Ratingen. Anne von Berswordt-Wallrabe schneidert aus alten Klamotten neue Kleider – und veredelt sie mit hochwertiger Stickerei.

Schon als Schülerin war für sie ein Kleidungsstück aus dem Secondhandladen der Anfang einer neuen Geschichte: Wem gehörte dieses Hemd einmal? Wann wurde es getragen? Solche Fragen gingen ihr durch den Kopf, während der Stoff durch ihre Finger glitt. „Das hat mich schon immer fasziniert“, sagt Anne von Berswordt-Wallrabe. Heute bringt sie Vintage-Klamotten zum Beispiel aus Paris mit nach Ratingen und haucht ihnen mit Nadel und Faden neues Leben ein.

Mit „Rethink!“ fordert die Stickerei auf dem Sweatshirt auf, Dinge wie die Textilbranche neu zu denken.
Mit „Rethink!“ fordert die Stickerei auf dem Sweatshirt auf, Dinge wie die Textilbranche neu zu denken. © FFS | Ingo Otto

Die 39-Jährige kommt ursprünglich aus Bochum. Ihr Vater ist Alexander von Berswordt-Wallrabe (76). Der ehemalige Galerist, dessen Vorfahren auf Haus Weitmar im alten Schlosspark lebten, ist ein Mann, der sich aus elitärem Verhalten nichts macht, es gar verabscheut. Und auch bei seiner Tochter spürt man die Abneigung gegenüber allzu eitler Selbstdarstellung: Das Logo „Redirection“ lässt sich problemlos entfernen von alten französischen Militärjacken, denen sie die hoffnungsvolle Friedensbotschaft „Better Days“ auf den Camouflage-Stoff genäht hat.

Wer mag, setzt das Logo wieder auf die Kleidung, per Klettverschluss. Der Clou: An der Jacke lässt sich so ein weiteres Textilstück anbringen, mit den Initialen der neuen Trägerin. „Alles, was individuell ist, ist immer gern gesehen.“

Es dauerte viele Jahre, bis sie sich ihren Traum erfüllte

Es mussten jedoch viele Jahre ins Land gehen, bevor Anne von Berswordt-Wallrabe Altes in Neues verwandelte. Zunächst studiert sie an der Ruhr-Uni Sozialpsychologie, jobbt nebenbei in der Mode-Branche. Sie kann immer noch den Kopf darüber schütteln, dass Klamotten, die keiner kauft, einfach weggeworfen werden. „8000 Liter Wasser werden für die Herstellung einer Jeans benötigt – das ist krass!“

Und dann einfach in den Müll?

Eine Modefirma bietet ihr ein Trainee-Programm an. Es macht ihr Freude, im Personalbereich zu arbeiten. Auch heute noch ist sie als Trainerin in Düsseldorf tätig, in der PR-Firma „Berswordt-Wallrabe & Partner“, in der sie zusammen mit ihrem Mann Martin arbeitet.

Aber die kreative Seite an ihr verkümmert. Bis sie mit Mitte 30 in einem Café in Köln sitzt und das unzufriedene Gefühl an ihr nagt. In der Toilette fließen ihr die Tränen über die Wangen. Doch dann sieht sie, wie jemand an die Klowand geschrieben hat: „Smile sometimes“. Und sie lacht!

Der Anfang auf dem Café-Klo

Das Seidenhemd aus zweiter Hand hat Anne von Berswordt-Wallrabe in den Farben Schwarz und Bordeauxrot gebatikt.
Das Seidenhemd aus zweiter Hand hat Anne von Berswordt-Wallrabe in den Farben Schwarz und Bordeauxrot gebatikt. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Zu Hause schreibt sie die Aufforderung zum Lächeln auf. Und nicht nur das: Sie lässt sich das handgeschriebene „Smile sometimes“ auf ein Shirt sticken. Beim Shoppen wird sie in einem Geschäft von der Inhaberin angesprochen: „Wo gibt es das?“ Denn Shirts mit irgendwelchen Aufdrucken machen viele, aber hochwertige Stickereien? Die Frau ermuntert sie so sehr, dass auf einmal alles ganz schnell geht: Anne von Berswordt-Wallrabe erfindet 2014 den Label-Namen „Redirection“ – Weiter- oder Umleitung – und neue Wörter wie „Rethink“ oder „Remind“ für die Stickereien.

