Essen. Komikerin Nicole Jäger erzählt im Buch „Unkaputtbar“ von ihrer großen Liebe, die zur Hölle wird: Psychische Gewalt in einer toxischen Beziehung.

Nicole Jäger ist nicht auf den Mund gefallen. Als Komikerin witzelt sie auf der Bühne über die eigenen Pfunde und die Vorurteile der anderen, als Autorin war sie mit dem Buch „Die Fettlöserin“ erfolgreich. Privat hat sie jedoch viel zu lange geschwiegen. Nun erzählt sie über ihr Leben in einer toxischen Beziehung in ihrem neuen Buch „Unkaputtbar“. Maren Schürmann sprach mit der 39-jährigen Hamburgerin, wie aus Liebe Angst wurde.

Liebe Frau Jäger, wo beginnt aus Ihrer Sicht Gewalt?

Nicole Jäger Wenn wir von häuslicher Gewalt hören, gehen wir davon aus, dass ein Partner den anderen schlägt. Aber Gewalt beginnt viel früher. In dem Moment, wo es toxisch wird: eine Beziehung, wo man merkt, da herrscht ein Ungleichgewicht, das nicht darauf beruht, dass sich zwei Menschen nicht mehr verstehen. Es gibt Beziehungen, wo man sagt, wir streiten uns nur, wir trennen uns. Das ist völlig normal. Nicht normal ist es, wenn der Partner anfängt, einen zu destabilisieren, zu demütigen. Es gibt körperliche und sexuelle Gewalt, aber vorausgeht die psychische Gewalt. Opfer, und da spreche ich aus eigener Erfahrung, erkennen dies jedoch nicht als Gewalt. „Er hat mich ja nicht geschlagen!“ Und das ist ein großes Problem.

Was ist Ihnen passiert?

Also der Mann, den ich gedatet habe, der war kein Schlägertyp. Er war wirklich sympathisch. Am Anfang war alles wahnsinnig schön. Häusliche Gewalt passiert in Stufen und die erste Stufe ist Love Bombing: Der Partner lobt einen in den Himmel, der liebt einen auf so eine unglaublich intensive Art, dass man denkt, man ist die verdammte Prinzessin in so einem Disneyfilm. Häusliche Gewalt beginnt nicht mit Gewalt, sie beginnt mit der großen Liebe. Und das ist das Schlimme, man sitzt emotional ganz tief drin. So war das bei mir auch. Und dann kippte das.

Wie hat sich die Beziehung verändert?

Irgendwann ging es los, dass ich nicht mehr gut genug war. Alles, was er vorher so hoch gelobt hat, wurde ein Problem. Plötzlich waren meine Freunde ein Problem, meine Familie, meine Arbeit, alles, was ich mache, alles was schön war in meinem Leben, wurde zum großen Problem. Das ging so weit, dass immer, wenn etwas Gutes passiert war – ich habe einen Preis gewonnen, ich hab einen Vertrag unterschrieben –, es sofort zu Hause zu einem Riesendesaster führte, zu einem Stunden, manchmal Tage lang andauernden psychischen Terror. Am Ende stand ich da und dachte: Oh Gott, hoffentlich passiert nichts Gutes.

Wie hat dieser psychische Terror ausgesehen?

Er hat mich angeschrien, wenn irgendetwas nicht so ging, wie er es wollte. Er hat mich gestalkt, er hat mein Auto getrackt, er wusste immer, wo ich war. Er ist plötzlich aufgetaucht, im Hotel, bei einer Party und hat mich angeschrien. Später wurde er gewalttätig: Er hat mich gewürgt.

Wie lange haben Sie das ertragen? Monate? Jahre?

Fast fünf Jahre. Ich habe etwas mehr als zwei Jahre gebraucht, um mich zu trennen. Irgendwann war klar, nach diesem Mordversuch. . . Ich finde es so unangenehm, das zu sagen, also es ist wahnsinnig krass, dass der Mensch, den man liebt, und ich habe ihn geliebt, bis zum letzten Moment, zu so etwas fähig ist. . . Ich habe mich getrennt, und das war richtig, Schritt für Schritt, bis ich ihn komplett ignoriert habe. Mir geht es heute so gut, aber ich habe ihn anfangs vermisst und mich dafür geschämt.

