Bochum. Nicht nur in der Corona-Krise setzt mal der Verstand aus. Ein Gespräch mit Philosoph und Poetry-Slammer Sebastian 23 über sein Buch zur Dummheit.

Wir sind alle ein bisschen dumm. Das sei auch gar nicht schlimm, sagt Sebastian 23, bei einer Schusseligkeit oder einer Wissenslücke. Tragisch sei Dummheit, wenn die Menschen nicht mehr für Fakten zugänglich sind. Maren Schürmann sprach mit dem Poetry-Slammer und Philosophen aus Bochum, der eigentlich Sebastian Rabsahl (40) heißt, über sein neues Buch „Cogito, ergo dumm – Eine Geschichte der Dummheit“.

„Cogito, ergo sum“ heißt ja bekanntlich: „Ich denke, also bin ich“. Bei Ihrem Buchtitel bringen Sie nun die Dummheit ins Spiel – bei Menschen, die denken?

Es ist ein Spiel mit der Sprache. Die Grundidee des Buches ist, dass man es nicht vermeiden kann als denkendes Wesen, gelegentlich auch mal etwas Dummes zu tun. Und das ist auch gar nicht schlimm, wenn wir mal den Kaffeebecher auf dem Autodach stehen lassen und einfach losfahren. Wir sind als Menschen ständig in Situationen, wo wir unseren Verstand nicht einsetzen, weil es andere Motivationen gibt, neben Angst und Gier ist das auch die Liebe. Da macht man dann etwas Dummes, das gehört zum Menschen einfach dazu. Dummheiten werden erst dann schlimm, wenn wir böse Absichten verfolgen und uns manipulieren lassen, Dinge zu tun, die moralisch verwerflich sind.

Sie schreiben, dass bei Angst die Menschen nur noch so schlau sind wie ein Leguan?

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Das Stammhirn, auf das wir bei Angst reduziert werden, das macht bei Reptilien fast das gesamte Gehirn aus. Da gibt es keine Argumente mehr, keine Fakten, sie haben nur das eigene Überleben vor Augen. Man kennt das ja auch bei Menschen, da kauft man sich eben 140 Klopapierrollen, weil man befürchtet, man muss für 14 Tage in Quarantäne und braucht dann 10 Rollen Klopapier pro Tag . . . Kann schon mal passieren.

Die Menschen werden also nicht schlauer? Oder sind wir heute schlicht anders dumm als früher?

Beides: ja. Die Leute haben früher Sachen gemacht, über die wir heute lachen, weil wir wissen: Das ist totaler Quatsch gewesen. Im Mittelalter hat man zum Beispiel als Mittel gegen die Pest sich den gerupften Hintern eines Huhns auf den Kopf gesetzt. Das kommt uns heute natürlich sehr albern vor, weil wir das mit wissenschaftlichen Methoden überprüfen können: Das funktioniert so nicht! Auf der anderen Seite können wir auch mit wissenschaftlichen Methoden überprüfen, dass homöopathische Mittel über den Placeboeffekt hinaus keine Wirkung haben. Trotzdem nehmen viele sie. Das wirkt genauso wenig, wie sich ein gerupftes Huhn auf den Kopf zu setzen.

Das Internet, die sozialen Medien haben nicht den besten Ruf, was die Verdummung der Leute betrifft...

Das Internet ist erstmal neutral, wir können es nutzen, um uns sehr, sehr gut zu informieren. Niemals ist so viel Wissen auf so einfache Weise zugänglich gewesen. Wenn wir jedoch zum Beispiel auf Youtube suchen, was am 11. September wirklich passiert ist, stoßen wir schnell auf Videos mit Verschwörungstheorien – und dann wird uns direkt das nächste Video empfohlen. Da gräbt man sich immer tiefer rein, und da ist natürlich auch sehr viel Unsinn verfügbar, gefährlicher Unsinn. Das Internet spielt ja auch eine Rolle bei der Radikalisierung von Terroristen, es ist ein gefährlicher Ort der Fehlinformation, der Schwarm-Dummheit. Wir müssen immer noch lernen, wie wir Informationen aus dem Internet aufnehmen.

