Westerkappeln. Hobbys gibt’s! Blogger Hendrik Sandmann (16) sammelt Fotos von Fahrstühlen – für den Autisten im Rollstuhl auch aus therapeutischen Gründen.

Das Internet ist ein erstaunlicher Ort. Viel Abseitiges, Abstruses gar, Bizarres bisweilen findet man dort, ohne groß danach zu suchen. Aber auch manches Besondere, was man schon wissen muss, um es kennenzulernen. Und manchmal muss man fragen, um es zu verstehen. In seinem Blog fahrstuhlbilder.blogspot.com sammelt Hendrik Sandmann, wie man nun ahnen kann: Fahrstuhlbilder.

Also, Bilder von Fahrstühlen.

Rund 500 hat er schon beisammen, selbst aufgenommen oder zugeschickt bekommen – immer nach der gleichen, festgelegten Anordnung. 3 Fotos: 1 vom Aufzug mit geschlossener Tür, 1 vom Aufzug mit geöffneter Tür und 1 von drinnen mit technischen Daten des Aufzugs.

Liftboy: Hendrik Sandmann, hier im Einkaufszentrum Hamburger Meile, ist 16 Jahre jung, hat Asperger und sitzt im Rollstuhl. Der Blogger sammelt Fotos von Fahrstühlen.
Liftboy: Hendrik Sandmann, hier im Einkaufszentrum Hamburger Meile, ist 16 Jahre jung, hat Asperger und sitzt im Rollstuhl. Der Blogger sammelt Fotos von Fahrstühlen. © Privat

Warum macht er das, wollen wir erfahren. Die Antwort ist mehr als ein Grund, der Hintergrund ist mehr als ein Hobby: Hendrik Sandmann ist ein erstaunlicher Typ.

„Spezialinteresse“

Die Rubrik „Über mich“ indes ist: leer. Was uns der Blogger aus Westerkappeln bei Ibbenbüren über sich verrät: „Ich bin 16 Jahre alt, sitze im Rollstuhl und habe Asperger.“ Und hier beginnt der Auslöser für das, was er selbst „Spezialinteresse“ nennt. Weil er seit er denken kann, auf diese Art der Beförderung angewiesen ist, wo andere die Treppen nehmen könnten, ist schon mal eine natürliche Verbindung zur Technik entstanden. „Ich bin ja auch viel in Krankenhäusern“, erzählt er. In der Behandlung für seine autistische Herausforderung schlug ihm dann die Therapeutin den Gedanken mit dem Blog vor, „um mein Hobby in Bahnen zu bekommen. Das fand ich eine coole Idee.“

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Seit ziemlich genau einem Jahr sammelt Hendrik Sandmann also Fahrstühle. In Zahnarztpraxen, Wohnhäusern, U-Bahnhöfen oder Einkaufszentren macht er seine Fotos. Immer 1 vom Aufzug mit geschlossener Tür, 1 vom Aufzug mit geöffneter Tür und 1 von drinnen mit technischen Daten des Aufzugs. Und lädt sie hoch. Von Münster bis Bonn, von Berlin bis Hamburg, mittlerweile bekommt er regelmäßig Mails von Leuten mit Fahrstühlen, chromblitzend oder holzvertäfelt. Und erfährt dann das Baujahr, die Tragfähigkeit – in Kilo und Personen. Der Plaketten-Klassiker: Aufzug im Brandfall nicht benutzen!

„Eigentlich sind alle gleich“

Seine Erkenntnis: „Eigentlich sind alle gleich.“ Was ihn keineswegs erschüttert: „Jeder ist interessant.“ Aber welche findet er so richtig spannend? „Die besonders schnell sind oder besonders hoch fahren, ab 20 Stockwerke, das fasziniert mich“, sagt Hendrik Sandmann und jetzt kommt er richtig in Fahrt. Die Wolkenkratzer von New York wie das Empire State Building, ja, das wäre mal ein Traumziel.

Sehnsuchtsziel New York: Das Empire State Building hat 102 Etagen und verfügt über 73 Aufzüge.
Sehnsuchtsziel New York: Das Empire State Building hat 102 Etagen und verfügt über 73 Aufzüge. © picture alliance/dpa | Christina Horsten

Manche Kabinen sind für sein Gefährt nicht geräumig genug. Wenige sind witzig, wie der Lift im Ibis Hotel an der Alster, in dem auf den Innenseite zu lesen ist „Sesam öffne dich“. Nein, Aufzüge sind kein Heim für Humor, findet auch Hendrik Sandmann. Einige sind beschmiert, so wie die seiner früheren Gesamtschule. „Der war ganz schlimm.“ Ein Modell von 1978, erklärt der Fachmann, und geniert sich ein wenig, Grafitti-Gebrauchslyrik à la „Leck mich am Arsch“ zu zitieren. Da fand er auch schon mal Hinterlassenschaften wie eine leere Dose Fanta oder ein verschimmeltes Brot. „Nicht so lecker“, kommentiert er trocken. Er hat es eigenhändig entsorgt und geht heute wieder auf eine Förderschule. „Da ist die Beratung für das Berufsleben besser.“

Was er machen möchte, verwundert jetzt nicht unbedingt: „Mein Traumberuf wäre Techniker für Fahrstühle.“ Realistisch sei wegen seiner Beeinträchtigung aber eher ein Bürojob in der Buchhaltung. Wobei, „ich habe Schwierigkeiten, mich acht Stunden auf eine Tätigkeit zu konzentrieren.“ Wer nicht, lieber Hendrik Sandmann, wer nicht…

„Meine Eltern finden es nervig“

Wie lebt seine Familie – der heimische Bungalow ist barrierefrei – eigentlich mit dieser Neigung? „Meine Eltern finden es schon ziemlich nervig, weil ich das seit mittlerweile 13 Jahren mache. Aber gut. Und meine jüngere Schwester interessiert sich auch nicht wirklich dafür. Aber ich bin ihr nicht böse.“ Außerdem hat er ja auch noch andere Interessen. Musik hören zum Beispiel. Und auf Youtube Filme gucken. Von Fahrstühlen, natürlich.

Wer Hendrik Sandmann Bilder von Fahrstühlen schicken möchte: aufzugfotos@gmail.com – und wer sich das vielleicht auch alles einfach nur mal anschauen möchte: fahrstuhlbilder.blogsport.com

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