Essen. Die düstere Unterführung, das nächtliche Parkdeck: Jeder kennt in seiner Stadt Angsträume. Mit guten Karten verlieren manche den Schrecken.

Zunächst ist es immer nur einganz unbestimmtes Gefühl: Man geht im Dunkeln durch einen langen, schmalen, nicht sonderlich gut beleuchteten Durchgang; man muss nachts zehn Minuten an einer schmutzigen, mit schlechtem Graffiti besprühten U-Bahn-Haltestelle warten; man sucht sein Auto in einem etwas heruntergekommenen, übelriechenden City-Parkhaus… Und dann verdichtet sich dieses unbestimmte Unwohlsein zu einem Klumpen im Magen: Angst!

Es hat ein paar Jahre gedauert, bis auch die Wissenschaft einen Begriff für dieses Phänomen gefunden hatte: Angsträume. Das sind Orte, die bei Menschen ein erhöhtes Gefühl der Unsicherheit auslösen. Dabei ist eines wichtig zu wissen: „Es geht um das subjektive Sicherheitserleben, nicht um das objektive“, sagt Katrin Hötzel, Psychotherapeutin an der Ruhr-Universität Bochum. Es spielt für Menschen also zunächst gar keine Rolle, ob an diesem Ort jemals ein Verbrechen verübt wurde, eine Gewalttat geschah oder ob sich hier Drogendealer oder Mafiosi treffen.

Suche nach der Fluchtmöglichkeit

Der Durchgang am Essener Hauptbahnhof: Hier wurde mit Licht versucht, für Übersichtlichkeit zu sorgen und so die Angst der Passanten möglichst zu eliminieren.
Der Durchgang am Essener Hauptbahnhof: Hier wurde mit Licht versucht, für Übersichtlichkeit zu sorgen und so die Angst der Passanten möglichst zu eliminieren. © André Hirtz / Funke Foto Services

Tatsächlich erweist sich in vielen Städten die Gegend rund um den Bahnhof als besonders kritisch. Was auch mit dem Ausmaß an Verwahrlosung zu tun hat, das mit dem häufigen Vandalismus an solchen öffentlichen Verkehrsknotenpunkten zusammenhängt. „Wo viel Vandalismus zu finden ist, haben Leute das Gefühl, dass die soziale Kontrolle nicht so stark ausgeprägt ist“, sagt Rudolph Juchelka. Hier gilt die „Broken Window Theorie“: Wenn bei einem verlassenen Haus erstmal das erste Fenster kaputt geworfen ist, geht schnell das zweite kaputt. Und dann hat man das Gefühl: Hier achtet niemand drauf…

Auch schwer einzuschätzende Menschenmengen können zu einem Unsicherheitsgefühl führen: „Wenn die Leute an einem Ort mir ähnlich sind, fühle ich mich in der Regel subjektiv sicherer, als wenn die mir unähnlich sind“, sagt Katrin Hötzel.

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Viele Städte berücksichtigen bei der Stadtplanung längst die Vermeidung und Bekämpfung von Angsträumen. Sei es durch bessere Beleuchtung, gar durch künstlerische Lichtinstallationen, durch die Beseitigung von uneinsichtigen Ecken und vieles mehr. „Ein ganz tolles Thema – und jetzt bitte nicht lachen – ist Musikbeschallung“, sagt Wirtschaftsgeograf Juchelka. „Wenn Sie bestimmte Musik, sei es Klassik oder etwas Melodisches, bringen, gibt das auch eine Form von Sicherheit.“

Frauen fühlen sich nachts im Dunkeln eher bedroht

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Lange wurde das Thema der Angsträume nicht wahrgenommen, vielleicht auch, weil die Entscheidungsträger in den Städten oft Männer waren – und tatsächlich gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Katrin Hötzel: „Man kann grundsätzlich sagen, dass Männer die Gefahr, außerhalb der eigenen vier Wände Opfer von Gewalt zu werden, eher unterschätzen. Bei Frauen ist es andersherum: Frauen fühlen sich nachts im Dunkeln eher bedroht. Sie würden sagen: Außerhalb meiner eigenen vier Wände bin ich weniger sicher. Wobei natürlich auch zu Hause etwas passieren kann, auch häusliche Gewalt.“

