Bochum. . Achtsam leben, im Hier und Jetzt. Klingt verlockend. Aber funktioniert das? Ein Selbstversuch bei einem Kurs für Achtsamkeits-Meditation.

Ich muss daran denken, dass ich morgen… „Spüre deinen Atem“, unterbricht Petra Meibert sanft meine Gedanken. „Höre die Geräusche.“ Ich höre etwas, was ich gerade nicht wahrgenommen habe: Die Vögel zwitschern draußen. Ob die Straßen voll sind? Hoffentlich stehe ich nicht wieder im Stau. . . „Komm zurück zum Atem.“

Zwölf Frauen sitzen im Kreis, alle sind in der Mitte ihres Lebens. Sie haben sich für den Kurs „Einführung in die Achtsamkeitsmeditation“ in Bochum angemeldet. Die eine Teilnehmerin steckt in einer Trennung, die andere ist genervt von ihren geliebten Teenagern. Die nächste hatte einen Burnout, eine andere fürchtet, einen zu bekommen. Wir alle kennen die Situation: An der Supermarkt-Kasse anstehen und im Kopf schon zehn Schritte weiter sein – und am Ende nirgendwo mehr richtig.

Sobald die Zimbel erklingt, beginnt die Meditation.
Sobald die Zimbel erklingt, beginnt die Meditation. © Ingo Otto

Petra Meibert, Psychologin vom Achtsamkeitsinstitut Ruhr, beginnt die erste Meditation. Sie fordert uns auf, bequem, aber aufrecht zu sitzen. Eine Teilnehmerin im Schneidersitz klemmt sich Kissen unter die Knie. Die Frau neben mir hockt auf einem Bänkchen. Ich möchte mich am liebsten hinlegen. Aber im Alltag, wenn ich Ruhe suche, im Zug, im Wartezimmer, gibt es kein Meditationskissen und auch keine Liege. Also sitze ich auf einem Stuhl – und schließe die Augen.

Sie lenkt unsere Aufmerksamkeit auf den Atem

Der wohlig-helle Klang der Zimbel ertönt, immer dann, wenn Petra Meibert eine Meditation beginnt – und sie nach zehn, zwanzig Minuten enden lässt. Mit leiser, warmer Stimme führt sie unsere Aufmerksamkeit zum Atem. „Spüre deinen Atem. Das Kommen und Gehen der Atemzüge.“ Langes Schweigen. „Komm zurück zum Atem.“ Wieder: Schweigen. Aber nur äußerlich. Meine innere Stimme ist laut: Atme ich zu schnell? Muss ich in den Bauch atmen? Atme ich richtig?

Die Psychologin Petra Meibert leitet den Kurs für Achtsamkeitsmeditation.
Die Psychologin Petra Meibert leitet den Kurs für Achtsamkeitsmeditation. © Ingo Otto

„Es geht nicht um richtig oder falsch“, erklärt Petra Meibert später. Der Atem ist lediglich ein Anker, zu dem wir immer wieder zurückkehren können, sobald die Gedanken treiben. In einer anderen Stunde, bei einer Geh-Meditation, werden es die Füße sein, auf die wir uns konzentrieren. „Es geht nicht ums Tun, es geht ums Sein.“ Und zwar im Hier und Jetzt. Petra Meibert wählt die Worte mit Bedacht. „Schaffen“, „erreichen“, „müssen“ kommen nicht über ihre Lippen.

Damit es so selbstverständlich wird wie das Zähneputzen

Aber in der ersten Woche wird für mich die Meditation zu einem Muss. Ich muss die Arbeit erledigen, ich muss aufräumen, ich muss, ich muss, ich muss jetzt auch noch täglich meditieren. Zweimal gelingt es mir, nach Rückenübungen ein paar Minuten die Augen zu schließen.

Eine Frau im Kurs wirft sich vor, dass die Stapel bei der neuen Arbeitsstelle nicht kleiner werden, in der neuen Wohnung ist auch noch nicht alles fertig und jetzt schafft sie nicht mal das Meditieren. „Das ist kein persönliches Versagen“, betont Petra Meibert. Bei einem Lebensumbruch sei es nie leicht, mit dem Meditieren zu beginnen. Petra Meibert empfiehlt, sich jeden Tag eine bestimmte Zeit vorzunehmen. Damit das Meditieren irgendwann so selbstverständlich wird wie das Zähneputzen.

