Dorsten. Hinter dem Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten verbirgt sich ein besonderer Garten, in dem sich Schwere und Leichtigkeit nicht ausschließen.

Dass ein Streifenwagen gegenüber dem Eingang steht, obwohl direkt nebenan eine Polizeiwache ist, ändert nichts an dem Eindruck, den der Besucher verspürt, sobald er den kleinen Garten des Museums betritt: Es ist ein friedlicher Ort. Der heckenumrandete Rasen, auf dem Skulpturen und Plastiken zu sehen sind, sowie die Bänke unter einer Buche laden zum Verweilen ein – und zum Nachdenken: über jüdisches Leben, das seit 1700 Jahren zu Deutschland gehört. Und darüber, dass Antisemitismus und Anschläge in Deutschland es leider immer noch nötig machen, dass zur Sicherheit ein Streifenwagen vor dem Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten steht.

Das Museum, das aus einer Geschichtswerkstatt hervorgegangen ist, befindet sich seit 1992 in einem alten Wohnhaus, das nicht aus Geschichtsgründen von der Stadt zur Verfügung gestellt wurde. In dem Gebäude haben wahrscheinlich nie Menschen jüdischen Glaubens gewohnt. Obwohl die Fassung eines runden Fensters wie ein sechseckiger Stern geformt ist. „Es ist der einfachste Stern, den man zeichnen kann“, sagt Kathrin Pieren, Leiterin des Museums.

Auch Bierbrauer nutzten den Stern

„Heutzutage ist es das Symbol für das Judentum, aber das ist es erst seit der zionistischen Zeit.“ Der Stern habe zuvor ebenso für weltliche Dinge gestanden: „Auch Bierbrauer haben den sechseckigen Stern genutzt“, so die Historikerin. Ursprünglich sei die Menora, der Siebenarmige Leuchter, das Symbol für das Judentum gewesen – es ziert heute den Eingang des Museums, der sich seit 2001 in einem Anbau befindet.

Ein Wegweiser vor dem Museumseingang zeigt die Richtung zur Synagogenstraße an. Dabei befindet die sich nicht in Dorsten, sondern in Witten. Im Garten gibt es weitere Schilder, die in verschiedene Richtungen deuten und in weißer Schrift auf blauem Grund verweisen auf Judengasse oder Platz der Synagoge, die sich in Wirklichkeit in Büren und in Lübbecke befinden. Das Schilder-Werk findet Kathrin Pieren besonders beeindruckend. Der Bochumer Künstler Marcus Kiel hat es 2008 geschaffen. Der Titel: „Wegweisend“.

Ein Name, wo sonst Menschen lebten

„Die Schilder beziehen sich auf frühere westfälisch-jüdische Gemeinden, die während der NS-Zeit für immer zerstört wurden“, sagt die 52-Jährige. „An vielen Orten existiert nur noch ein Gedenkzeichen oder der Name einer Gasse oder eines Platzes, aber die jüdischen Menschen, die hier einmal lebten, sind tot.“

Im Fenster des Museums hängt eine Übersichtskarte, die man vom Garten aus sehen kann. Sie zeigt, wie viele jüdische Gemeinden in Westfalen ausgelöscht wurden. Im Museum ist ein Ordner ausgelegt, der die kleine Auswahl an Orten beschreibt, an die die Wegweiser erinnern: Beträume oder Synagogen, die die Nazis in der Pogromnacht 1938 geplündert, verwüstet, in Brand gesetzt haben.

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Ein weiteres der zehn Werke im Garten stammt von Ladis Schwartz (1920 - 1991): „Haltung in Verbundenheit“. Die einen sehen in der Plastik verfremdete hebräische Buchstaben, andere ein Symbol für Naturkräfte. Tisa von der Schulenburg (1905 - 2001) widmet sich der Verfolgung der Juden. Ein Relief, das sehr berührt, zeigt eine Menschenmasse, die ins Feuer getrieben wird – eine abstrakte Darstellung jüdischer Opfer in Auschwitz.

