Neuss/Essen. Hebammen verzweifelt gesucht! Die Betreuungssituation für Nachsorgeuntersuchungen ist am Limit. Schwangere schlagen Alarm. Eine Mutter berichtet.
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Ein Gedanke ließ Elin Saatjohann in der Schwangerschaft mit ihrem zweiten Sohn nicht mehr los. „Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich noch einmal so viel Glück habe?“, erzählt die Gymnasiallehrerin aus Neuss. Die Geburt ihres ersten Kindes vor drei Jahren verlief unproblematisch. Sie war schon kurz nach der Entbindung wieder fit. „Meine größte Sorge war, dass es dieses Mal anders läuft“, sagt sie. Natürlich wünscht sich jede Frau eine leichte Geburt. Bei Elin Saatjohann hatte die Angst vor Komplikationen aber einen konkreten Grund. Sie hat für die Betreuung im Wochenbett keine Hebamme gefunden und entschied sich für eine ambulante Nachsorgepraxis. Wie sie die Fahrt in die zwei Kilometer entfernte Praxis mit schweren Geburtsverletzungen oder gar den Folgen eines Kaiserschnitts meistern sollte, war für die 32-Jährige unvorstellbar.
Fahrt zur Hebamme eine Herausforderung
Am 29. November 2019 kam Mio zur Welt, zwei Wochen zu früh, aber ohne größere Schwierigkeiten. Elin Saatjohann war auch nach dieser Geburt schnell wieder auf den Beinen. Die erste Fahrt in die Hebammenpraxis erlebte sie trotzdem als Herausforderung. Sie fuhr alleine, da sich ihr Mann um ihren zweiten Sohn kümmern musste. Mio war zu diesem Zeitpunkt vier Tage alt. Die Praxis Badey-Plahr befindet sich im Lukaskrankenhaus Neuss. Es gibt einen großen Parkplatz, bis zur Hebammenpraxis müssen die Wöchnerinnen aber ein paar Meter laufen. „Es war extrem kalt und ich hatte Sorge, dass mir der Kleine auskühlt“, erinnert sich die zweifache Mutter.
Die Praxis Badey-Plahr bietet die ambulante Nachsorge für Familien ohne Hebamme seit zwei Jahren an. „Natürlich würden wir gerne alle Frauen zu Hause betreuen“, sagt Veronika Baumann. Sie ist eine der Hebammen, die in der Praxis arbeiten. Während ihre Kolleginnen zum Teil zu den Wöchnerinnen nach Hause fahren, kümmert sich die 51-Jährige um die jungen Mütter und ihre Babys. Rund 500 Frauen sind das pro Jahr. Die meisten werden in der ersten Zeit nach der Geburt zu Hause versorgt und wechseln dann in die ambulante Nachsorge. Bislang sind es nur wenige Wöchnerinnen, die wie Elin Saatjohann ausschließlich ambulant betreut werden, weil die Kapazitäten für Hausbesuche ausgeschöpft sind. Falls eine Frau es nach der Entbindung nicht in die Praxis schafft, versuchen die Hebammen eine Lösung zu finden.
Das Personal fehlt
Um alle Frauen zu Hause zu versorgen, fehlt laut Veronika Baumann das Personal. Hausbesuche sind schon allein aufgrund der Hin- und Rückfahrten zeitintensiver. Zumal die Wöchnerinnen längst nicht mehr nur aus der direkten Umgebung kommen. „Viele Frauen wohnen in Dormagen oder Düsseldorf“, erzählt die 51-Jährige. Sie haben vor Ort keine Hebamme gefunden. Ohne die ambulante Nachsorgepraxis stünden sie ganz ohne Betreuung dar.
In der Region bieten auch immer mehr Kliniken eine ambulante Wochenbettsprechstunde für Frauen ohne Hebamme an. Das Mischkonzept aus Hausbesuchen und ambulanter Nachsorge ist laut Veronika Baumann aber bislang einmalig. Die Praxis versucht mit diesem neuen Modell dem Hebammenmangel entgegenzuwirken. Denn so können die Hebammen mehr Frauen betreuen. Trotzdem müssen auch sie Anfragen ablehnen.
Dass es nicht einfach werden würde, eine Hebamme zu finden, war Elin Saatjohann bewusst. Von dem wirklichen Ausmaß des Hebammenmangels wurde die Gymnasiallehrerin aber überrascht. Sie fragte die erste Hebamme bereits am Anfang ihrer Schwangerschaft an. Sie wurde ihr von einer Freundin empfohlen. Die Hebamme war jedoch gerade selbst dabei, schwanger zu werden, und konnte ihr deshalb noch nicht fest zusagen. Natürlich hätte Elin Saatjohann schon jetzt zum Hörer greifen und sich mit vollem Eifer in die Hebammensuche stürzen können. Aber das wollte sie nicht. „Ich hatte bei dieser Schwangerschaft in den ersten Wochen einfach mehr Sorge, dass alles gut geht. Deshalb war ich noch nicht in der Stimmung, 1000 Hebammen anzurufen“, erzählt sie.
Die ersten Schwangerschaftswochen vergingen und als klar war, dass es mit der Hebamme nicht klappt, war es zu spät. „Ich habe alle Hebammen angerufen, die für Neuss irgendwo aufgelistet sind“, sagt die 32-Jährige. Sie schätzt, dass es rund 30 waren. Einen wirklichen Überblick hatte sie irgendwann nicht mehr. „Es gibt so viele unterschiedliche Internetseiten, auf denen Hebammen aufgeführt sind. Ich wusste gar nicht mehr, wen ich schon angerufen hatte und wen nicht“, erzählt sie. Den Hebammen macht die Pädagogin keinen Vorwurf. „Die waren alle sehr bemüht. Sie haben mich an Kolleginnen vermittelt oder angeboten, zumindest in den ersten Tagen nach der Geburt vorbeizukommen“, berichtet sie.
Praxishebamme Veronika Baumann weiß, in welchem Dilemma sich die Kolleginnen befinden, weil sie keine Schwangere im Stich lassen wollen. Sie hat selbst lange als freiberufliche Hebamme gearbeitet. „Ich bin teilweise morgens um halb fünf aus dem Haus gegangen und abends um 22 Uhr zurückgekommen“, erzählt sie. Irgendwann wurde es ihr zu viel. Sie nahm eine Stelle in einer anderen Branche an. Doch Veronika Baumann liebt ihren Beruf und deshalb ist sie heute froh, dass sie bei Badey-Plahr wieder als Hebamme arbeiten kann.
Ambulante Nachsorge nur eine Notlösung
Elin Saatjohann hat in der Nachsorgepraxis bislang nur wenige Termine wahrgenommen, vor allem, weil es mit Mio gut läuft – aber auch, weil sie den Aufwand scheut. Die zweifache Mutter glaubt, dass sie diese Situation bei ihrer ersten Geburt schnell überfordert hätte. „Ich hatte viele Fragen und brauchte beim Stillen mehr Hilfe. Ich wäre darauf angewiesen gewesen, mindestens jeden zweiten Tag in die Praxis zu fahren“, sagt sie. Aus ihrer Sicht ist die ambulante Nachsorge eine Notlösung, für die sie dankbar ist. Sie betont, dass sich die Praxishebammen bei jedem Termin sehr viel Zeit nehmen. Ein Ersatz für die Betreuung durch eine Hebamme zu Hause sei sie aber nicht. Und das soll sie auch auf keinen Fall sein, betont Veronika Baumann: „Wir helfen Schwangeren, die keine Betreuung für zu Hause finden.“
Doch davon gibt es in Zukunft voraussichtlich immer mehr.
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