Oberhausen. So wird auch eine Müllverbrennungsanlage weltweit zum Botschafter unserer Heimat – warum die New York Times diesen Instagram-Auftritt empfiehlt.
Manche posten ihr Abendessen oder die Schmusekatze, die meisten stellen sich selbst zur Schau – Instagram ist der Laufsteg unter den Social-Media-Plattformen, dort betreiben Stars und Sternchen die Selbstoptimierung zuweilen über die Grenze des Bizarren hinaus in der kurzatmigen Gier nach Herzchen. Likes wie Liebe.
Auch Klaus Micke bekommt viel Zuspruch – dabei ist der Oberhausener selbst nie auf den kleinen Kacheln zu sehen und auch sonst kein Mensch oder Tier. Micke ist der Influencer der Industrie-Ästhetik: Hallen, Treppen, Dächer, Wände, Geländer, Rohre oder Laternen heißen seine Darsteller und die Farben sind es, die den Unterschied machen. Grau zu bunt! 10.800 Abonnenten zählt sein Auftritt, den er mit diesen wenigen Worten überschreibt: Suche die Schönheit, Folge dem Licht!
Nun wurde dem 66-Jährigen eine Ehre zuteil, die einen die Augenbrauen vor Achtung hochziehen lässt. Die renommierte New York Times wählte seine doch recht spezielle Werkschau zu den fünf Kunst-Accounts, „denen man jetzt folgen muss“. Die Begründung ist aufgezogen am Beispiel des Lagergebäudes einer Spedition in Oberhausen – und nicht etwa bei Ikea, wie man angesichts der blauen Wand mit den gelben Linien anzunehmen versucht ist. Dieses Bild hat in der Printausgabe der US-Zeitung eine ganze halbe Seite eingenommen, erzählt Klaus Micke, der bei dieser Breaking News zunächst an einen Scherz glaubte. Oder Amerikanisch: Fake News! Mitnichten, und auch wenn es gerade im Bereich des Minimalismus meist um die Formel „weniger ist mehr“ geht, so wurde hierbei ausdrücklich herausgestellt, dass „das Mehr in dem Wenigen“ ausschlaggebend sei für die ehrenwerte Erwähnung. „Andere sind abstrakter“, bestätigt Micke nicht zuletzt auch mit Blick auf die vier ebenfalls lobgepreisten Kollegen, von denen er dreien sowieso bereits vorher folgte. „Ich bemühe mich schon, dass man auch etwas erkennen kann“, definiert er seinen eigenen Auftrag und Anspruch.
Minimalistisch, quadratisch, bunt.
948 Beiträge sind es bis jetzt und da ist der gebürtige Hammer, der seit 35 Jahren als Bildjournalist arbeitet, auch ein bisschen stolz drauf. Denn noch eine Zeile ziert sein Profil: A Picture Each Day! Jeden Tag ein Foto hochzuladen also, und dies seit dem 1. Januar 2019. „Das war damals mein guter Vorsatz. Ich war schnell fasziniert von den Rückmeldungen.“ Angefangen hat er noch ohne sein farbengesättigtes Alleinstellungsmerkmal: in Schwarz-Weiß. Und auch wenn es den Anschein haben mag, hier hätte jemand tief in den Malkasten eines Bildbearbeitungsprogramms gegriffen, so sei doch alles echt, bekräftigt der Künstler. Wie das geht? „Ich bin immer nur bei knallender Sonne unterwegs, so entsteht das Spiel von Licht, Farben und Formen. Bei einer Woche schlechtem Wetter bekomme ich deshalb langsam schlechte Laune.“
Wobei das Ruhrrevier als natürliches Streifgebiet ja eh eher als grundgrau gilt, da können noch so viele entzückt ausrufen, das ist ja hier viel grüner, als man denkt. Doch auch die Reaktionen etwa aus Japan oder Australien gingen in die gleiche Richtung: Wow, was für ein tolles buntes Land seid ihr doch! Dabei sagt Klaus Micke, der seine Heimat wirklich liebt: „Man muss schon lange suchen.“ Immerhin: „Mittlerweile springt es mich von selbst an.“
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Was genau denn eigentlich: das Wellblech, das Lüftungsgitter, die Regenrinne? Exakt! „Ich möchte Dingen, an denen die Leute einfach vorbeigehen, eine andere Wahrnehmung verschaffen.“ Die Sichtbarkeit dessen, was sich eigentlich wegsieht, so banal, so alltäglich. Da schlägt dann wohl noch das Studium von Fotografie und Film in Dortmund durch – im richtigen Ausschnitt reduziert, dass „der eng begrenzte Bereich voll ausgereizt wird“, und entsprechend inszeniert, dass „die Farben richtig knallen“: So wirkt die ganz große Miniaturkunst.
Und die findet sich nun mal nicht auf der Schlossallee. Da muss man schon hingehen, wo’s weh tut. Der Duisburger Hafen, die Oberhausener Müllverbrennungsanlage… Ach was, gar nicht so schlimm! „Es hört sich vielleicht bescheuert an. Aber so wie andere durch den Wald laufen, bin ich in einem Gewerbegebiet glücklich und in meinem Element“, sagt Klaus Micke und lacht dabei heiter.
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Zwei Digitalkameras hat er dann meist dabei, Fujifilm, mit Zoomobjektiven amtlicher Telebrennweiten. Denn oft versperrt ein Zaun den Zugang. Oder ein mächtiger Gorilla vom Sicherheitsdienst mit plausibler Furcht vor Werkspionage oder dem gemeinen Einbruch. „Da muss ich erstmal erklären, dass ich das unvergitterte Fenster bloß fotografieren möchte, weil es rot ist und die Wand gelb...“ Meistens hilft’s, wenn man vernünftig miteinander redet, manchmal zeigt er seine Hosentaschen-Galerie.
Apropos: Wäre die nun nicht reif, wenn schon die Times den Meister Micke adelt, für eine Ausstellung oder einen Bildband? Da lacht der Künstler noch einmal und findet vielmehr: „Mein Mobiltelefon ist mein Museum.“