Dortmund. Die Verkehrsplanung im Ruhrgebiet bereite ihm manchmal schlaflose Nächte, sagt Verkehrswissenschaftler Christian Holz-Rau. Was sich ändern muss.
Wie kann die Verkehrswende im Ruhrgebiet gelingen? Nach Überzeugung von Verkehrswissenschaftler Christian Holz-Rau nur, in dem der motorisierte Verkehr deutlich beschnitten wird. Seit 1998 leitet er das Fachgebiet Verkehrswesen und -planung an der Fakultät für Raumplanung der TU Dortmund, arbeitete zuvor an der TU Berlin. Warum das Ruhrgebiet nur langsam den Fuß vom Gaspedal nimmt, hat mehrere Gründe, wie er im Interview verrät.
Laut der jüngsten Erhebung des Kraftfahrtbundesamts gibt es nirgends in Deutschland so viele private Pkw wie in Dortmund und Essen. Warum sind die Ruhrgebietsstädte in dieser Statistik seit Jahren an der Spitze?
Christian Holz-Rau: Metropolen wie etwa Berlin oder München haben eine Mitte, auf die sich das Netz von Bussen und Bahnen ausrichtet. Im Ruhrgebiet gibt es sehr viele Zentren, die dicht beieinander liegen. In dieser Situation ist es viel schwieriger, die verschiedenen Großstädte mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu verbinden. Hinzu kommt: Im Ruhrgebiet als Arbeiterregion hat die Motorisierung spät eingesetzt. So sind viele wohl bis heute besonders stolz auf ihr Auto. Das ist in anderen Regionen schon anders.
Viele Menschen im Ruhrgebiet kritisieren den öffentlichen Nahverkehr. Das müsste doch besser gehen?
Holz-Rau: Ich halte das ÖPNV-Angebot im Ruhrgebiet ebenfalls nicht für sonderlich gut, aber trotzdem für besser als seinen Ruf. Das Hauptproblem sind Verspätungen, die sich beim Umsteigen besonders negativ auswirken. Aber die fehlende Alternative zum Auto hat einen anderen Grund: Wo ich wohne und arbeite, entscheide ich nach der Erreichbarkeit – und diese Entscheidungen sind seit Jahren oder sogar Jahrzehnten mit dem Auto getroffen worden. Viele haben sich dabei ans Auto quasi gefesselt, denn der Nahverkehr passt zu diesen Entscheidungen nicht und kann auch kaum passend gemacht werden. Gleichzeitig sind die Wege immer länger geworden. Sogar das Flugzeug spielt inzwischen im Berufsverkehr eine Rolle. Unter Klimaschutzgesichtspunkten ist das eine Katastrophe.
Warum dauert es dann immer noch länger, einen Radweg wie den RS1 zu realisieren als einen Autobahnabschnitt?
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Holz-Rau: Vor allem mangelnder politischer Wille ist dafür der Grund: Es wird häufig nach dem Prinzip entschieden, wie ich den – vielfach eingebildeten – Wünschen der Wähler entspreche. Wenn es darum geht, städtische Flächen neu aufzuteilen, gibt es oft Gegenwind, wenn etwa Parkstreifen zu Gunsten eines Radwegs verschwinden sollen. Da traut sich Politik schlicht oft nicht. Es gibt an der Stelle für den Pkw ein eingebildetes Gewohnheitsrecht, das Auto fast überall kostenlos abstellen zu dürfen. Viele Länder handhaben das anders: In den Niederlanden und Dänemark ist das Parken an Hauptverkehrsstraßen in der Regel untersagt. Dieser Platz wird meist für Radwege genutzt. Dagegen ist es in Deutschland üblich, neben parkenden Autos auf dem Radweg zu halten, um Brötchen zu holen. Und bei der Frage Parkstreifen oder Radweg endet meist das Bekenntnis zur Verkehrswende.
Wie beurteilen Sie die Bedingungen für Radfahrer im Ruhrgebiet?
Holz-Rau: Als Radfahrer im Ruhrgebiet lebt es sich sehr schlecht, das muss man so hart sagen. Wir haben uns im Rahmen eines Forschungsprojekts mehrere Hauptverkehrsstraßen in mehrere deutschen Großstädten angeschaut. Dazu gehörte auch Dortmund: In keiner anderen Stadt wurde so viel am Straßenrand und auf Radwegen geparkt wie in Dortmund. Damit also Dortmund das Kopenhagen Westfalens wird, muss noch sehr viel passieren.
Was denn zum Beispiel?
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Es ist eine Frage des Vorrangs: Wer den Radverkehr fördern will, muss ihm mehr Flächen zur Verfügung stellen. Man kann sie meist nur den Autos wegnehmen, denen man über Jahrzehnte nie etwas weggenommen, sondern immer etwas dazugegeben hat: Flächen zum Parken oder Fahren. Nur so lässt sich die Sicherheit und Qualität des Radverkehrs wirklich verbessern. Und das fällt der lokalen Politik meist sehr, sehr schwer. Gleichzeitig geht es um den bundesweiten Rahmen. Bußgelder nach Verkehrs- oder Parkverstößen sind noch immer ein Schnäppchen. Auch die Debatte über höhere Benzinpreise ist nicht neu. Nach dem gut zehn Jahre alten Bundesverkehrswegeplan sollte der Benzinpreis heute bei zwei Euro pro Liter liegen. Die Diskussion um die Verkehrswende scheint zwar im Aufwind: Wenn man aber betrachtet, welche enormen Mittel während der Corona-Pandemie in den Auto- und Flugverkehr geflossen sind und diese mit den geringen Summen vergleicht, die bundesweit in den Radverkehr fließen, klafft eine riesige Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
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