Bonn. Das „Hilfetelefon schwierige Geburt“ bietet Müttern an, über ihre Erfahrungen im Kreißsaal zu berichten. Denn viele Frauen erleben dort Negatives.
Ein Kind kommt auf die Welt – das Wunder des Lebens versetzt uns immer wieder in Erstaunen und Begeisterung. Es klingt natürlich wie eine Binse, dass eine Geburt auch mit Sorgen, Angst und Schmerzen verbunden ist. Doch das Ausmaß ist sehr vielen werdenden Müttern im Vorfeld nicht wirklich bewusst: Sie können körperliche und seelische Verletzungen davontragen, die Brutalität und Radikalität hätten sie sich zuvor kaum vorzustellen getraut. Und das kann sie teils viele Jahre lang belasten.
Wenn eine Frau ein Kind geboren hat, können verharmlosende Sätze wie „Das hat noch jede Frau geschafft“, „Stell dich mal nicht so an“ oder „Hauptsache, das Kind ist gesund“ leicht wie Hohn wirken. Da es gar nicht selten vorkommt, dass die Schwangerschaft mit bleibenden Belastungen verbunden ist, gibt es das „Hilfetelefon schwierige Geburt“. Es richtet sich an Frauen, die nach der Geburt eines Kindes Gesprächsbedarf haben, unabhängig davon, wie schwerwiegend die Erfahrung war und wie lange sie bereits zurückliegt. Georg Howahl sprach mit Katharina Desery (45, selbst dreifache Mutter), Initiatorin des Hilfetelefons und Vorstand im Verein „Mother Hood“, darüber, warum Frauen häufig auf mangelndes Verständnis stoßen, wenn es um Probleme bei der Geburt geht.
Wie sind Sie darauf gekommen, dass junge Mütter Bedarf haben, über problematische Erlebnisse bei der Geburt zu reden?
Desery Wir hatten bei unserer Arbeit für „Mother Hood“ mit ganz vielen Müttern zu tun, die an unseren Infoständen und bei Veranstaltungen von selbst erzählt haben, was ihnen passiert ist. Manche melden sich auch bei uns und müssen mal berichten, dass sie anprangern, was ihnen da geschehen ist. Daher muss es endlich ein Hilfsangebot geben, damit die Frauen sich erstmal wo hinwenden können, unabhängig davon, wie schwer es ist, was sie erlebt haben. Wenn die Frau entscheidet: Ich habe ein Problem mit meiner Geburtserfahrung, ich komme da nicht gut mit zurecht, kann sie sich melden. Manchmal spüren Frauen noch nach Jahren, dass sie etwas beschäftigt.
Was sind typische Probleme, mit denen Mütter sich an Sie wenden?
Oft haben sie sich während der Geburt nicht gut aufgehoben gefühlt. Mit ihnen wurde nicht richtig gesprochen, ihnen wurde nicht richtig erklärt, was mit ihnen passiert. Auf einmal brach Hektik im Kreißsaal aus, innerhalb kürzester Zeit musste ein Not-Kaiserschnitt passieren. Und niemand hat dabei mit der Frau darüber gesprochen. Das heißt: Sie war der Situation ausgeliefert! Jetzt gibt es Stimmen, die sagen: In so einer Notsituation kann man ja auch nicht richtig sprechen… Doch! Kann man! Man kann mit ganz wenigen Worten den Frauen erklären, was gerade mit ihnen gemacht wird.
Gibt es Faktoren, die eine solche Krisen- und Notsituation noch verschärfen?
Wenn es überraschend zu einem Kaiserschnitt kam und das Kind wurde der Mutter danach nicht schnell gegeben, so dass sie mit dem Kind nicht so schnell in eine Beziehung konnte, ist das etwas ganz Schlimmes für viele Frauen.
Werden Geburten im Vorfeld oft noch zu sehr verharmlost?
Heute sind die Frauen ja theoretisch schon informiert und sie meinen zu wissen, was sie erwartet. Trotzdem ist eine Geburt immer individuell. Die Frauen sind oft überrascht, wie es letztendlich abgelaufen ist. Aber wenn man mal nachdenkt: Wenn sogar die Mutter oder Oma immer noch davon berichten kann, zeigt es ja, wie sehr das auch noch bis ins hohe Alter nachwirkt. Das Gute wie das nicht so Gute.
Kann man traumatische Erlebnisse schon mit einem ersten Anruf bei einem Hilfetelefon aufarbeiten?
