Essen. Schmerztherapeutin unterstützt Patienten, den für sie passenden Weg zu finden. Damit der Schmerz nicht länger der Mittelpunkt des Lebens ist.
Alles ist so laut, viel zu grell, der Kopf drückt. Und dann fängt es vor den Augen an zu flimmern… Viele Menschen mit Migräne kennen ihre Anzeichen für die nächste Attacke. Ist es einmal so weit, lässt sie sich nur schwer stoppen. Von chronischer Migräne sprechen Experten, wenn ein Mensch regelmäßig an acht Tagen im Monat Migräne und an fünf Tagen Kopfschmerzen hat. „Der Betroffene sieht das selbst ganz anders“, sagt Schmerztherapeutin Astrid Gendolla. Da können auch schon ein, zwei, drei Schmerztage im Monat einen Patienten sehr belasten.
Der Körper kann von Kopf bis Fuß betroffen sein. Laut der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) gibt es 21 Millionen Menschen in Deutschland, die regelmäßig Schmerzen haben. 3,4 Millionen Menschen leiden unter schwersten chronischen Schmerzen. Insbesondere wegen Rückenproblemen scheiden viele aus dem Berufsleben aus.
Migräne oder Kopfschmerzen - der Unterschied
Die 53-Jährige erklärt den Unterschied zwischen Migräne und Kopfschmerzen: „Migräne verschlimmert sich, wenn man den Kopf bewegt, läuft, hüpft, Treppen steigt. Andere Kopfschmerzen tun das nicht, außer bei einer Nasen-Nebenhöhlen-Infektion“, sagt die DGS-Vizepräsidentin Astrid Gendolla. „Das Blöde an Schmerzen ist generell, man hat kein Instrument, um zu messen, wie schwer zum Beispiel die Migräne ist.“ Der Patient kann da sein Leid selbst noch am besten einstufen.
Rückenschmerzen: Was wir sehen, beeinflusst, was wir fühlen
Eine Frage der Sicht: Wenn Menschen mit chronischen Rückenschmerzen auf einem Monitor eine Echtzeit-Aufnahme ihres Rückens betrachten, bessert sich der Schmerz. Festgestellt hat das ein Team von Martin Diers, Professor von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Uni Bochum.
„Wir konnten zeigen, dass das alleinige Betrachten des Echtzeitvideos des eigenen Rückens nach einer Minute die Intensität des Schmerzes bei Patientinnen und Patienten mit chronischem Rückenschmerz senkt“, so Diers. Sahen sie ein Rücken-Foto, veränderte sich der Schmerz nicht. Eine Massage sei daher wirksamer, wenn man dabei zuschaue.
Auch sagt die Stärke einer Schädigung, etwa an der Wirbelsäule, noch nichts über die Stärke eines Schmerzes aus. Ein Mensch mit einem schweren Bandscheibenvorfall kann fast nichts merken, während ein anderer mit einem leichten Befund starke Schmerzen empfindet. Die Expertin betont als wichtige Botschaft an ihre Patienten: „Sie bilden sich Ihren Schmerz nicht ein, er ist real, er ist da, er beeinträchtigt Ihr Leben total.“
Dieses unterschiedliche Empfinden habe damit zu tun, dass die Schmerzen über das Rückenmark zum Kopf geleitet und dort erneut verschaltet werden. „Und wenn da die Bewertung erfolgt, in der Struktur des Limbischen Systems, dann kann aus einer Erbse im Prinzip ein Stein werden.“ Sie nennt ein Beispiel, das chronische Schmerzen anschaulich erklärt: „Wenn Sie sich drei Monate lang auf den Finger klopfen und Sie hören damit auf, dann würde Ihr Organismus immer noch sagen: Mein Finger tut weh.“ Das Nervensystem hat es sich gemerkt – obwohl keiner mehr klopft.
Trotz Schmerzen der Chef des eigenen Lebens bleiben
Oft gehen Schmerzen mit seelischen Verstimmungen einher. Trotzdem müssen chronische Schmerzen nicht das Ende der Lebensfreude bedeuten. Nach einer ausführlichen Anamnese unterstützt die Ärztin Patienten in ihrer neurologischen Praxis in Essen auf dem Weg, den chronischen Schmerz in das Leben zu integrieren. Zunächst fragt sie die Menschen immer, woran der Schmerz sie hindere.
Viele Migräne-Patienten verabreden sich gar nicht mehr, weil sie befürchten, dass sie im Fall einer Attacke wieder absagen müssen. Damit übernimmt der Schmerz die Führung. Doch es geht darum, selbst der Chef des eigenen Lebens zu bleiben. Der Kontakt zu anderen Menschen und gemeinsame Aktivitäten würden nicht nur ablenken, so die Expertin. Sie zeigten zudem, dass es nicht nur Schmerz, sondern auch viel Schönes gebe in dem einen einzigen Leben.
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Die Therapie basiert immer auf drei Säulen: Medikamente, Sport und Entspannung. Während Bewegung vielen sofort einleuchtet, sind die Menschen bei Tabletten oft skeptisch. „Das Problem ist, in unserer Kultur heißt es, man müsse Schmerz irgendwie aushalten. Das würde man aber niemals bei Diabetes sagen. Da würde man immer sagen: ,Ich behandel’ das.’“, so Astrid Gendolla. Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch seien Schmerztabletten völlig in Ordnung. „Wenn man unter zehn Mal im Monat bleibt, ist das kein Problem.“
Manchmal reicht Bettruhe und Kaffee mit Zitrone
Sie berät ihre Patienten, wann welche Hilfe angebracht ist. „Manchmal reicht auch schon Bettruhe.“ Wenn etwa ein Migräne-Patient seine Vorboten für die nächste Attacke spürt, etwa Reizbarkeit und Kopfschmerzen, könne er sich zurückziehen, schwarzen Kaffee mit Zitrone und ganz viel Wasser trinken. „Manchmal reicht das schon aus.“
Zudem sollte man lernen, wann es Zeit ist, sich zu schonen. Es gibt heute unzählige Möglichkeiten, innerlich zur Ruhe zu kommen – Yoga, Meditation, Qigong, Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen. Aber: „Für manche ist Entspannungstraining gar nichts“, sagt Astrid Gendolla. „Wenn jemand das nicht mag, dann nützt es auch nichts, wenn man sagt: ,Jetzt leg dich hin und mach Autogenes Training’.“ Manchen helfe es eher, sich mal in Ruhe auf die Couch zu setzen. „Mal zehn Minuten nichts tun oder nichts denken.“