Symbole für das Judentum: der Siebenarmige Leuchter und der Davidstern

Eine Säule der Dorstener Künstlerin zeigt zudem jüdische Traditionen und Symbole, wie etwa ein Paar unter der Chuppa, dem Hochzeitsbaldachin – und den Siebenarmigen Leuchter sowie den Davidstern. Ein Steinmetz hat den Stern nach Entwürfen von Wolf Stegemann, einem der Museumsgründer, in eine dreidimensionale Form gebracht. Der Stein erinnert wie die Schilder an untergegangene Gemeinden.

Ein Gruß am Gartentor: Schalom!
Ein Gruß am Gartentor: Schalom! © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Daneben ist eine Tafel im Boden eingelassen. In dem Behälter darunter befindet sich Erde aus verschiedenen Konzentrationslagern, die Schülerinnen und Schüler nach Exkursionen mitgebracht haben. Den Betrachter mag es verwundern, dass auf der Tafel das Lager in Riga als erstes genannt wird, vor Auschwitz und Bergen-Belsen. „Die meisten Juden und Jüdinnen aus Dorsten wurden nach Riga abtransportiert“, erklärt Kathrin Pieren.

Ein Gruß am Gartentor: Schalom

Auszubildende der Ruhrkohle AG haben das Tor zum Garten gefertigt. Darauf heißt der Schriftzug „Schalom“ den Besucher willkommen. Meist ist das Tor verschlossen. Trotzdem gelangt man in den Garten zu den Öffnungszeiten des Museums, ohne Eintritt zu zahlen. Durch den Haupteingang gehen und an der Kasse Bescheid geben, rät Kathrin Pieren. Sie hofft, dass so auch der Weg in die Ausstellung leichter fällt. Viele Leute würden sich scheuen, in ein jüdisches Museum zu gehen, „wegen der schwierigen Geschichte“.

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Sicherlich sei der Garten auch ein Ort, um während des Museumsbesuchs einen Moment innezuhalten. Aber die Ausstellung sei nicht durchweg bedrückend. „Wir erzählen nicht nur traurige Geschichten, es geht nicht nur um die Shoa“, betont Kathrin Pieren. Auch das jüdische Leben heute in Westfalen werde beleuchtet.

Kürzlich hat Kathrin Pieren zum Picknick in den Garten eingeladen. Jeder konnte sich einen Imbiss mitbringen und mehr über die Skulpturen erfahren. Vielleicht wird das Ereignis noch mal wiederholt. Ebenso sind Kino-Abende im Freien angedacht.

„Judentum“ hat Tisa von der Schulenburg ihre Säule von 1992 genannt. Der Ausschnitt zeigt ein Paar  unter der Chuppa, dem Hochzeitsbaldachin.
„Judentum“ hat Tisa von der Schulenburg ihre Säule von 1992 genannt. Der Ausschnitt zeigt ein Paar unter der Chuppa, dem Hochzeitsbaldachin. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Pieren wünscht sich einen unverkrampften Umgang mit diesem Ort. So sei es ebenfalls möglich, wenn man sich am vorbeirauschenden Verkehr nicht stört, spontan mit einem Butterbrot auf einer Bank unter der Buche Platz zu nehmen. „Ich habe hier auch schon Mittag gegessen“, sagt Kathrin Pieren. „Hier ist es recht schattig.“

>> Sonderausstellung

Jüdisches Museum Westfalen, Julius-Ambrunn-Straße 1, Dorsten. Eintritt: 5 €, reduziert: 2,50 €. Ein Besuch ist wieder ohne Voranmeldung möglich.

Sonderausstellung zur Provenienzforschung „Auf der Suche nach der verschollenen Identität“ bis 31. August. Das Museum beleuchtet die Herkunft von Sammlungsobjekten, geht also der Frage nach, ob es sich ursprünglich um den Besitz von jüdischen Menschen handelt, den die Nazis einst raubten.

Info: jmw-dorsten.de