Essen. Wildschwein, Fuchs und Ampelmeise: Was der Fotograf Sven Meurs vor die Linse bekommt, ist verblüffend - eine Expedition in den Asphaltdschungel.
Das Leben eines Tierfotografen stellt man sich ja in etwa so vor: Morgens vor Sonnenaufgang aus dem Zelt aufgestanden, ab in die Wälder, ständig auf der Pirsch nach spektakulären Tieren, Fährten lesen, kurz auf die Lauer legen, klick, klick, klick! Schon sind die Top-Schüsse im Kasten, fertig, aus…
Klingt gut, stimmt so aber nicht. Der Kölner Fotograf Sven Meurs geht gar nicht erst in die Natur, er macht sich mitten in der Stadt auf Motivjagd, sucht den Kontrast zwischen Beton und Tier. Er hat aus tausenden Stunden Arbeit und hunderttausenden Fotos das Buch „Großstadt Wildnis“ gemacht, für das er auch im Ruhrgebiet und am Niederrhein auf Safari war.
Georg Howahl sprach mit ihm über seine außergewöhnliche Perspektive, den Top-Spot im Ruhrpott – und dieses eine Tier, das er unbedingt noch vor die Linse bekommen muss.
Tierfotograf, das klingt ja nach einem absoluten Traumjob?
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Wäre es ja auch! Aber leider kann man von Tierfotografie nicht leben, diese Zeiten sind vorbei. Ich habe eine halbe Stelle als Krankenpfleger. Tierfotografie ist mein Yoga. Das kann man sich gar nicht nicht bezahlen lassen, das ist so aufwendig. Ein Beispiel: Ich habe sechs Wochen an einem Fuchsbau gesessen, 250 Stunden abends und habe 11.000 Fotos gemacht. Das geht nur mit einer gesunden Portion Nerdsein.
Wie groß war bei den Füchsen Ihre Ausbeute an guten Bildern?
Es gibt etwa 15 oder 20, die ich richtig schön finde.
Was passiert, wenn der Fuchs zu seinem Bau kommt?
Der Fuchs riecht einen sofort. Der weiß, wenn jemand in der Umgebung ist, der da nicht hingehört. Der muss sich an einen gewöhnen. Es gab Tage, da habe ich einfach dagesessen und geschaut, habe meine Kinder dabeigehabt und kein einziges Foto gemacht.
Und Sie sitzen dort in Tarnmontour, quasi als Gestrüpp verkleidet?
Hauptsächlich, damit mich nicht so viele Leute sehen und vollquatschen.
Hatten Sie schon gefährliche Begegnungen?
Zumindest nicht mit Tieren. Mir ist es allerdings passiert, dass ich getarnt im Gebüsch gehockt habe, da kommt ein Mann zu mir und öffnet seine Hose. Da bin ich panikartig aufgesprungen. Der pinkelt nie wieder im Freien!
Aber man kann sich bei der Begegnung mit wilden Tieren doch in Gefahr bringen...
Selbst Wildschweine, die beeindruckend sind mit 150, 160 Kilo, sind nicht sonderlich gefährlich. Zumindest, wenn man vorsichtig ist und ein paar Regeln beachtet, etwa nicht an die Frischlinge heranzugehen. Meist entstehen Unfälle mit Tieren wegen menschlicher Unachtsamkeit.
Wie bereiten Sie einen Streifzug vor?
Der Vorteil an sozialen Medien: Man bekommt mit, wo etwas Besonderes ist. Vor zwei Jahren war eine Uhu-Brut auf Zeche Ewald in Herten, eine Sensation. Die fand man recht zügig. Aber: Ich bin fünfmal in Berlin gewesen, um Wildschweine zu suchen, jeweils für zehn bis 15 Tage. Aber kein einziges Wildschwein.
Aber Sie haben doch ein ausgesprochen süßes Schweinchen im Band...
Als ich das letzte Mal in Berlin gewesen bin, habe ich das Bild mit dem Frischling eines Wildschweins und dem Graffiti gemacht, eins meiner absoluten Lieblingsbilder. Das war das allererste Bild, was mir in Berlin von einem Wildschwein gelungen ist! Da hätte ich direkt wieder nach Hause fahren können. Solche Sachen passieren. Aber leider viel zu selten.
Haben andere Tiere Ihnen ähnliche Probleme bereitet?
Am Biber habe ich mir wirklich die Zähne ausgebissen, mit dem bin ich noch nicht fertig. Von den Bibern in München habe ich nicht die Bilder, die ich haben wollte, mit Stadtkulisse im Hintergrund. Aber das sind Wildtiere.
Wie haben Sie den Kontrast zwischen Stadt und Tier für sich entdeckt?
Nachdem ich zwei Jahre auf Amrum gelebt habe, bin ich in Köln gelandet. Und direkt am ersten oder zweiten Abend war ich unterwegs und habe in der Nacht einen Fuchs gesehen. Ich war wahnsinnig fasziniert davon, dass ich mitten in der Stadt einen Fuchs getroffen habe. Und ich habe festgestellt, dass die Leute das spannend finden, diesen Kontrast zu sehen zwischen Mensch und Natur.
Wo kann man im Ruhrgebiet, im Sauerland oder am Niederrhein schöne Tierfotos machen?
Den Grugapark finde ich super, weil es da ganz viele Arten gibt, auch Amphibien. Und die Halden im Ruhrgebiet, da wird die Natur sich selbst überlassen. Die Mauereidechse ist auf Halde Haniel zu finden. Und Schwalbenschwänze, das sind bunte Schmetterlinge. Auf der Schurenbachhalde schaut manchmal der Flussregenpfeifer vorbei. Auf den Halden im Ruhrgebiet kann man viel überraschende Natur erleben, Greifvögel, Reptilien, da ist einiges zu holen.
Und in ihrer Heimat Kleve?
Wenn die Wildgänse kommen, ist das ein beeindruckendes Schauspiel: Zehntausende von ihnen sitzen dann an den Rheinwiesen. Da ist es auch schön in den Wäldern, weil man Rotwild findet und Hirsche beobachten kann.
Fühlen Sie sich manchmal wie ein Störenfried für die Tiere?
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Ja klar. Ich bin genau so ein Störenfried wie alle anderen. Ich kann es vielleicht ein bisschen besser machen als die anderen, weil ich nicht so ganz nah rangehe. Irgendwann waren Seidenschwänze in Moers zu sehen, da kamen Leute aus ganz Europa angereist, um sie sich anzugucken. Und dann haben sie sich gewundert, dass die Vögel wieder weggeflogen sind, weil die Fotografen ihnen den ganzen Tag hinterhergelaufen sind.
Was brauchen Hobbyfotografen, um tolle Tierbilder zu machen?
Die Leute fragen immer nach Kamera und Objektiven, die sind aber letztlich nicht wichtig. Ich habe nur drei Empfehlungen: Geduld, Geduld, Geduld.
Welches Tier wollen Sie unbedingt noch fotografieren?
Ich würde unglaublich gerne Wölfe fotografieren. Ich fahre seit Jahren in die Lausitz, um dort nach Wölfen zu schauen. Ich habe noch nie welche gesehen. So ein Wolf in einem Garten oder an einer Bushaltestelle, das fände ich schon nicht schlecht.
Sven Meurs: Großstadt Wildnis – Auf Tiersafari in unseren Städten, Knesebeck, 192 Seiten, ca. 180 Fotos, 30 €