Düsseldorf. Die Jugend streikt für Klimaschutz – und kritisiert ältere Generationen. Das birgt das Potenzial für einen tiefen Konflikt, sagt ein Soziologe.

Der Soziologe Ulf Tranow beschäftigt sich an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit Solidaritätsforschung. Er beobachtet mit Sorge, wie viel Zündstoff in der Klimadebatte steckt. Im Gespräch mit Lena Reichmann spricht er darüber, welches Konfliktpotenzial das Thema Klima hat.

Gibt es in der Klimadebatte einen Generationenkonflikt?

Einige empfinden das sicher so und die mediale Darstellung verstärkt diesen Eindruck. Aber die Gemengelage ist deutlich komplizierter. So bildet die Fridays-For-Future-Bewegung nicht ‘die’ Jugendlichen ab, sondern nur einen gewissen Teil – und der kommt meist aus einem gebildeten, sozial gut gestellten Umfeld. Heißt: Nicht jeder Jugendliche teilt die Ansichten. Andersherum gibt es auch unter Älteren eine breite Zustimmung zum Klimaschutz.

Ulf Tranow, Soziologe an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, erforscht Solidarität.
Ulf Tranow, Soziologe an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, erforscht Solidarität. © Conny Schoenwald

Generationenkonflikte wurden in den letzten Jahren immer wieder heraufbeschworen, etwa im Zusammenhang mit den Themen Rente und Sozialstaat. Doch in der Realität sind handfeste Generationenkonflikte bis jetzt ausgeblieben. Das muss freilich nicht so bleiben. Das Thema Klima hat das Potenzial für einen Generationenkonflikt, doch ich vermute, dass die Konfliktlinie hier eher zwischen sozialen Schichten und Wertemilieus verläuft.

Was ist das Besondere an den Klimaprotesten?

Dabei geht es um die große Frage, wie eine lebenswerte Zukunft aussieht. Wenn Aktivisten Ältere kritisieren, die Zukunft der Jüngeren zu verspielen, ist das sicherlich nur eine Sicht. Auch diejenigen, die einer ambitionierten Klimapolitik kritisch gegenüberstehen, nehmen für sich in Anspruch, für eine lebenswerte Zukunft einzutreten. Nur sehen sie eine lebenswerte Zukunft weniger durch eine Klimakatastrophe, sondern eher durch den Abbau von Wohlstand bedroht.

Fridays-For-Future-BewegungDie ist aber unglaublich interessant, weil sie so nachhaltig ist. Das ist ein Zeichen, dass sich dort starke Identitäten gebildet haben – auch durch die regelmäßigen Rituale, die Freitagsdemonstrationen. Dass die Gruppe so lange Bestand hat, liegt daran, dass sie unheimlich gut organisiert ist.

Ist es problematisch, dass die Aktivisten Organisationsformen abseits der klassischen Politik suchen?

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Was wir gerade erleben ist, dass klassische Strukturen nicht mehr funktionieren. Die Parteien müssen sich darauf einstellen, dass Menschen das Bedürfnis haben, unmittelbar etwas tun zu können. Sonst kann es zu einer Entfremdung von Parteien und Bevölkerung kommen. Einige reagieren bereits, indem sie, wie die SPD, die Mitglieder stärker in Entscheidungen einbinden.

Viele Aktivisten beklagen, dass sie sich nicht ernst genommen fühlen. Muss die Politik stärker auf die jungen Menschen zugehen?

Demonstranten zu belächeln ist ein Zeichen der Arroganz. Damit wird den Menschen aberkannt, dass sie ernstzunehmende Anliegen haben. Dabei argumentieren die Aktivisten mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wenn Politik das nicht sieht, könnte sich ein Teil der Gruppe radikalisieren und der andere desillusioniert zurückziehen.

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