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Manche Erlebnisse brauchen auch eine Therapie. Wir haben auf unserer Website ganz viele verschiedene Anlaufstellen genannt. Ganz simpel zum Beispiel „pro familia“, wo die Frau vor Ort sich Hilfe sucht. Wir versuchen zunächst erstmal herauszufinden: Braucht die Frau vor Ort direkt Hilfe, und welche Art könnte das sein, so dass wir die Frauen so stärken und so stabilisieren, damit sie etwa zu einer Therapeutin vor Ort gehen kann. Die Angebote gehen ja wirklich in die Tausende, aber nicht jedes Angebot ist für jede Frau gleich gut. Manchmal braucht man drei, vier Anläufe, um eine geeignete Therapie zu finden. Aber das Wichtige: Es hilft den Frauen, wenn sie ein Gegenüber haben, das ihnen so zuhört, wie sie es brauchen, nämlich ohne Wenn und Aber, ohne dieses ,Hauptsache, dein Kind ist gesund‘. Natürlich: In einem halbstündigen Gespräch kann man eine hilfesuchende Frau nicht therapieren, aber darum geht es auch nicht.
Wie kann man in der Geburtsvorbereitung bösen Überraschungen vorbeugen?
Das ist eine ganz schwierige Frage. Es ist natürlich sinnvoll, sich im Vorfeld über alles zu informieren, was im Kreißsaal passieren könnte. Also: PDA, was bedeutet es, wenn ich eine Periduralanästhesie bekomme? Oder dass ich dauerhaft an das WTG, an den Wehenschreiber, angeschlossen werden könnte. So kann die Frau allein oder mit dem Partner entscheiden: Will ich das?
Wie kann man dem Gefühl des Ausgeliefertseins im Kreißsaal entgegenwirken?
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Das Gefühl, dass über den Kopf der Frau hinweg entschieden wird, das kommt sicherlich sehr häufig vor. In dem Zusammenhang hilft es, zu wissen, was gemacht werden muss. Die Frau muss fragen: Warum machen Sie das? Und: Erklären Sie mir das bitte! Und ganz wichtig: Die Frau ist nicht für diese Situation verantwortlich! Sie kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn für sie die Geburt schwierig ist. Was Frauen oft erleben: Ich habe mich informiert und bin trotzdem schlecht behandelt worden. Vorbeugend hilft, mit dem Personal in Kontakt zu treten und zu fragen. Wenn man es selber nicht kann, dann die Begleitperson.
In Deutschland herrscht Hebammenmangel. Wäre vieles einfacher, wenn es ausreichend Hebammen gäbe?
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Natürlich! Der Personalmangel ist dafür verantwortlich, dass die Hebammen extrem unter Stress und unter Druck geraten können, wenn viele Geburten auf einmal stattfinden. Nichtsdestotrotz wissen wir, dass auch eine ganz kurze, knappe Ansprache für die Frauen eine große Hilfe ist oder ein kurzes Über-die-Hand-Streichen. Oder zu sagen: Sie machen das gut, sie schaffen das.
Aber die Geburtsbegleitung ist nicht alles, oder?
Auch eine gut begleitete Geburt kann schwierig sein. Da spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Also es gibt auch posttraumatische Belastungsstörungen nach einer Hausgeburt, da spielen auch natürlich die Hormone eine Rolle. Oder welche Erwartungen die Frau hat. Und was auch wichtig ist: Dass die Kliniken ein wirklich gutes Nachgespräch anbieten.
Spielt es eine Rolle, ob der Vater bei der Geburt dabei ist?
Die Eltern sollten ein Team sein, auch der Vater sollte wissen, was passiert. Aber ich würde nicht pauschal sagen, dass der Vater der Schlüssel ist, damit es nicht schwierig wird. Auch Männer sind da oft in einer Schocksituation oder überfordert, verständlicherweise, gerade bei ihrem ersten Kind. So dass ich den Vater als Faktor zur Vermeidung einer schwierigen Geburt nicht per se dazu zählen würde.
„Hotline schwierige Geburt“: Erreichbar unter der Rufnummer 0228/929 599 70. Beratungszeiten sind mittwochs von 12 Uhr bis 14 Uhr und donnerstags von 19 Uhr bis 21 Uhr (hilfetelefon-schwierige-geburt.de) Rund 20 bis 50 Prozent aller Geburten werden von Frauen als schwierig, belastend oder als traumatisch bewertet. Das geht aus Schätzungen der Vereine „Mother Hood“ und ISPPM hervor. Letzterer setzt sich mit psychologischen Problemen vor und während des Geburtsgeschehens auseinander. Folgen können Bindungsstörungen sein, die Angst vor weiteren Schwangerschaften, Wochenbettdepressionen oder posttraumatische Belastungen.