Wie entsteht Schwarm-Dummheit?

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Es gibt ein berühmtes Experiment: Da wird ein Proband in eine Gruppe gesetzt. Was er nicht weiß: Die anderen sind alle Schauspieler. Dann wird eine einfache Frage gestellt und alle anderen Teilnehmer geben absichtlich die falsche Antwort. Und obwohl das offensichtlich falsch ist, schließt der Einzelne sich trotzdem der Meinung der Gruppe an. Und dann entsteht Schwarmdummheit. Wenn wir ständig mit falschen Informationen gefüttert werden, weil wir auf den falschen Youtube-Kanälen rumhängen, in den falschen Facebook-Gruppen. Und dann glauben wir das ganz fest und verhalten uns blöd.

Verschwörungstheoretiker denken, andere seien dumm. Sie werden missverstanden wie Galilei.

Der Unterschied ist, dass geniale Menschen wie Galilei auf die wissenschaftliche Überprüfbarkeit gezielt und sich damit gegen einen blinden Glauben der Theorien, insbesondere der Kirche, gestellt haben. Man kann auch heute die These aufstellen, dass die Erde eine Scheibe ist. Aber es lässt sich sehr einfach wissenschaftlich beweisen, dass das falsch ist.

Es gibt ja sehr schlaue Menschen, die aber insofern dumm sind, dass sie sich nicht richtig verkaufen können – und umgekehrt.

Richtig. Insbesondere das Vortäuschen von Kompetenz spielt eine zentrale Rolle, das überzeugte Auftreten, man weiß Bescheid, obwohl man gar nicht Bescheid weiß. Ein Beispiel: Im vergangenen Jahr hat eine Expertenkommission darüber entschieden, ob die Einführung eines Tempolimits auf deutschen Autobahnen positive Auswirkungen auf die Umwelt und auf die Unfallquote mit Todesfolge hätte. Die Experten und die Expertinnen waren sich einig: Ja, ein Tempolimit wäre gut. Und was sagt der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer? Das sei „gegen den Menschenverstand“. Das finde ich schon erstaunlich, dass man sich da mit so breiter Hose hinstellt und sagt: Ist mir egal, was die Experten sagen, ich weiß es besser.

Es gibt ja den Begriff der emotionalen Intelligenz – und somit auch den der emotionalen Dummheit?

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Das ist ein Mangel an emotionaler Intelligenz, an Sozialkompetenz, an Empathie. Gerade wenn man in einer schwierigen Zeit lebt, und wir leben in einer schwierigen Zeit, dann müssen wir aufeinander Acht geben und nicht sagen: „Ich bin 25, ich gehöre nicht zur Risikogruppe, dann soll das Coronavirus doch kommen. Ich bin schnell wieder fit, weil: Ich bin ja jung.“ Und dann schüttelt man die Hand der Oma – und für sie wird es dann hochgradig problematisch. Das ist eine emotionale Dummheit, wenn wir uns selbst in den Mittelpunkt rücken und keine Rücksicht nehmen.

Weiterlesen – davon wird man nicht dümmer

Sebastian 23 ist bekannt für seine humorvollen Poetry Slam-Auftritte. Aber sein neuer Titel nach dem Buch „Endlich erfolglos“ ist kein Schenkelklopfer-Text. Der 40-Jährige, der Philosophie studiert hat, zieht viele Studien heran, um ein ernstes Thema zu beleuchten. Trotzdem gibt es viele Momente des Schmunzelns. Er spricht selbst von einem „humoristischen Sachbuch“. Danach ist man auf jeden Fall schlauer!

„Cogito, ergo dumm – Eine Geschichte der Dummheit“, Benevento, 335 S., 16 €