Duisburg. Beim 360-Grad-Rundgang durch das Kultur- und Stadthistorischen Museum, Duisburgs Geschichtsspeicher, wird das flirrende Leben richtig greifbar.

Willkommen, Välkommen, Benvenuto, Merhaba und Bruchum Habaim – das letzte war Hebräisch. So freundlich wird man begrüßt im Kultur- und Stadthistorischen Museum, dass bei fehlender Nähe vom heimischen Computer aus gleich etwas das Gemüt weichgezeichnet wird. Weil sich das mit dem realen Besuch in dem Duisburger Geschichtenspeicher doch aktuell sehr komplex erweist, nehmen wir die Gelegenheit eines virtuellen Rundgangs einstweilig dankend an.

Moment mal! „Zurzeit kein Zutritt zur Stadtgeschichte“ steht auf einem Zettel an der Tür zum Vorraum gepinnt – und das liegt ausnahmsweise nicht an Corona. Was die Programmierer charmanterweise vergessen haben wegzustempeln: „Es werden 3D-Aufnahmen gemacht!“ Man kann also auf den fertigen Bildern den Hinweis sehen, dass sie gerade im Entstehen sind. Das ist doch mal ein authentischer wie dynamischer Arbeitsnachweis in dieser Malochermetropole, die sich auch durch solche Digitalisierungs-Dienstleistungen zur Smartcity transformiert. Wir verlassen an dieser Stelle aber mal die Metaebene und beginnen parterre beinahe wie normal: nämlich durch die Drehtür.

Eine Rutsche für die Mehlsäcke.
Eine Rutsche für die Mehlsäcke. © Stadtmuseum Duisburg

Folge dem Kreis! Der Flipper aus dem Duisburger Zoo und Schimmi nebst Thanner verheißen zum Start der 360-Grad-Tour, dass es hier nicht nur alte Münzen und Mauerreste, Scherben und Schüsseln zu sehen gibt. Mit geschickter Navigation notfalls per Doppelklick, wenn es eng wird zwischen Vasen und Vi­trinen (man mag doch nichts umstoßen), kann man sogar die Bedienungsanweisung am Feuerlöscher entziffern.

Wer lieber doch mehr über die Stadt erfahren will, bekommt immer mal wieder ein „i“ für Information angezeigt oder for information, also auf Englisch. Unter „Duisburg im Umbruch“, was korrekt Duisburg im Aufbruch heißen müsste, ist der Werdegang seit den Napoleonischen Kriegen 1815 umrissen mit dem Weg in die Schwerindustrie: „Arbeitskräfte aus allen Teilen Deutschlands, den Nachbar- und Mittelmeerländern kamen in die Stadt und ermöglichten eine scheinbar unerschöpfliche Produktion.“

Digital im Gespräch bleiben

Nun, die Produktion war irgendwann halt doch erschöpflich, die Gastarbeiter aber blieben eine Bereicherung. Ganz im Sinne von Susanne Sommer, der Museumsleiterin, deren Mutter Amerikanerin ist und die Großeltern aus Ungarn. Szeretettel üdvözöljük, siehe oben.

„Duisburger Mühlen versorgten das gesamte Ruhrgebiet mit dem Grundnahrungsmittel Mehl“, ist weiter zu lernen und anschaulich mit einer Sackrutsche ausgestattet – was passt: Durch die Glasfront blickt man auf das architektonisch kühn geschwungene Landesarchiv gegenüber sowie den malerischen Innenhafen, einst „Brotkorb des Reviers“ genannt. Und auch das Haus selbst war, aha, einmal: eine Mühle.

