Düsseldorf. Mit zivilem Ungehorsam will „Extinction Rebellion“ Klimaschutz erzwingen. Wer sind die Köpfe hinter dem Krawall? Zwei NRW-Aktivisten erzählen.
In London wird das Finanzministerium mit Kunstblut bespritzt, in Berlin der Kreisverkehr um die Siegessäule lahmgelegt. Selbst im beschaulichen Soest tragen 80 Demonstranten einen riesigen schwarzen Sarg durch die Straßen. „Extinction Rebellion“ (XR) nennt sich die neueste Protestwelle für den Umweltschutz. Sie rollte zunächst in Großbritannien und schwappt seit Wochen durch 70 Länder. Auch durch Nordrhein-Westfalen. Es ist ein Aufstand gegen das Aussterben. „Fridays for Future“ war gestern. Jetzt greift die Mittelschicht zum „zivilen Ungehorsam“,um das Klima zu retten.
Die Aktivisten sind schon auf Züge und Flugzeuge gestiegen, um den öffentlichen Verkehr zu lähmen. Sie haben Bäume vor Parlamenten gepflanzt und sich absichtlich verhaften lassen. Anfang Oktober besetzten die Aktivisten von„Extinction Rebellion“ eine Woche lang wichtige Verkehrsknotenpunkte in Berlin.
Die Bewegung in NRW wächst
In NRW sind die ganz großen Demonstrationen bislang ausgeblieben, aber auch hier wächst die Bewegung. Mittlerweile haben sich 23 Ortsgruppen gegründet, von Bielefeld über das Ruhrgebiet bis nach Aachen. Die Anzahl der Aktivisten in den jeweiligen Städten schwankt nach eigenen Angaben der Gruppen stark: In Münster soll es 50 Aktive und 250 Unterstützer geben, in Düsseldorf werden 20 Öko-Rebellen zum harten Kerngerechnet.
Wer wissen will,was das für Menschen sind, die radikalen Klimaschutz durchsetzenwollen, bekommt in der Ortsgruppe Bochum eine erste Ahnung. Rund 60 Protestler haben sich hier zusammengefunden. Einer von ihnen ist Norman Schumann. Er ist 35 Jahre alt, von Beruf Mathematiker. Seit Mai unterstützt er „Extinction Rebellion“. Schumann nimmt dafür einiges auf sich.
Erste aktivistische Erfahrung bei „Extinction Rebellion“
Anfang Oktober fuhr er nach Berlin, um am langen Klimaprotest teilzunehmen. „Wir haben Aufmerksamkeit auf das Thema Klimakrise und Artensterben gelenkt. Außerdem haben wir deutlich gemacht, dass jetzt auch mal radikalere Maßnahmen nötig sind, auch im Zuge der Demonstrationen“, bilanziert er zufrieden.
Schumann wirkt nicht wie ein Spinner oder Querulant. Er war auch nie zuvor aktivistisch unterwegs. „Ich habe zwar immer mit verschiedenen Gruppen geliebäugelt, an denen hat mir dann aber immer irgendetwas doch nicht gepasst“,sagt er. Bei „Fridays for Future“ lief er zwar auch öfter mit. Doch ihn störte,dass die Demonstrationen beachtet werden, aber nicht zum Umdenken zwingen. „Es wurde einfach nur belächelt“, meint Schumann. Der 35-Jährige fand, es müsse mehr kommen, damit die Angst vor der Klimakatastrophe von Politik und Gesellschaft ernst genommen wird.
Über die Grenzen des Erlaubten hinaus gehen
An „Extinction Rebellion“ faszinierte Schumann von Anfang an die Kreativität der Gruppen. So stieß er auf ein Video, in dem Vertreter der Bewegung mehrere hundert Liter Kunstblut über die Treppe des Trocadéro-Palasts in Paris kippten. „Das fand ich beeindruckend, weil es ein anderer Protest war, als nur durch die Stadt zu laufen“, so Schumann. Es hat ihn gepackt. Mitmachen, für die gute Sache bis an die Grenze des Erlaubten gehen. Und manchmal darüber hinaus.
„Extinction Rebellion“ hat über alle Gruppen hinweg drei Forderungen. Ihr Klima-Imperativ lautet grob gesagt: „Sagt die Wahrheit“, „Handelt jetzt!“ und „Politikneuleben“. Norman Schumann ist sich sicher, dass die Ziele, „die es zu erreichen gilt, um die Klimakrise zu lösen, mit den derzeitigen demokratischen Mitteln nicht zu lösen sind“. Seit mindestens 30 Jahren verweise die Wissenschaft auf einen menschengemachten Klimawandel und trotzdemwerdeimmernurvonLegislaturperiodezuLegislaturperiodegedacht.
Familienvater statt Krawallbruder
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Für den 51-jährigen Stefan aus der Düsseldorfer Ortsgruppe von „XR“, der anonym bleiben will, ist das alles eine Art politischer Notwehr. „Wir wissen uns nicht mehr anders zu helfen“, sagt er. Auch er ist nicht der klassische Typ Krawallbruder, sondern Familienvater. Seit fünf Monaten macht er mit. Stefan ist über „Parents for Future“, dem Eltern-Ableger der Schülerstreiks, zu den „Rebellen“ gekommen. Ein aktivistischer Neuling ist er nicht. Er war auch schon Teil von „Anonymous for the Voiceless“, einer Organisation, die sich für Tierrechte einsetzt und in Düsseldorf immer wieder Protestaktionen durchzieht.
Besonders an„Extinction Rebellion“sei, wer sich alles dem zivilen Ungehorsamverschrieben habe: „In Düsseldorf sind Juristen, Ärzte, Studenten Künstler, IT-Spezialisten und noch viele andere mit dabei.“ Die meisten zwischen 30 und 50 Jahren. „Wenn normales Demonstrieren ausreichen würde, dann wäre ja alles super“,sagt Stefan. „Aber so ist es nicht mehr.“
Dieser Text ist zuerst in der Digitalen Sonntagszeitung erschienen.