Bochum/Witten. Kitas starten ab 8. Juni wieder. Die Vorfreude ist groß, doch die Veränderung auch. Die Situation erfordert andere Schwerpunkte. Einige Tipps!

Zwölf Wochen werden vergangen sein, wenn die Kitas in „eingeschränktem Regelbetrieb“ ihre Türen am 8. Juni für alle Kinder wieder öffnen. Drei Monate zu Hause, wo die Kleinen überwiegend von Mama und Papa betreut wurden. „Als unsere Kita vergangene Woche per Video-Telefonie aus dem Kita-Garten anrief, weinte Fynn bitterlich“, erzählt Katrin Täubner aus Dortmund. „Er konnte es mit seinen fünf Jahren nicht verstehen, warum andere Kinder dort sein dürfen, er aber nicht. Vor allem vermisst er seine Freunde.“

Shutdown für Kinder ein einschneidendes Erlebnis

Die 36-Jährige selbst hat sich inzwischen gut mit der Situation arrangiert. Täglich war sie mit ihren beiden Kindern in Parks, im Wald, an der Ruhr oder mit dem Fahrrad unterwegs. Die Mutter eines Säuglings ist in Elternzeit und somit nicht berufstätig, daher hatte sie zumindest kein Betreuungsproblem. Es sind vor allem die Kinder, an die mit der Rückkehr zum (fast) normalen Kindergartenbetrieb gedacht werden muss. Das sagt Christian Bader, Leiter des AWO-Familienzentrums Dr.-C.-Otto-Straße in Bochum-Dahlhausen. „Wir begrüßen die Kita-Öffnung, weil wir wissen, dass der Shutdown für die Kinder ein sehr einschneidendes Erlebnis war. Sie haben ein Recht auf Bildung und Förderung, ein Recht auf Teilhabe.“ Das eigenständige Handeln und die positive sowie negative Auseinandersetzung mit anderen, gleichaltrigen Kindern sei zu Hause in dieser Form nicht möglich.

„Die Sachen, wie ,teilen können’ oder ,fair zu streiten’ wieder zu aktivieren, ist jetzt  wichtiger, als Schmetterlinge auszuschneiden.“ Isabell Schliewe, Leiterin der Bärengruppe, die zur Elterninitiative „Haus der kleinen Racker“ in Witten gehört.
„Die Sachen, wie ,teilen können’ oder ,fair zu streiten’ wieder zu aktivieren, ist jetzt wichtiger, als Schmetterlinge auszuschneiden.“ Isabell Schliewe, Leiterin der Bärengruppe, die zur Elterninitiative „Haus der kleinen Racker“ in Witten gehört. © Privat

Dazu komme der strukturierte Tagesablauf und ihn gemeinsam mit vielen Gleichaltrigen zu erleben, so der 36-Jährige. „Nur durch die Tagesstruktur, das eigenständige Erleben und die Orientierung an Beziehungen ist ein informelles Lernen möglich.“ All das könne es nur in der Kita geben; darum sei der Wiedereinstieg das einzig Richtige.

„Dadurch dass der gewohnte Tagesablauf der Kleinen so abrupt beendet wurde und diese spezielle Art des Inputs fehlt, wurden die Kinder in ihrer Entwicklung gehemmt“, so der Pädagoge. In den ersten Tagen der corona-bedingten Kita-Schließungen waren keine Kinder in der Einrichtung, nun wurden es mit jeder Lockerung mehr „notbetreute“ Kinder: Zunächst kamen die, deren beiden Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten, dann die eines Elternteils, anschließend der Alleinerziehenden, dann Vorschulkinder mit besonderem Förderanspruch und seit Donnerstag auch die ohne, so dass nun aktuell 35 Kinder die Bochumer Einrichtung besuchen. Insgesamt bietet das Familienzentrum aber 75 Plätze für Kinder zwischen vier Monaten und sechs Jahren. „Vor allem im U 3-Bereich wirken schon zwei Monate Abwesenheit wie eine Abgewöhnung.“

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Von einer echten Eingewöhnung, die stattfindet, wenn ein Kind ganz neu in die Einrichtung kommt, geht er aber dennoch nicht aus, sondern von einer abgeschwächten Form. An den Kindern, die nach und nach in die Notbetreuung kamen, beobachtete er eine große Vorfreude auf den Kindergarten, einen starken Drang zur Beschäftigung mit Gleichaltrigen und eine große Wissbegierde. „Viele Kinder wirkten unterfordert“, so der Experte. „Jetzt sind sie wieder ausgeglichener.“

Aus Hand in Hand wird Fuß an Fuß: ein lieber Gruß am AWO Kindergarten in der Dr.-C.-Otto Straße für die Kinder.
Aus Hand in Hand wird Fuß an Fuß: ein lieber Gruß am AWO Kindergarten in der Dr.-C.-Otto Straße für die Kinder. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Um ihrem Bewegungsdrang nachzukommen, werden viele Aktivitäten in den Kita-Garten verlegt. „Wir werden die pädagogischen Angebote erst einmal zurückschrauben und uns darauf konzentrieren, viel Nähe zu geben. Natürlich müssen auch die Abläufe und Regeln neu aktiviert werden, die Schwierigkeit liegt aber eher im emotionalen Bereich: Die Kleinen brauchen jetzt Aufmerksamkeit und Fürsorge.“ Außerdem haben sich die Mitarbeiter des Familienzentrums über all die Wochen bemüht, mit den Familien in Kontakt zu bleiben: sogar bis persönlich über den Zaun hinweg.