Ziemlich bunt wird’s in der Abteilung Wirtschaftswunder, mit Babyboom-Kinderwagen, den geliehenen Fußballtretern von Hartmut Heidemann, der mit dem Meidericher Spielverein in der Bundesliga-Premierensaison 1963/64 deutscher Vizemeister wurde, und einem nachgebildeten Kiosk. Der hat einen Knopf, auf den man drückt, dann ertönt das Geräusch ploppender Bierflaschen. Das geht am Monitor oder per Smartphone-Steuerung allerdings ebenso wenig wie das vor Ort immer wieder gern abgerufene Liedgut vom „Lachenden Vagabunden“. Man arbeite aber an den Audiospuren, so dass Fred Bertelmann bald auch aus Ihren PC-Lautsprechern plärren könnte.

Auch online einen Besuch wert: das Kultur- und Stadthistorische Museums am Innenhafen in Duisburg.
Auch online einen Besuch wert: das Kultur- und Stadthistorische Museums am Innenhafen in Duisburg. © Stadtmuseum Duisburg

Was zwangsläufig unmöglich ist: den nachgebauten Pranger – ein weiteres Ausstellungs-Highlight, um das Mittelalter zum Leben zu erwecken – in dessen Schlinge Kinder ihren Kopf so gerne legen, ins Netz zu übersetzen. „Aber wir wollen ja auch noch Appetit machen auf den echten Besuch“, lacht Susanne Sommer. Denn das Erlebnis ist natürlich durch nichts zu ersetzen, bei aller Lust auf die digitalen Schrittmacher, die die 60-Jährige verspürt. „Um im Gespräch zu bleiben, ist das eine feine Sache. Aber auch, um junge Leute für Geschichte zu interessieren – ein wichtiger Auftrag.“

Weitere zeitgenössische Angebote wie einen Museums-Blog gibt es auch auf der Homepage, mit einem Poetryslam vom Zentrum für Erinnerungskultur, einem gemeinsamen Projekt mit dem Stadtarchiv. Dabei geht es um eine inszenierte Misshandlung eines orthodoxen Rabbiners, ein Schandmarsch durch die Duisburger Altstadt im Jahr 1933. O-Ton: „Menschen zu Hunderten und Tausenden und es war keiner unter ihnen, der protestiert hätte, als sie die Demütigungen, Beleidigungen und Schläge sahen, die sie mir auf ganzem Wege antaten.“ Wo der Genozid seinen Anfang nahm: mitten unter uns. Eindringlich: „Zu Hunderten und Tausenden entscheiden wir, in was für einer Gesellschaft wir leben möchten.“

„Solidarität ist heute aktueller denn je“: Museumsleiterin Dr. Susanne Sommer (60).
„Solidarität ist heute aktueller denn je“: Museumsleiterin Dr. Susanne Sommer (60). © Stadt Duisburg

Ein wichtiger Baustein dieses Zusammenlebens kann nur Solidarität sein. Deshalb sind es die Bilder der gleichnamigen Brücke, wo der Kruppsche Arbeitskampf 1987 tobte, die zu den Lieblingsstücken der Direktorin gehören. Montiert an der Kohlewand aus echtem Koks der Zeche Walsum. Sommer: „Solidarität ist heute aktueller denn je.“

Direkt durch die Mauer – sowas geht im Internet – des backsteinexpressionistischen Gebäudes, beherbergt die Schatzkammer Kostbares: die Globen Mercators, Sohnstolz der Stadt, bis heute ist des Starkartographen Werk Grundlage aller Navis auf dem Wasser, zu Lande und in der Luft; sowie das letzte bekannte Original des Stadtplans seines Schülers Corputius von 1566, der auch ohne Lasermessungen auf den Meter genau präzise ist, wie Ausgrabungen bis heute beweisen. Dazu Sinnsprüche an der Wand wie „Des Kosmos Tiefen durchforsten ließen mich des Himmels Geist.“

Und wie ist das jetzt nochmal genau mit der Öffnung in Zeiten der Pandemie zwischen Lockdown und Lockerungen? Ab sofort, vorbehaltlich der Inzidenz, ist das Museum am Johannes-Corputius-Platz 1 für bis zu 8 Personen auf einmal für Sie da (Schatzkammer max. 4) – Anmeldung per Mail (ksm@stadt-duisburg.de) oder am Telefon (0203 283 2640).