Dortmund. Fußball ohne Fans, alle Großveranstaltungen abgesagt – da verlieren auch Flaschensammler ihre Einnahmen. Wir haben einen Pfand-Piraten begleitet.

Endlich: Das Revier-Derby steht ins Haus. Der BVB empfängt Schalke. Doch vieles wir ganz anders sein als sonst. Die Partie hätte den Pott eigentlich zum Beben gebracht. Rund um das Stadion wären unzählige Menschen unterwegs gewesen, die Stadt hätte sich auf den Ausnahmezustand vorbereitet. Bier- und Bratwurstverkäufer hätten ordentlich an dem Treiben verdient, und auch in den Fanshops hätte es wohl dichtes Gedränge gegeben. Aber über das wohl speziellste und traditionsreichste Duell des Ruhrgebiets darf auch rund zwei Monate nach der geplanten Austragung in dieser Form nur im Konjunktiv gesprochen werden.

Derby wäre ein Mega-Tag gewesen

Denn wenn die Bundesliga den Spielbetrieb wieder aufnimmt, wird es keine Zuschauer bei den Spielen geben. Vor den Stadien wird – so ist zu hoffen – gespenstische Ruhe herrschen. Wer Fußball sehen will, muss den Fernseher anschalten. Über Sinn und Unsinn der Wiederaufnahme ist hinreichend diskutiert worden. Manche Experten vermuteten, der Berufsfußball habe kurz vor der Kernschmelze gestanden. Für andere wiederum war er aus einem bestimmten Grund in seiner ursprünglichen Form immer überlebenswichtig. Für die Menschen etwa, die ihr knappes Einkommen durch das Sammeln von Pfandflaschen aufbessern. Die Zwangspause war für den Fußball geringfügig tragisch – für andere bedeutet dieser Umstand den Wegfall von Existenziellem.

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Werner Trott kennt diese Szene, er sammelt selbst Flaschen, die achtlos in der Gegend entsorgt werden. Das Derby, sagt der 53-Jährige, wäre ein „Mega-Tag“ gewesen. „Wer in Dortmund läuft und sammelt“, sagt Werner Trott, „kann bis zu 1000 Euro im Monat verdienen.“ Er aber gehört nicht zu denen, die damit große Sprünge machen, er erfüllt sich lieber kleinere Wünsche oder setzt den Erlös aus seinen Sammel-Aktionen für soziale Zwecke ein.

Corona wirkt auch da verheerend, wo es nicht um Millionen geht. Werner Trott sammelt sogar für den guten Zweck.
Corona wirkt auch da verheerend, wo es nicht um Millionen geht. Werner Trott sammelt sogar für den guten Zweck. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Werner Trott kennt jedoch Einzelschicksale. Während er bei sich selbst eine Sucht nach dem Sammeln ausgemacht haben will, sieht er oft Menschen, die ihr Überleben mit Retour-Produkten einer Überflussgesellschaft sichern. Er weiß diese Dinge, weil er aus bestimmten Gründen sammeln geht: „Ich halte die Umwelt sauber und lerne neue Menschen kennen.“ Und er hört neue, teils erstaunliche Geschichten.

Mafia wegen 8, 15 oder 25 Cent

Von Selbstständigen mit Eigentumswohnungen, die ebenso dabei seien wie die, die es im organisierten Verbund machen. „Mafia“ nennt sie Werner Trott. Denn sie nehmen mitunter Menschen etwas weg, die es dringender brauchen: Arbeitslosen, die auf Tage mit Großveranstaltungen wie dem Derby hingearbeitet haben. An diesem Tag wäre es ganz sicher wieder rabiat zugegangen wie üblich. Territoriale Ansprüche haben in der Szene der Sammler einen hohen Stellenwert. Viele brauchen jede Flasche. Ob acht Cent, 15 oder 25.

Werner Trott sammelt Glasflaschen. Davon gibt es mehr, und er will die begehrten Plastikbehälter, für die es am Automaten immerhin den Höchstbetrag von jeweils 25 Cent gibt, denen überlassen, die es dringender brauchen. Eine Bekannte und Mitstreiterin aus Kamen etwa habe zu ihm gesagt: „Mir fehlt jetzt das Geld.“ Corona wirkt auch da verheerend, wo es nicht um Millionen geht.

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Werner Trott weiß, dass sich manche seiner Mitstreiter für ihre Tätigkeit schämen. Er selbst nicht, denn er geht damit sogar offen um. Auf seiner Webseite „flaschensammler.eu“ kündigt er sogar an, wann er wo stehen wird und erklärt, warum er das macht – angetrieben von dem Gedanken, Helfen zu können.

Leider an der Tagesordnung in Deutschland.
Leider an der Tagesordnung in Deutschland. © Funke Foto Services | Lutz von Staegmann

Zufällig lernte er auf einer Tour einen Sammler kennen, der erblindet war. Die beiden freundeten sich an, er fand heraus, dass sein neuer Bekannter ein begabter Musiker ist. „Er kann hervorragend Schlagzeug und Klavier spielen“, erzählt Werner Trott. Doch die Ausstattung lasse seiner Meinung nach zu wünschen übrig: „Wenn ich sammle, lege ich einen Teil meiner Erlöse für ihn zur Seite. Ich will ihm ein Tonstudio kaufen.“ Werner Trott macht aus seiner Begeisterung für Musik keinen Hehl. „Irgendwann“, sagt er, „soll es von ihm mal eine Aufnahme geben. Schon dafür lohnt sich das Sammeln.“

Das Mehrweg-ABC

Einweg-Pfandflaschen: Manchmal ist es nur noch notwendig, Mehrwegbehälter und Einweg-Verpackungen zu sortieren und getrennt abzugeben. Einweg-Pfandflaschen tragen ein einheitliches Symbol. Für jeden Behälter gibt es 25 Cent zurück. Das gilt auch für leere Pfanddosen.

Bierflaschen aus Glas: Schwieriger wird es beim Mehrweg-Pfand. Bierflaschen aus Glas bringen lediglich acht Cent bei der Rückgabe. Ausnahmen bilden die Flaschen mit Bügelverschluss, die mit 15 Cent pro Stück vergütet werden.

Sonstige Flaschen und Behälter: Ebenso 15 Cent wert sind Mehrweg-Flaschen für Mineralwasser oder Softdrinks. Selbst auf einige Joghurtgläser wird Pfand in Höhe von 15 Cent erhoben. Sehr große Flaschen mit mehr als drei Liter Fassungsvermögen sind pfandfrei und landen in der Wertstoffsammlung.
Leere Pfandkisten sind in kleiner Ausführung 0,75 € und als normale Kiste 1,50 € wert.

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