Duisburg/Bremen. Der wahre Fußball versus die Ware Fußball: Irgendetwas stimmt nicht mehr mit unser aller Lieblingssport – Arnd Zeigler verrät im Interview, was.

„Ruppen“ ist ein schönes Wort für schlimmen Sport, das nicht in Vergessenheit geraten sollte. Denn das, was es bedeutet, hat ja auch fürderhin Saison: eine unfaire Spielweise.

Arnd Zeigler hat den Begriff in seiner Sendung „Arnd Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ kultiviert, doch das Wesen des Fernsehens ist flüchtig und so hat der Bremer in Diensten des WDR ein Buch geschrieben, um es quasi literarisch zu konservieren und nicht der Liste vergessener Worte anheim fallen zu lassen. Der Duden zieht da bekanntlich schneller als sein Schatten. „Traumfußball“ heißt das Werk und sein Untertitel „Wie unser Lieblingssport uns allen noch mehr Spaß machen kann“ erinnert an diejenigen, die eine Krise als Chance begreifen. Wenn zwei im Begriff sind, es richtig zu vermasseln, und einer sagt: „Komm, das kriegen wir zusammen jetzt noch besser hin!“ Es schwingt also gleich im Subtext mit, dass etwas nicht mehr stimmt mit unserem geliebten Fußball.

„Der bis dahin aufregendste Tag meines Lebens“: Klein Arnd, Rudi Assauer, Werder Bremen – und es war Sommer (‘79).
„Der bis dahin aufregendste Tag meines Lebens“: Klein Arnd, Rudi Assauer, Werder Bremen – und es war Sommer (‘79). © Privat | Arnd Ziegler

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Dass früher zwar auch nur alles früher und nicht zwingend besser war, gehört allerdings genauso zur Wahrheit – auch damals (wahlweise vor zehn, dreißig oder fünfzig Jahren) regierte das Geld, gab es angeblich keine echten Spielertypen mehr und war vorvorher, also gewissermaßen plusquamperfekt, alles besser. Oder wie es im Buch heißt: „Noch früher war alles sogar noch besser.” Unterhaltsam war es auf jeden Fall jederzeit, darauf können wir uns einigen und davon zeugt eine illustre Auswahl an Exponaten, wie sie auch das Wohnzimmer-Studio des Allessammlers überquillen lässt. Doch Zeigler belässt es nicht bei irren Frisuren (Dirk Hupe!), unfassbaren Homestorys (die Allofs!) und bizarren Schlagzeilen-Schnipseln („Fick mit Höhen und Tiefen”).

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Er wirft Fragen auf, deren Beantwortung sich zu erschließen zu versuchen lohnt. Der wahre Fußball versus die Ware Fußball: Ob unser F-Jugend-Ich heute noch bedingungsloser (manchmal besinnungsloser) Schlachtenbummler geworden wäre, wenn er bis zur A-Jugend keinen anderen Meister als den FC Bayern würde kennenlernen? „Ich glaube, die Antwort ist ganz bitter”, sagt Zeigler im Gespräch mit unserer Sonntagszeitung. Dass die Münchner 1964 in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga an Borussia Neunkirchen gescheitert sind, wäre heute nicht unvorstellbar – es würde einfach nicht mehr passieren. „Es kann einfach nicht mehr jeder jeden schlagen.” Dazu der Kommerz, in Coronazeiten noch eklig offenbarer denn je, Emotionskiller Videobeweis, diverse Pay-TV, ein Frohsinn-verordnender Fanclub der „Mannschaft“, jenes Marketing-Missgeschicks… „So groß wie jetzt war die Distanz zwischen Fußball und Fan schon lange nicht mehr“, beklagt Zeigler, „die Geisterspiele haben allen Fans den irritierenden Eindruck vermittelt: Moment, die spielen ja notfalls auch ohne uns weiter. Dabei bricht gerade einiges kaputt.“ Aber der Fußball, von der Pandemie fast in die Patellasehne gezwungen, merke auch selbst: „Er ist nicht mehr unzerstörbar.“

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Man kennt ihn aus dem Fernsehen von mittlerweile 417 Folgen „Zeiglers wunderbarer Welt des Fußballs“ – Stammplatz Sonntagabend.
Man kennt ihn aus dem Fernsehen von mittlerweile 417 Folgen „Zeiglers wunderbarer Welt des Fußballs“ – Stammplatz Sonntagabend. © PR

Was ihn ausmachte, den Sog ums gute alte runde Leder (heute: Plastik), beschreibt der dieszeitige Stadionsprecher und damalige Stadionheftverteiler von der Weser in persönlichen, nickhornbyesken Passagen. Wie die erste große Enttäuschung als Anhänger, eine gedruckte Werbepostkarte von Kalle Rummenigge statt eines echten Autogramms: „Ich hatte ihm einen langen Brief geschrieben, höflich, persönlich, schwärmerisch.“ Und dann kann der feine Herr Star nicht mal selbst signieren? „Ich fühlte mich betrogen.“

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Fast schon sentimental wird es auch, wenn Zeigler (welch Fügung: An seinem neunten Geburtstag wurde Deutschland 1974 Weltmeister) die klassische Konstellation der Stadion-Sozialisation schildert mit seinem eigenen Kind an der Hand. „Wir waren ein Team: Vater und Sohn United.“ Im Wappen vereint gezittert – mal vor Spannung, mal vor Kälte – und getröstet. Doch irgendwann gibt es halt cooleren Kram und so nehmen die Dinge ihren Lauf. Wer möchte, kann in der unvermeidlichen Entfremdung einen Steilpass ins jähe Jetzt sehen. „Früher waren internationale Turniere Festtage des Fußballs”, sagt Zeigler und man kann durchs Telefon die Schultern zucken hören, „mittlerweile finde ich die Champions League völlig austauschbar.”

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Nun lief es hier bisher überbordend kritisch, wenngleich nicht hoffnungslos, und dann auch noch gefühlig. Dabei darf das Buch in erster Linie unterhalten, pickepackevoll mit Kickkrimskrams, dass es nur so kracht: von Maradonas Bruder, der dann doch lieber Bäcker wurde, weil der Name allein nicht langte zu Mehr, vom Rio-Maskottchen Fuleco, was umgangssprachlich leider „Arsch“ bedeutet; mit wunderschönen Sentenzen wie „Ich hätte gerne einen neuen Rudi Völler.“

Ball you need is love: Zeigler gibt’s im TV, auf der Bühne und als Podcast.
Ball you need is love: Zeigler gibt’s im TV, auf der Bühne und als Podcast. © Philipp Bülter

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Über das edle Buch (Edel Books, 19,95 Euro) sagt der anerkannte Humor-Dienstleister, er habe versucht, „ganz viel von Atmosphäre und Geist“ seiner Sendung und dem Programm auf der Bühne einzubringen. So wurde es denn auch ein bis in die Bildunterschriften liebevolles „Best-of-was-bisher-geschah“ – und es ist kaum vorstellbar, dass es eine Fortsetzung gibt dereinst mit solchen Schmankerl von 2020 bis 2050. Dazu scheint die Kimmichisierung zu weit fortgeschritten. Aber eine zweite Auflage dürfte drin sein mit pflichtschuldigen Ergänzungen: So wird MSV-Maskottchen Ennatz ebenso schmählich unterschlagen wie Peter Közle im Kapitel „die schönsten Fußballer“.

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