Die Unisex-Shirts (119 €) und Sweater (149 €) sind „ein Selbstläufer.“ Ein Atelier in Velbert stickt die Wörter auf Rohlinge. Ein Zertifikat weist sie nicht vor, aber Anne von Berswordt-Wallrabe verspricht: „keine Kinderarbeit, Bio-Baumwolle, Fair Fashion“. Und woher kommt das Stickgarn? Sie zeigt eine Palette mit Farbmustern der Freiburger Firma Madeira, die nach dem Oeko-Tex Standard 100 zertifiziert ist.

Alte Liebe - neu entfacht

Und dann besinnt sich Anne von Berswordt-Wallrabe auf ihre alte Liebe, auf die geschichtsreichen Klamotten aus zweiter Hand. Mit den Armeejacken aus Paris fängt es an. Heute lässt sie auf alte Herrenhemden Blumen sticken oder ein Wort wie „Wintage“ – mit W, als Zeichen für den Gewinn, den Vintage-Klamotten für Mensch und Umwelt bedeuten. Oder sie macht aus ihnen Kleider, indem sie die Hemden um hochwertige Stoffreste von Kollektionen bekannter Designer ergänzt. Jedes Kleidungsstück hat eine Nummer. „Wir sind jetzt bei Nummer 401.“ Allesamt Unikate – und so steht auf Stücken der neuen Kollektion: „I am unique.“

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Von Maren Schürmann (Text) und Ingo Otto (Foto)

Ihren ersten Nähkurs hat sie erst im vergangenen Jahr gemacht. „Das was ich wirklich können möchte, das bringe ich mir selbst bei.“ Auch wenn es mit Frust einhergeht, wenn die Maschine mal „bockig“ ist. Aber für sie ist das auch eine Form von Freiheit. Was sie freut: Es gibt immer mehr Secondhand-Läden. „Das ist schon fast ein Trend.“ Und trotzdem gebe es leider immer noch Leute, die nur Neues tragen wollen und über Altes die Nase rümpfen: „Das hatte doch schon jemand an.“ Da kennt Anne von Berswordt-Wallrabe einen einfachen Tipp: „Waschen!“

>> Mein Lieblingsteil

Viele-Meilen-Stiefel: Mit ihnen lief sie einem Blizzard davon.
Viele-Meilen-Stiefel: Mit ihnen lief sie einem Blizzard davon. © Ingo otto

Mit ihrem Mann flog Anne von Berswordt-Wallrabe 2016 nach New York. Weil ihr Koffer nicht aufzufinden war, blieben sie länger als geplant am Flughafen. Das Paar wunderte sich: Warum werden Flüge gestrichen?

Endlich draußen, war es klar: Ein Blizzard kündigte sich an. Und kein Taxi weit und breit. Also laufen – in New York und mit dem Sturm im Nacken! „Wir sind sechs Stunden bis zum Hotel gelaufen – mit diesen Schuhen“, sagt die 39-Jährige und zeigt auf die Cowboystiefel aus zweiter Hand. „Seitdem liebe ich sie.“

>> Mein Stylingtipp

Die etwas andere Shoppingtour empfiehlt Anne von Berswordt-Wallrabe: Das älteste Kleidungsstück aus dem Schrank nehmen und damit durch die Läden ziehen. „Es hängt in jedem dritten Laden, denn es kommt alles wieder“, so die 39-Jährige, die damit zeigen will: „Es muss nicht alles neu sein.“

Viele bekämen so vor Augen geführt, dass das Teil gar nicht so schlecht ist, wie sie zunächst dachten. Und wer dann noch nicht zufrieden ist: „Man kann es mit Bändchen und Knöpfen veredeln. Dafür muss man nicht mal nähen können.“

Die Vintage-Kleidung gibt es exklusiv bei Lindner Fashion, Kleppingstr. 12, Dortmund (lindner-fashion.de). Shirts und Sweater nur noch als Einzelstücke, kein eigener Onlineshop, redirection.de