Bei der Geh-Meditation richtet sich die Konzentration auf die Füße.
Bei der Geh-Meditation richtet sich die Konzentration auf die Füße. © Ingo Otto

Klingt logisch. Also: zehn Minuten nach der Arbeit. Aber dann habe ich Hunger, dann ruft jemand an, dann, dann, dann. Verdammt! „Freundlich zu sich selbst sein“, sagt Meibert. Mitgefühl zeigen. „Einen kleinen Hund würde man auch nicht mit der Peitsche motivieren.“

Einmal ist mir langweilig, das andere Mal fühle ich mich unruhig. Können die zwanzig Minuten nicht schon rum sein? Doch dann fühle ich mich so tiefenentspannt wie kurz vorm Einschlafen. Ein sehr gutes Gefühl. Als die Zimbel erklingt, denke ich: ach, schade. Und zugleich: Ich bin richtig erfrischt.

Stimmungen wahr- und annehmen

Die guten Gefühle kann man genießen, so Meibert. „Aber sie sind nicht das Ziel der Meditation.“ Sondern: präsent sein, wach sein, Stimmungen wie Unruhe in sich wahr- und annehmen. Nach der dritten Stunde wird aus der Entspannung schnell Anspannung: Stillstand auf der A40. Ich will alles andere als im Hier und Jetzt sein! Hätte ich doch die Verkehrs-Nachrichten gelesen, wäre ich vorher abgefahren. . .

Denken ist gut. Aber eben nicht immer, betont Meibert: „Der erste Gedanke kommt, dagegen kannst du nichts machen.“ Genauso wenig wie an der Situation, wenn ich einmal im Stau stecke. Aber ob der zweite, dritte Gedanke mich überflutet, das könne man beeinflussen. Durch diese Form der „Bewusstseinsschulung“, bei der man Gedanken wie Wolken am Himmel ziehen lässt.

In der Gruppe meditiert es sich besser.
In der Gruppe meditiert es sich besser. © Ingo Otto

Eines Nachts wache ich auf. Ein Problem, für das mir tagsüber bestimmt eine Lösung einfällt, lässt mir keine Ruhe. Doch statt ins Gedankenkarussell einzusteigen, erinnere ich mich an einen Satz aus der Meditation: „Geh nicht in die Geschichte.“ Ich denke nicht den nächsten und übernächsten Gedanken. Ich nehme wahr, wie aufgewühlt ich bin, betrachte dieses Gefühl nun aber mit Abstand, lasse mich nicht mitziehen. Ich konzentriere mich auf den Atem. Und schlafe wieder ein.

Nach wenigen Wochen verwandelt sich für mich das Meditieren von einem Muss in ein Bedürfnis. Ich genieße die Pausen, fühle mich gestärkt. Eine Frau im Kurs erzählt, dass sie sich morgens nicht mehr die Creme ins Gesicht schmiert, sondern sie einmassiert. Zwei Minuten – ein kleines Glück. Der Kaffee wird nicht gestürzt, sondern Schluck für Schluck getrunken. Eine der Frauen hat morgens die Zeit gemessen, seitdem sie sich nicht mehr hektisch fertig macht, sondern ihre Handgriffe achtsam wahrnimmt. Überrascht stellt sie fest: „Ich war genauso schnell fertig.“

>> WAS IST ACHTSAMKEIT - UND WIE ERLERNT MAN SIE?

Achtsamkeit bedeutet, dass man seine Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Augenblick lenkt, ihn mit allen Sinnen wahrnimmt, ohne ihn zu bewerten.

Die Meditation ist eine Möglichkeit, sich im achtsamen Wahrnehmen zu schulen. Bei MBSR (Mindfulness based stress reduction) sind die Übungseinheiten, um Stress zu bewältigen, länger als bei dem vorgestellten Einführungskurs, erklärt Meditationslehrerin Petra Meibert. Für Menschen, die sehr viel grübeln, Depressionen und Ängste haben, ist eine ähnliche Methode geeignet: MBCT (Mindfulness based Cognitive Therapy). Mehr Informationen unter: mbsr-verband.de

Petra Meiberts Mann Jörg, beide vom Achtsamkeitsinstitut Ruhr in Essen, leitet ab dem 3. September, 18 - 19.30 Uhr, den nächsten Einführungskurs in die Achtsamkeitsmeditation in den Räumen des „Vereins für achtsame und meditative Lebenspraxis“ an der Essener Straße 37 in Bochum (6 Abende, 120 Euro). Auch Männer sind willkommen. Die Meditation folgt keiner Religion oder Weltanschauung. achtsamkeitsinstitut-ruhr.de und achtsam-leben-ruhrgebiet.de