar“. Die Wassergüte also auch. Vieles wird sich bessern, wenn das Klärwerk Deusen bald seine vierte Reinigungsstufe bekommt. Die Fische, wissen die Experten, kommen ohnehin erst, wenn Mitte 2022 der Wasserweg in den Rhein offen ist. Zudem ist die vorhandene Ufer-Bepflanzung von „Anno Tuck“, Erlen stehen da und Weiden, vieles musste gelichtet werden – nun fällt nicht mehr genug Schatten, das Wasser erwärmt sich schnell: ein Paradies für (zu viele) Algen.
Die haben auch dem Hochwasser Mitte Juli locker standgehalten. Eine Erleichterung für die Leute vom Emscherbetrieb, die manchmal „Herzrasen“ bekommen, wenn sie ihren Fluss so befreit fließen sehen: Sie haben ja noch anderes gelernt. Aber die Deiche haben gehalten, Dortmund steht noch. Und so war der große Regen auch Freude für die Ökologen: Zum ersten Mal waren die neu angelegten Böschungen so richtig überspült, für den Fluss, sagt Semrau, sei so ein Hochwasser sogar wichtig. „Eine große Selbstreinigung.“
„Zum Schwimmen wird sie nie freigegeben werden.“
Zwar sind einige Nester der Blesshühner aufgeschwommen, man ahnt, was aus der Brut geworden ist, aber so sei das mit der Natur: „Leben entsteht und vergeht.“ Es riecht jetzt, wie es überall riecht, wo Flüsse und Bäche über die Ufer getreten sind, die Brennnesseln aber haben sich vom Schlamm nicht beugen lassen. Sie waren, noch vor den Brombeersträuchern, ohnehin die ersten, die den Abzug der Rasenmäher genutzt haben. Brennnesseln lieben Stickstoff, und man macht sich ja seine Gedanken, wenn Mechthild Semrau sagt: „Die Emscher wird immer nährstoffreich bleiben.“
Und, auch wenn alsbald kein Abwasser mehr hineinfließt, „ein urbaner Fluss“. Was bedeutet, Renaturierung hin oder her: „Zum Schwimmen wird sie nie freigegeben werden.“ Außer für Enten.