Krefeld. Michael Noack, Professor an der Hochschule Niederrhein, hat Menschen in der Corona-Krise zum Thema Einsamkeitsempfinden befragt.

Michael Noack (38) ist Professor für Methoden der Sozialen Arbeit an der Hochschule Niederrhein. In der nicht-repräsentativen Studie „Kokon“ hat er 233 Menschen zu ihrem Einsamkeitsempfinden befragt – vor, während und nach den Kontaktbeschränkungen im April und Mai dieses Corona-Jahres. Die Zahl der Befragten, die schwach unter unfreiwilliger Einsamkeit litten, stieg während des Shutdowns um mehr als 20 Prozent.

Herr Professor Noack, wie definieren Sie als Wissenschaftler das Phänomen Einsamkeit?

Es gibt zum einen die soziale Isolation, die ich als Wissenschaftler objektiv messen kann: Wie viele Freunde, Bekannte hat eine Person? Wie häufig trifft sie sich mit ihnen? Das allein sagt aber noch nichts darüber aus, ob sich die Person auch wirklich einsam fühlt. Bei der freiwilligen Einsamkeit ziehen sich Personen zum Beispiel ganz bewusst aus sozialen Verbindungen zurück. Anders ist das bei unfreiwilliger Einsamkeit. Sie tritt immer dann auf, wenn man eine Diskrepanz zwischen der Anzahl der sozialen Beziehungen und der Sinnhaftigkeit dieser Beziehungen erlebt. Das kann unter Freunden genauso passieren wie bei Eheleuten und auf Dauer zum echten Leiden werden. Mit welchen Folgen?Es gibt Studien, die zeigen: Menschen, die chronisch unter unfreiwilliger Einsamkeit leiden, ernähren sich ungesünder. Sie neigen zu Übergewicht, rauchen mehr und haben häufiger Suizidgedanken. Chronische Einsamkeit und Depressionen bedingen sich wechselseitig.

Sie haben in Ihrer Studie untersucht, ob die Psyche und das Selbstbewusstsein mitverantwortlich für unsere empfundene Einsamkeit sind. Mit welchem Ergebnis?

Für die Zeit vor dem Shutdown haben wir keinen Zusammenhang finden können, ganz anders sah es während des Shutdowns aus: Bei den 18- bis 37-Jährigen und den 38- bis 57-Jährigen litten die Personen umso weniger an Einsamkeit, je besser sie ihre psychische Verfassung eingeschätzt haben. Für die Altersgruppe der 58- bis 77-Jährigen können wir das so nicht bestätigen.

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Trotzdem kommen Sie in der Studie zu dem Ergebnis, dass bei den 18- bis 37-Jährigen jeder dritte während der Kontaktbeschränkungen unter Einsamkeit litt – deutlich mehr als bei den älteren. Wie kommt das?

Wir wissen aus anderen Studien, dass junge Menschen zwar viele Kontakte durch soziale Netzwerke haben. Aber viele beschreiben die Kontakte als nicht sinnhaft: Kann ich nur schöne Urlaubsfotos posten – oder auch schreiben, wenn es mir mal richtig schlecht geht? Die fehlende Sinnhaftigkeit eines Kontakts ist der springende Punkt, der zu empfundener Einsamkeit führen kann. Ähnliches haben wir in unserer Studie bei Familien erlebt: Viele waren während der Kontaktbeschränkungen genervt, immer nur die eigene Familie zu sehen, keine anderen Gesprächsthemen mehr zu haben. Zur Weihnachtszeit, wo wir quasi nur noch mit der Familie zusammen sind, kann sich dieses Gefühl verstärken.


Die Initiative „Keiner bleibt allein“ hat bereits viele Menschen an Gastgeber vermittelt. Ist das ein Weg gegen die Einsamkeit zu den Festtagen?

Ja, vor allem ist hier wichtig, dass sich die Profile auch gegenseitig vorgestellt werden. Nur so kann man zumindest in Ansätzen sehen, ob die Person ähnliche Interessen oder Hobbys hat. Denn, ganz wichtig: Die Sinnhaftigkeit eines Kontakts entscheidet darüber, ob wir uns in einer fremden Umgebung einsam fühlen oder nicht.

Viele machen an Weihnachten einfach das Radio oder den Fernseher an, um sich weniger alleine zu fühlen. Hilft das auch?

Die Idee dahinter ist, sich abzulenken und das Gefühl der Einsamkeit nicht so stark zu erleben. Ich kann mir vorstellen, dass das punktuell für eine bestimmte Zeit auch helfen kann. Die Gefühle kommen aber wahrscheinlich wieder, sobald der Fernseher aus ist. Der Effekt ist also nicht nachhaltig.

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