Auch Isabell Schliewe, Leiterin der Bärengruppe, die zur Elterninitiative „Haus der kleinen Racker“ in Witten gehört, berichtet von einem engen Kontakt. Es gab wöchentliche Mails mit Bastel- oder Spieltipps, zudem Telefonsprechstunden, auch für die Kinder, sowie die Möglichkeit, sich Bücher und Spiele auszuleihen oder als „Zaungast“ vorbeizukommen. Zu Ostern besuchten die vier Erzieherinnen jedes der 20 Kinder und brachten ein Osternest vorbei. Und zuletzt entwickelten sie eine Wald-Rallye. Durch die Lockerungen ist nun über die Hälfte der Kinder in der Notbetreuung. „Der Betrieb läuft ja schon die ganze Zeit wieder“, sagt Schliewe. „Wenn jetzt alle kommen, ist das für die Einrichtung kein großer Unterschied. Ich gehe aber davon aus, dass die Kinder, die jetzt so lange zu Hause waren, die Regeln und Grenzen und auch die Abläufe neu erlernen müssen. Darauf werden wir unseren Schwerpunkt legen.“ Die pädagogisch angeleiteten Angebote werden auch hier ruhen. „Die Sachen, wie ,teilen können’ oder ,fair zu streiten’ wieder zu aktivieren, ist jetzt erst einmal wichtiger, als Schmetterlinge auszuschneiden.“

„Vor allem im U 3-Bereich wirken schon zwei Monate Abwesenheit wie eine Abgewöhnung.“ Christian Bader, Leiter des AWO-Familienzentrums Dr.-C.-Otto-Straße in Bochum-Dahlhausen.
„Vor allem im U 3-Bereich wirken schon zwei Monate Abwesenheit wie eine Abgewöhnung.“ Christian Bader, Leiter des AWO-Familienzentrums Dr.-C.-Otto-Straße in Bochum-Dahlhausen. © Privat

Die eigentliche Eingewöhnung bestehe aber in der Ablösung von den Eltern und das müsse trotz 13 Wochen Pause nicht neu erlernt werden. „Die meisten Kinder, die ganz neu zu uns kommen, haben Herzschmerz von der ersten Sekunde an“, sagt die Erzieherin. „Für die anderen ist die Kita aber ein zweites Zuhause, in dem sie sehr viel Zeit verbringen. Sie kennen das hier alles und auch uns Erzieherinnen so gut, so dass es diesen Herzschmerz nicht noch einmal geben wird.“

Beide Kita-Leiter hoffen auf die Mitarbeit der Eltern, um den Wiedereinstieg zu erleichtern. „Eltern können ihre Kinder unterstützen, indem sie so gelassen bleiben, wie sie es jetzt während der Corona-Zeit sein mussten“, sagt Isabell Schliewe. Sie hofft, dass sich alle an die Sicherheitsvorgaben halten. „Wir wollen das auch nicht ausdiskutieren. Es würde uns viel Stress ersparen.“

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Christian Bader sagt: „Die Eltern haben über diese ganze Zeit hinweg sehr viel geleistet und eine große und wichtige Aufgabe erfüllt.“ Entscheidend sei nun, dass sich die pädagogischen Mitarbeiter in die Kinder einfühlen. Eltern könnten die Kleinen so vorbereiten, dass sie mit ihnen über den Kita-Start sprechen, ihnen vielleicht Bilder aus der bisherigen Kita-Zeit zeigen. Außerdem kann der nächste Spaziergang ja das Ziel haben, sich die Kita schon mal von außen anzusehen. Viele Einrichtungen haben in Fenster und an Türen bunte Botschaften für die Kleinen geschrieben, die man ihnen vorlesen kann: „Wir freuen uns auf das Wiedersehen mit euch!“

Hygieneregeln

Noch gelten besondere Hygienemaßnahmen, um den Infektionsschutz in den Kitas zu gewährleisten. Im „Haus der kleinen Racker“ in Witten sind das – in Anlehnung an die Vorgaben des NRW-Familienministeriums – u.a. noch häufigeres Händewaschen, unverzügliches Abholen von Kindern mit Krankheitssymptomen, kein Zähneputzen in der Kita und kein Mithelfen der Kinder beim Tischdecken. Das Spielzeug wurde stark reduziert. Zudem dürfen die Eltern die Einrichtung nicht betreten.