Zwei Jahre sind eine lange Zeit, um den Absprung zu schaffen. In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie diese Frage nicht mögen: Warum sind Sie nicht früher gegangen?

Ich verstehe den Satz total, aber das ist die schwierigste und die schlimmste Frage, die man einem Opfer stellen kann, weil man im ersten Moment keine Antwort darauf hat. Es ist ein bisschen so, als würde man einen Alkoholiker fragen, warum er kurz vor der Leberzirrhose nicht aufhört zu trinken. Man ist in einer emotionalen Abhängigkeit, die sehr stark ist, vor allen Dingen aber geht es um Angst. Also der Partner macht, der Täter macht einem Opfer wahnsinnig viel Angst. Mein Partner hat mich wissen lassen, dass es nach einer Trennung schlimmer wird als vorher. Gewalt-Beziehungen enden nicht mit einer Trennung, danach geht es teilweise erst richtig los. Und selbst ist man am Ende so einer Beziehung wirklich am Ende, körperlich wie psychisch. Außerdem schwingt in der Frage ein Vorwurf mit.

Dass man als Opfer selbst Schuld ist, dass es so weit gekommen ist?

Ja, was ja absolut nicht stimmt. Dieses Gefühl, selbst schuld zu sein, hatte ich auch während der Beziehung. Der Täter lässt einen wissen: „Du weißt doch, wie perfekt es mit uns sein kann, du musst dich nur ändern, mir geben, was ich brauche, dann wird es wieder so schön.“ Ich habe mich mit Spezialisten unterhalten zu häuslicher Gewalt und narzisstischer Persönlichkeitsstörung. Es sind nicht die Täter, die zum Therapeuten gehen und sagen, ich glaube, ich habe ein Problem. Es sind die Opfer. Das ist das Perfide: Täter stellen sich als Opfer dar. Da muss man erstmal hinterkommen, dass man nicht die Schuld trägt, und dass, egal was man tut, es keine Begründung und keine Berechtigung für Gewalt gibt.

Sind Sie zur Polizei gegangen, zu einer Anwältin? Gegen Stalking und Gewalt kann man auch juristisch vorgehen.

Ich habe es nicht zur Anzeige gebracht. Weil ich es in dem Moment, als es passiert ist, nicht konnte. Das ist ja leider häufig bei Opfern von Gewalt so.

Sie haben geschrieben, dass man in der Jugend Glaubenssätze lernt, die später zu Stolpersteinen werden. Woran haben Sie gedacht?

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Zum Beispiel: Was in der Familie passiert, bleibt in der Familie, es geht keinen anderen etwas an. Dabei ist es so wichtig, dass man davon erzählt! Oder: Männer haben halt Bedürfnisse, Frauen müssen sich dem ein bisschen fügen. Oder: Opfer sind nur verhuschte Frauen. Meine Eltern, sie haben es nicht böse gemeint, aber wenn ich nicht brav war, gab es Liebesentzug. Ich habe schon früh gelernt: Sei lange genug brav, halte dich an die Regeln, entschuldige dich, dann wirst du irgendwann wieder geliebt, dann wird die Stimmung wieder besser.

Worauf sollten Eltern achten, damit Kinder später vor toxischen Beziehungen gewappnet sind?

Ich glaube, dass Eltern ihre Kinder zu Menschen erziehen müssen, die in der Lage sind, sich selbst zu lieben, weil das wahnsinnig wichtig ist, damit man als erwachsener Mensch nicht auf die Liebe eines anderen Menschen angewiesen ist, um sich selber zu fühlen. Dass der Wert eines Menschen nicht allein von seinem Verhalten abhängt. Also wenn Kinder etwas falsch machen, vermitteln: Das war nicht in Ordnung. Aber ich liebe dich trotzdem!

Ihr Geschäft ist ja das Lachen. Sie haben schon früher schwierige Themen auf die Bühne gebracht. Aber wie sieht es mit diesem aus?

Das nächste Bühnenprogramm wird sich um häusliche Gewalt drehen. Lachen und Relevanz gehören zusammen. Es bricht ein Tabu. Es ist das, was Comedy darf. Und es ist wichtig, dass wir es brechen.

Nicole Jäger: Unkaputtbar, Rowohlt Polaris, 250 S., 16 €. (Erscheint am 17. August 2021)