Hötzel rät: Wenn man regelmäßig Angsträume aufsuchen muss, sollte man sich offensiv damit auseinandersetzen. Allerdings nur, wenn von dem Ort nicht eine reale Gefahr ausgeht. „Wenn ein Ort subjektiv Angst macht, man es aber objektiv nicht so bestätigen kann, dann könnte man diesen Ort auch in Begleitung aufsuchen und sich ein Bild davon machen, ob die Sorgen berechtigt sind.“

Zeigen Sie uns Ihre Angsträume!

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Der Unterschied zwischen subjektivem und objektivem Empfinden hat auch die Forscher der Bochumer Hochschule bei ihrem Dinslaken-Projekt beschäftigt. Sie haben Kriterien entwickelt, um die Orte zu bewerten. „Es gibt etwa Stadtteile wie Lohberg, die von der Bevölkerung eher negativ bewertet wurden. Das konnten wir mit unseren Daten nicht nachvollziehen. Man denkt immer, irgendwo sei es besonders schlecht, aber das ist gar nicht immer so“, sagt Thorsten Kelm von der Hochschule Bochum .

Das Anlegen von Karten kann helfen, Klarheit über Bedrohungslagen zu gewinnen. „Wir müssen zu allererst festhalten: Wo sind Angsträume? Und finden alle Menschen die Räume gleich angstbehaftet?“, sagt Rudolph Juchelka. „Wenn es leichtere Angsträume gibt, kann man dort vielleicht mit wenigen Mitteln etwas verbessern. Da ist meine Aufforderung an Stadtverwaltungen, hier eine Bestandsaufnahme zu machen, mit Kartierungen und Befragungen von Menschen, die sich dort aufhalten. Dazu gehört auch die Einbeziehung von Polizei und Ordnungsamt, so dass man erstmal weiß: Wie ist die Lage? Und dann muss man individuell nach Lösungen suchen.“

Wo Frauen sich besonders unsicher fühlen

Maike Röttger, Vorsitzende der Geschäftsführung von Plan International Deutschland.
Maike Röttger, Vorsitzende der Geschäftsführung von Plan International Deutschland. © PLAN-Deutschland/Morris Mac Matzen | Morris Mac Matzen

Wie sicher fühlen sich Mädchen und junge Frauen in ihrer Stadt? Diese Frage stellt das aktuelle Projekt „Safer Cities Map“, das die Kinderrechtsorganisation Plan International ins Leben gerufen hat. Bis zum 13. März werden auf der Webseite Mädchen und Frauen nach ihren Erfahrungen mit sexueller Belästigung, Diskriminierung und Gewalt befragt – zunächst nur in den vier Großstädten Hamburg, Berlin, Köln und München, doch die Untersuchung soll auch auf andere Regionen ausgeweitet werden. Es geht bei der Umfrage also nicht nur um Angsträume, sondern grundsätzlich um potenziell gefährliche Orte für Mädchen und junge Frauen.Maike Röttger, Geschäftsführerin von Plan International: „Jedes Mädchen und jede Frau hat das Recht, sich in ihrer Stadt frei, sicher und ohne Angst bewegen zu können. Doch die Realität sieht leider anders aus.“ Sie sieht viele, ganz alltägliche Wege als mögliche Gefahrenquelle: den Schulweg, Bahnfahrten, das Einkaufen oder Spaziergänge im Park. Plan International hatte zuvor schon in Delhi, Sydney, Kampala, Lima und Madrid solche Befragungen durchgeführt. Dabei wurden fast 17.000 Orte als negativ und potenziell gefährlich gekennzeichnet. Röttger: „Die Safer Cities Map soll dafür sorgen, dass die Stimmen gehört und die Probleme sichtbar werden.“Die interaktive Safer Cities Map finden Sie unter plan.de/safer-cities-map